Copiapo. .
Es ist der Tag, an dem Angelica Álvarez ihr Lächeln wiederfindet. Mit der linken Hand zieht sie ein Stück Papier aus der Hosentasche, faltet es vorsichtig fünfmal auseinander, streicht es mit ihrer kräftigen Hand einmal glatt, bis daraus ein Liebesbrief wird. Verfasst in großen blauen Lettern. „Meine Kleine, bald ist es geschafft. Wir werden wieder zusammen sein, ich werde in Deinem Arm liegen, sicher und geschützt, ich liebe Dich.“ Angelica Álvarez hebt den Blick: „Heute bin ich glücklich. Endlich.“
Die Zeilen, die ihr die Freude zurückbringen, sind die ersten ihres Freundes Edison Peña, in denen er so etwas wie Zuversicht ausstrahlt. Er hat die Liebesverse wenige Stunden zuvor in dem dunklen und feuchten Bergverlies in 700 Metern Tiefe in der chilenischen Atacama-Wüste geschrieben. Dann hat er den Brief in die Rohrpost gesteckt. Angelica und die anderen Angehörigen der 33 Eingeschlossenen stehen Schlange bei der Briefausgabe. Am Freitag haben die Retter den Durchbruch zu den Kumpeln geschafft. Die Männer strahlen mit Taschenlampen auf die Durchstichstelle. „10.35 Uhr genau“, ruft der Chef der 33, Mario Sepúlveda, in die Kamera. „Ganz Chile soll wissen, dass es uns gut geht. Vielen Dank, Chile!“
Im Rettungsteam gehen die größten Optimisten, wie der Chef des Psychologenteams Alberto Iturra, jetzt von maximal drei Wochen aus bis zur Bergung. Die Ingenieure beharren darauf, dass die Verschütteten nicht vor Mitte November geborgen werden.
Der Psychologe nennt es „einzigartig“
Edison Peña, der Freund von Angelica ist genervt von seinen Kollegen. „Er will endlich raus“, sagt die 43-Jährige. Die Briefe ihres Edison waren depressiv, zweifelnd. „Ich habe Beklemmungen, will rennen. Ich will frei sein, die Sonne sehen. Was passiert, wenn die Luft ausgeht, wenn das hier zusammenbricht?“, schrieb er.
Es war nicht mehr der Edison, den Angelica drei Jahre zuvor kennengelernt hatte. Der gut gelaunte Triathlet aus der fernen Hauptstadt Santiago. Fünf Monate arbeitete der 34-Jährige erst in der Mine San José, als sie einstürzte.
Was sich derzeit in der Atacama-Wüste abspielt, liegt irgendwo zwischen „Big Brother“ in der Grube, einem Guinnessbuch-Rekordversuch und einem Forschungsvorhaben. Alberto Iturra, der Psychologe, nennt es „einzigartig“. Noch nie haben Menschen so lange so tief unter der Erde ausharren müssen.
Playstations, Urintests und Briefe
Anfangs konnten die Retter und Helfer nur alle paar Stunden durch ein Rohr, kaum größer als ein Wasserglas, das Notwendigste in die Dunkelheit senden. Inzwischen rauschen die Rohrpost-Röhren so regelmäßig herab, dass rund um die Uhr eine Gruppe von elf Männern damit beschäftigt ist, sie in Empfang zu nehmen und wieder zu füllen. Es gehen nicht nur Briefe, Wasser und Essen rauf und runter, sondern auch Urintests, Tageszeitungen, Playstations, Kleidung, Chemietoiletten und Benzin für die Maschinen unter Tage.
Am 5. August gingen 33 Männer aus bescheidenen Verhältnissen zur Arbeit. Sie lasen „La Cuarta“, eine Art chilenische „Bild-Zeitung“. Jetzt sehen die Kumpel CNN und lesen Tageszeitungen. Jeden Abend setzen sie sich zur Gruppentherapie zusammen. Oben im Lager haben bei Angelica Álvarez wieder die Zweifel die Oberhand gewonnen. Sie denkt an das Wiedersehen. „Was ist, wenn Edison ein ganz anderer geworden ist? Oder wenn ich mich verändert habe?“