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Vor sechs Monaten explodierte die Ölplattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko. 87 Tage lang ergossen sich schätzungsweise 800 Millionen Liter Rohöl ins Meer und verursachten die größte Ölkatastrophe aller Zeiten. Tausende Helfer heuerte BP an, um die Spuren des Öls auf See abzufackeln, abzupumpen, vom Strand wegzuschleppen, oder mit der in Europa für solche Einsätze verbotenen Chemikalie Corexit zu zersetzen.

Funktionierte scheinbar prima, denn nur wenige Tage, nachdem das Bohrloch am 15. Juli endlich abgedichtet werden konnte, vermeldete die amerikanische Atmosphären- und Meeresbehörde Noaa, 75 Prozent des ausgetretenen Öls seien verschwunden, zersetzt, verbrannt, abgesaugt, von Mikroben aufgefressen.

„Stimmt nicht“, sagt Christoph von Lieven, Meeresbiologe bei Greenpeace. „Wir gehen davon aus, dass das Verhältnis umgekehrt ist, dass lediglich 25 Prozent des Öls verschwunden sind.“ Seit drei Monaten kreuzt das Forschungsschiff „Arctic Sunrise“ durch den Golf. Etwa 50 internationale Wissenschaftler, Meeresbiologen, Umwelttechniker und Chemiker suchen nach dem Öl. Mit ihren Erkenntnissen stehen die Umweltschützer aus Deutschland nicht alleine da. Auch amerikanische Wissenschaftler haben in den letzten Wochen vermutet, dass sich das Öl auf dem Meeresgrund befindet.

Thunfisch-Laich zerstört

„Wir haben in Sediment-Proben in Tiefen bis zu 1500 Metern Ölreste entdeckt“, sagt von Lieven. Bei Temperaturen zwischen zwei und acht Grad sowie dem hohen Druck, der dort unten herrscht, werde es lange dauern, bis sich das Ökosystem wieder erholt.

„Im Sand leben unzählige Tiere“, erklärt von Lieven. Von Korallen, Plattfischen, Aalen bis hin zu Kleinstlebewesen. Sie alle seien bedroht, würden entweder ersticken oder sich am Öl vergiften.

Durch das Öl sei zudem ein Großteil des Thunfisch-Laichs zerstört worden. „Amerikanische Forscher rechnen damit, dass sich in dieser Saison 30 bis 40 Prozent weniger Jungtiere entwickeln. Das sei besonders tragisch, weil die Thunfischbestände weltweit gefährdet sind, die Gattung vom Aussterben bedroht ist. Dazu komme, dass sich Ölpartikel am Plankton, der Hauptnahrungsquelle der Wale, festgesetzt hätten, dass der Sauerstoffgehalt des Meeres dramatisch abgenommen habe.

Eine Perspektive mag von Lieven nicht aufzeichnen. „Wir haben Messstationen am Meeresgrund angebracht, um zum Beispiel das Wachstum der Korallen zu beobachten“, sagt er. Die Auswertung aller Ergebnisse der Expedition der „Arctic Sunrise“ werde zudem Monate dauern. Denn den Wissenschaftlern stellt sich ein weiteres Problem. „Bei 12 000 bis 20 000 Bohrlöchern im Golf von Mexiko, aus denen permanent Öl in kleinen Mengen ausströmt, ist es sehr aufwändig, nachzuweisen, dass bestimmte Umweltschäden vom BP-Unfall herrühren“, sagt von Lieven.

Bei jeder toten Schildkröte, bei jedem ölverschmierten Vogel sage BP schlicht: „Beweist uns, dass die Tiere an den Folgen unseres Ölunfalls gestorben sind.“ Das kann Wissenschaft. Aber das braucht Zeit. Denn „jeder Öltropfen hat seinen genetischen Fingerabdruck“, kann einem Ölfeld zugeordnet werden. Diese Katastrophe, vermutet von Lieven, wird uns noch Jahrzehnte begleiten.