Frankfurt/Main. .
Der Sänger will nicht reden, und die Opfer können sich nicht erinnern. Vor dem Landgericht Frankfurt am Main geht es im Prozess gegen Kevin Russell, früher bei den Böhsen Onkelz, um einen verheerenden Unfall.
Der Sänger schweigt. So still haben die am Freitag im Frankfurter Landgericht erschienenen Fans der Böhsen Onkelz ihr Idol noch nie erlebt. „Der sieht ja schlimm aus“, entfährt es einem weiblichen Fan in der ersten Zuschauerreihe. Kevin Russell sieht in der Tat deutlich älter als 46 aus, als er den großen Schwurgerichtssaal leichenblass betritt. „Ich bin mehr oder weniger in Frührente“, sagt Russell mit brüchiger Stimme auf die Frage des Vorsitzenden Richters Klaus Eckhardt nach seinem Beruf. Danach will der Sänger der 2005 aufgelösten Rockband Böhse Onkelz nichts mehr sagen.
Laut Anklage soll Russell am Silvesterabend 2009 auf der Autobahn 66 mit Tempo 230 einen deutlich langsameren Kleinwagen auf der rechten von drei Fahrspuren gerammt haben. Die beiden Insassen des Kleinwagens wurden dabei schwer verletzt. Zum Zeitpunkt des Unfalls soll der einschlägig vorbestrafte 46-Jährige durch die Einnahme von Kokain und Methadon berauscht und nicht mehr fahrtüchtig gewesen sein. Danach flüchtete er zu Fuß über die Felder. Nur durch das beherzte Eingreifen anderer Verkehrsteilnehmer überlebten die beiden jungen Männer in dem Fahrzeugwrack, das völlig ausbrannte.
Opfer weint während der Verhandlung
Die Beweisaufnahme am Freitag wird auch nach der Aussageverweigerung des Angeklagten nicht leichter. Die beiden schwer gezeichneten Unfallopfer können im Zeugenstand keine Angaben zum Hergang des Crashs machen. Der 20-Jahre alte Jamal A. leidet auch neun Monate nach dem Unfall noch an Gedächtnisproblemen und Konzentrationsschwäche. Jamal, der den Kleinwagen gefahren hatte, erinnert sich weder an den Silvestertag noch an die Anzahl seiner Operationen oder wie lange er im Krankenhaus war. Nur, dass er seine für September angedachte Ausbildung am Frankfurter Flughafen nicht beginnen konnte, weiß der Hattersheimer ganz sicher. „Alleine würde ich derzeit nicht zurechtkommen.“
Während der sehr schleppenden Vernehmung Jamals weint sein bester Freund Fadi still vor sich hin. Auch der 22-Jährige hat kaum eine Erinnerung an den 31. Dezember 2009. „Ich wollte feiern gehen und bin als Krüppel im Krankenhaus aufgewacht“, schluchzt Fadi wenig später im Zeugenstand. Seit dem Unfall hat er eine verkrüppelte linke Hand und mehrere Brandnarben. Dadurch leidet er an Depressionen und Agressionsschüben. Seinen Job in einem Discounter kann er nicht mehr ausüben. Immer wieder nutzt der Nebenkläger seine Vernehmung, um das Wort direkt an Russell zu richten. „Ich weiß nicht, wie ein Mensch so was machen kann“, sagt er mehrmals und ergänzt am Ende: „Er hat mein Leben kaputt gemacht, ich wäre lieber gestorben.“
DNA-Spuren Russells am Lenkrad des 400-PS-Wagens
Russell bleibt äußerlich gelassen. Am Neujahrstag 2010 hatte er der Polizei Thomas W. als vermeintlichen Unfallfahrer präsentiert. Aber die Überwachunsgskamera einer Autobahntankstelle zeigt Minuten vor dem Unfall, wie Russell dort einkauft und auch sellbst in den fraglichen Sportwagen steigt, den er sich vorher von einem Freund geliehen hatte. Zudem fanden die Ermittler am Airbag des mehr als 400 PS starken Fahrzeugs DNA-Spuren Russells. Ein Polizeibeamter gab am Freitag im Zeugenstand an, Russell habe am Neujahrsmorgen eine blutige Wunde an der Nasenwurzel gehabt. Als Thomas W. angab, er sei den Wagen gefahren, habe er gleich Verdacht geschöpft.
Bei einer Verurteilung droht Russell eine mehrjährige Haftstrafe. Bereits 2004 hatte der langjährige Konsument harter Drogen seinen Führerschein wegen Straßenverkehrsgefährdung verloren. Seitdem war der britische Staatsbürger mit einem irischen Führerschein unterwegs, der nach Ablauf einer Sperrfrist auch in Deutschland gültig war. Der Prozess wird am kommenden Freitag fortgesetzt. (dapd)