Berlin.

Hoffnung für Millionen Demenzkranke: In den nächsten fünf Jahren rechnet der renommierte Essener Demenzforscher Jens Wiltfang mit einem Durchbruch bei der Alzheimertherapie. In zwei internationalen Studien werden Medikamente getestet, „mit denen man sehr wahrscheinlich die Krankheit nennenswert abschwächen kann, vielleicht sogar stoppen“.

Beide Studien zielen auf altbekannte Arzneimittel. Im ersten Fall haben die Forscher Insulin über die Nasenschleimhaut ins Gehirn transportiert. Der Effekt: Die Merkfähigkeit der Probanden stieg deutlich an. Die Hoffnung: Sollte sich das seit Jahrzehnten bewährte Insulin als erfolgreiches Alzheimer-Medikament erweisen, gäbe es kaum Probleme mit der Zulassung.

Das gilt auch für das zweite Präparat: „Offenbar“, so Wiltfang, „tragen einige Menschen von Geburt an natürliche Antikörper gegen Alzheimer im Blut.“ Nach vorsichtigen Schätzungen könnte das auf jeden Fünften zutreffen. Die Forscher waren durch Zufall im Blut von Spendern auf diese Antikörper gestoßen - bislang waren die Substanzen zur Therapie von Autoimmun-Erkrankungen eingesetzt worden. Auch hier wäre die Zulassung unkompliziert.

Doch nur bei jedem zweiten Demenzkranken wird Alzheimer diagnostiziert – und umgekehrt ist nicht jeder, der dement wirkt, tatsächlich krank. Flüssigkeitsmangel, eine versteckte, aber therapierbare Depression oder ein schlecht eingestellter Diabetes können zu demenzartigen Symptomen führen. „Es kommt auch vor“, sagt Wiltfang, „dass Menschen, die gerade einen dementen Angehörigen gepflegt haben, auf einmal bei sich selbst Demenzerscheinungen feststellen.“ Ursache dafür seien aber oft nur Überlastung und Stress - „kommt die Entspannung, gehen auch die Symptome wieder weg“.

Dennoch: Wer über mehrere Wochen immer wieder wichtige Papiere verlegt, auf dem Parkplatz das Auto nicht wiederfindet, sich trotz gewohnter Umgebung schlecht orientieren kann – der sollte einen Neurologen, Psychiater oder die Gedächtnissprechstunde der großen Kliniken aufsuchen. „Die Versuchung ist groß, so etwas lange als Altersvergesslichkeit zu sehen“, weiß Wiltfang. Tatsächlich aber würden viele heute erst zum Arzt gehen, wenn die angestellte Herdplatte die Küche in Brand gesetzt oder einer nur mit Hilfe der Polizei wieder nach Hause gefunden hat.

Diagnostisch bewährt hat sich laut Wiltfang eine Untersuchung des Nervenwassers im Gehirn: Mit bis zu 90-prozentiger Sicherheit lässt sich dadurch feststellen, ob eine Alzheimer-Erkrankung vorliegt. Und zwar Jahre bevor massive Symptome sichtbar werden. „Es gibt natürlich auch ein Recht auf Nicht-Wissen“, mahnt Wiltfang. Neun von zehn seiner Patienten würden sich allerdings im Zweifel für eine solche Untersuchung entscheiden.

Experten sprechen von „Schaumschlägerei“

Kommt die Diagnose, kommt der Schock – auch, weil jeder weiß: Wer auf Dauer zu Hause alt werden will, braucht intensive Pflege, für die Angehörigen oft ein gefühlter 36-Stunden-Tag. Zumal, wenn sie selbst berufstätig sind. 74 Prozent der Deutschen finden die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege in Deutschland „schlecht“. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) werfen Experten jedoch mittlerweile „Schaumschlägerei“ vor.

Schröders Modell: Zur Pflege ihrer Angehörigen sollen Arbeitnehmer zwei Jahre lang nur fünfzig Prozent arbeiten müssen und dafür vier Jahre lang auf 25 Prozent des Lohns verzichten. Doch trifft das überhaupt die Lebenssituation einer 70-Jährigen, die bereits mit 58 aus dem Job ausgeschieden ist, seit Jahren die alte Mutter pflegt und demnächst ihren Ehemann pflegen wird? Heike von Lützau-Hohlbein, Vorsitzende der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, schüttelt den Kopf. „Wir reden hier doch nicht über 50-jährige Topverdiener.“

Hintergrund: Pflegende sollten sich Hilfe suchen

Von Jutta Bublies

In Deutschland sind derzeit rund 1,3 Millionen Menschen an Alzheimer oder anderen Formen von Demenz erkrankt. Nur jeder dritte Betroffene wird nicht von Familienangehörigen versorgt. Damit die, die Demenzkranke zu Hause betreuen, sich nicht selbst zu Pflegefällen pflegen, raten Experten dringend, sich bei dieser schweren, verantwortungsvollen Aufgabe nicht zu überfordern und sich Hilfe zu suchen.

Noch viel zu selten werden etwa Angebote wie die einer Tagespflege nachgefragt, wie sie zum Beispiel Sozialstationen und Tagesstätten anbieten. Hilfreich kann für Pflegende auch eine Selbsthilfe- oder Angehörigengruppe sein. Der Austausch mit Menschen in ähnlichen Lebenssituationen erleichtert die Psyche. Dazu profitiert man von Erfahrungen anderer. Nicht zuletzt sollte man den behandelnden Arzt nach Anlaufstellen und Broschüren fragen.

Auf keinen Fall sollte man den Fehler machen, einen demenzkranken Angehörigen ohne ausreichendes Hintergrundwissen betreuen zu wollen. Man darf sich nicht scheuen, sich in dieser Frage mit der Pflegekasse in Verbindung zu setzen und nach einem Ansprechpartner für eine professionelle Beratung zu fragen.

Auch das Bundesfamilienministerium will Demenzkranke und ihre Angehörigen informieren und hat dazu ein Internet-Portal (www.wegweiser-demenz.de) auf den Weg gebracht. Hier findet man Informationen zu Therapie-, Pflege- und Hilfsangeboten sowie zu gesetzlichen Leistungen. Es gibt Ratgeberforen für den gegenseitigen Austausch. In der Datenbank „Hilfe in meiner Nähe“ finden Betroffene Adressen und Ansprechpartner vor Ort.