Bochum/Essen.

Mitglieder der gesellschaft für Palliativmedizin gaben zu, den Tod eines Patienten absichtlich herbeigeführt zu haben.

Tod und Sterben gehören zu den großen Tabuthemen unserer Gesellschaft. Wer schwerkrank auf sein Lebensende zugeht, weiß, wie wertvoll und tröstlich eine gute Betreuung durch Ärzte und Pflegekräfte ist. Doch wie handeln die, die Sterbenskranken zur Seite stehen? Eine Studie des Instituts für Medizinische Ethik der Bochumer Ruhr-Universität wollte dies klären. 780 Ärzte wurden dazu deutschlandweit anonym befragt. Alle sind Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Es zeigte sich: In 78 Prozent der Fälle wurden therapeutische Maßnahmen begrenzt und für einen Teil der betroffenen Patienten ein früherer Todeseintritt erwartet. In zehn Fällen gaben Mediziner an, den Tod eines Schwerkranken sogar absichtlich herbeigeführt zu haben.

Neun Mediziner gaben Tötung auf Verlangen zu

Neun gaben eine medikamentöse Tötung auf Verlangen zu. Einer gestand, einem Patienten ein todbringendes Mittel gereicht zu haben. Müssen Patienten Angst vor ihren Ärzten haben? „Nein“, sagt Dr. Marianne Kloke. Aber über vieles müsse viel mehr geredet werden, betont die Leitende Ärztin des Zentrums für Palliativmedizin am Essener Huyssenstift. „Wenn Ärzte aktive Sterbehilfe leisten, ist das entsetzlich.“ Kloke bildet selbst Palliativärzte aus. Sie weiß nicht nur um die seelischen und körperlichen Nöte Todkranker, sondern auch um die der Mediziner, die sie behandeln. „Wenn ein Patient sehr leidet, können auch ein Arzt und das Pflegepersonal überfordert sein.“

Kloke spricht das Thema in ihren Schulungen offen an. „Da erzählen mir Kollegen von Situationen, in denen die Versuchung da war, Sterbehilfe zu leisten. Weil sie das Leid nicht mehr aushielten, andere, weil ihnen auch fachlich nichts mehr einfiel.“ Dann gebe es Schwerkranke, die den Arzt um die letzte Spritze anflehten. Marianne Kloke hat dies jetzt noch selbst erlebt. „Aber wir dürfen als Mediziner nicht über das Leben von Patienten verfügen und selbstverständlich würden wir uns strafbar machen.“

Auch Ärzte müssten lernen, dass sie das „oft existenzielle Leid“ des Todkranken nicht aufheben könnten. Patienten, die auf die Palliativstation des Essener Huyssenstifts oder in die dortige Onkologie kommen, würden nach einer Patientenverfügung gefragt. „Mit denen, die keine haben, machen wir eine“, betont Kloke. Ein Rat, den sie auch anderen Kliniken gibt.

„Palliativärzte sollten Patienten frühzeitig nach ihrem Willen fragen“

Wenn die Bochumer Studie gezeigt habe, dass Palliativmediziner therapeutische Maßnahmen begrenzt hätten, so zeige dies jedoch auch positiv, dass die moderne Apparatemedizin nicht mehr immer um jeden Preis eingesetzt werde, so Kloke.

Auch der Leiter der Bochumer Studie, Professor Jochen Vollmann, betont, dass natürlich nicht alles, was medizinisch machbar sei, zum Wohle eines Schwerkranken beitrage. Dass mit ansprechbaren Patienten aber nicht über das ärztliche Handeln gesprochen worden sei, das möglicherweise das Leben der Betroffenen verkürzte, könne er nicht nachvollziehen. Vollmann, selbst Mediziner: „Das ist nach unserer Studie in 47 Fällen geschehen. Das finde ich rechtlich und ethisch hochproblematisch.“ Auch wenn die Ärzte betont hätten, im besten Interesse der Todkranken gehandelt zu haben. Die Forderung des Bochumer Professors: „Palliativärzte sollten Patienten nicht um 5 vor 12 nach ihrem Willen fragen, sondern dies sehr frühzeitig bei Behandlungsbeginn tun. Würde dies überall so geschehen, würde es diese 47 Fälle nicht geben.“

„Palliativärzte sprechen viel eher mit Patienten als andere behandelnde Ärzte“

Und selbstverständlich seien Absprachen zwischen Arzt und Patient möglich, betont Vollmann. „Wenn einer sagt, er möchte die letzten Tage seiner Krebserkrankung nicht mehr erleben und der Arzt sieht das genauso und behandelt, in Absprache, etwa eine Lungenentzündung des Patienten nicht mehr, ist das rechtens.“

„Die Studie ist gut”, sagt der Bochumer Palliativmediziner Matthias Thöns, der vor allem in der ambulanten Palliativmedizin seine Patienten betreut. Doch das Fazit, das aus ihr gezogen wird, ärgert ihn massiv: „Hier werden Ärzte, die ethisch legal handeln, mit denen, die eine Straftat begehen, über einen Kamm geschoren.“

So habe die Studie deutlich ergeben, dass ausgebildete Palliativmediziner viel eher mit den Patienten sprächen, als es andere behandelnde Ärzte täten, so Thöns, der selbst an der Studie teilgenommen hat. Diese Unschärfe in der Bochumer Untersuchung hält der Arzt für grob fahrlässig, da dadurch die Palliativmedizin an Glaubwürdigkeit verliere.

Nichts ohne Einverständnis der Patienten oder deren Angehörige

Thöns betont, dass er nichts ohne das Einverständnis der Patienten oder ihrer Angehörigen tue. Trotzdem erlebe auch er Grenzsituationen: „Wenn ein Patient in der Sterbephase etwa dieses Todesrasseln entwickelt, weiß man, dass dieses quälende Leid, das ein Gefühl zwischen Ertrinken und Ersticken bedeutet, durch Flüssigkeitsgabe verstärkt wird. Also wird man die Flüssigkeitszufuhr reduzieren, um das Leiden zu reduzieren.“

Dies bedeute aber im Umkehrschluss: Ein Arzt nimmt in Kauf, das Leben zu verkürzen. Palliativmediziner Thöns: „Ich mache das nie ohne Absprache mit Angehörigen. Aber für eine solche Entscheidung benötigt man keine Einverständniserklärung.”