Venice. .

„Unsere Häuser haben wir nach Hurrikan ,Katrina’ wieder aufbauen können. Aber wenn sich das Öl hier festsetzt, sind unsere Unternehmen auf Dauer erledigt. Dann ist die Fischerei hier tot.“ Um seine Verzweiflung zu überspielen, nimmt Kim Champlin (51) noch einen tiefen Schluck aus seiner Colabüchse und schlägt dem Kollegen neben ihm aufmunternd auf die Schulter.

Dann reihen sich die beiden Fischer mit den sonnnenverbrannten Gesichtern in die lange Schlange vor den Tapeziertischen in der Turnhalle von Boothville am südlichen Ende Louisianas ein, um ihre Kontaktadressen anzugeben. Ausgerechnet der Ölkonzern BP, dessen gesunkene Plattform `Deepwater Horizon“ für die Ölpest in der Bucht von Mexiko verantwortlich ist, will die Fischer, die nicht mehr fischen dürfen, anheuern. Mit ihren Trawlern sollen sie ausschwärmen und in aller Eile Ölbarrieren vor den Kanälen in dem endlosen Marschland verlegen. Das Angebot soll beruhigend wirken, hat aber auch praktische Gründe. Niemand kennt die unzähligen Wasserläufe in der verästelten Marschlandschaft tatsächlich besser als die Männer aus der Gegend. Die Einnahmeverluste wird das BP-Zubrot zwar nicht auffangen können. Aber für Kim und die anderen Fischer ist neben ein paar zusätzlichen Dollars eben so wichtig, nicht ohnmächtig zuzusehen, wie die dicken Ölschlieren, die der heftige Wind Stunde um Stunde Richtung Küste peitscht, ihre Existenz zerstören.

In knapp zwei Wochen hätte es, wie all die Jahre und Jahrzehnte zuvor, wieder losgehen sollen mit der Jagd auf Shrimps und Krabben. Die Boote waren klargemacht, der Diesel gebunkert. Und die Netze hingen sorgfältig gefaltet auf den hohen Aufbauten der Trawler. Wegen des nahenden Öls hatte das Ministerium den Trawler-Kapitänen ohnehin erlaubt, schon ein paar Tage vor dem eigentlichen Stichtag am 16. Mai auszufahren, um noch schnell ein paar Säcke Austern abzuernten und einige Netze Shrimps zu fangen, ehe das Öl alles vergiftet. Doch die Sondergenehmigung währte nur zwei Tage. Die zähe Schweröl-Brühe aus dem Bohrloch und der Pipeline der „Deepwater Horizon“ näherte sich den Fischgründen schneller als erwartet. Nun ist die Fischerei in der gesamten Region östlich der Mississippi-Mündung komplett verboten - und die Fischer bleiben auf ihren Auslagen sitzen. „Ich habe nicht die leiseste Idee, wie es weitergehen soll“, sagt Glenn Sanchez, dessen kleiner Trawler im Hafen von Hopedale dümpelt.

Vor fünf Jahren erst stand Sanchez schon einmal vor den Trümmern seiner Existenz. Damals hatte er sich nicht ausmalen können, dass so kurz danach alles noch schlimmer kommen könnte. Neben dem Haus fiel auch sein Boot „Katrinas“ Wüten zum Opfer. Doch anders als das Haus war der 100000-Dollar-Trawler nicht versichert. Die Raten für sein neues, deutlich kleineres Boot, stottert Sanchez noch heute ab. „Aber wenn ich nicht fische, habe ich auch keine Einnahmen.“ 1000 Dollar pro Tag machen die Fischer an guten Tagen während der sechsmonatigen Saison bis Mitte November.

Die Folgen des Wirbelsturms, der das alte New Orleans untergehen ließ und eine ganze Region verwüstete, sind längst nicht nur in Venice, Louisianas südlichstem Punkt mit gerade 450 Einwohnern, noch heute zu sehen. In der Nähe des lokalen Fischereihafens verrottet ein Trawler in einem sumpfigen Tümpel. `Katrina“ hatte das Boot wie ein Spielzeug Hunderte von Metern durch die Luft gewirbelt. In Buras, ein paar Kilometer weiter nördlich, wo „Katrina“ an Land ging, liegt noch die halbe Ortschaft in Trümmern. Unter dem Dach eines weithin zerstörten kleinen Shopping-Zentrums parkt die Freiwillige Feuerwehr heute praktischerweise ihre Einsatzfahrzeuge. Dabei hatte die Region gerade wieder begonnen, sich zu berappeln. Selbst der Preis für Shrimps und Krabben war in diesem Jahr erstmals wieder ein bisschen höher als die Jahre zuvor geklettert und hatte sich der Drei-Dollar-Grenze für das Pfund Garnelen genähert. Und nun dieser Rückschlag.

Dass Washington den britischen Petrolgiganten in die Verantwortung nimmt und energisch darauf pocht, dass BP für alle Schäden haftet, bringt den Fischern zunächst keinen Cent in die Tasche. Auch die Großabnehmer, die Amerikas Tische mit Fisch, Austern und Shrimps aus dem Fischerei-Zentrum an der Mississippi-Mündung decken, fürchten um ihre Existenz. „Wenn die Fischer nicht mehr rausfahren können, sind auch wir erledigt“, sagt Fisch-Großhändler Frank Campo. Sein Kollege, Shrimps-Großhändler Dean Blanchard, hatte sich im Internet über die Folgen der Ölkatastrophe der „Exxon Valdez“ im fernen Alaska informiert - und anschließend vor Sorgen nicht mehr schlafen können. „Wenn es auch bei uns 20 Jahre dauern sollte, bis wir die Folgen dieser Ölpest überwinden, können wir einpacken. Mein ganzes Leben steht auf dem Spiel.“ Gut ein Drittel aller Fische, Krebse und Garnelen, die in den USA verzehrt werden, stammen aus den fischreichen Gründen der Mississippi-Mündung. Eine Industrie mit Milliardenumsätzen zittert um ihre Zukunft und bangt, dass das Öl nicht in die endlose Marschlandschaft wandert, sich nicht auf Grund absetzt und den Fischen in diesem einzigartigen Ökosystem die Plankton-Nahrung entzieht.

Nicht nur Menschen leben von Fischen und Shrimps. Im Mississippi-Delta ist eine einzigartige Vogelwelt zu Hause. Stolz prangt der Pelikan auf den Nummernschildern Louisianas neben dem Slogan `Sportman’s Paradise“. In der Bucht vor Mississippi und Alabama tummeln sich Delfine und Buckelwale. Doch selbst das Wetter scheint sich gegen die Region verschworen zu haben. Am Sonntag, als Präsident Barack Obama persönlich der geplagten Region vor Ort sein Mitgefühl versichern wollte, peitschte der Wind sogar noch heftiger als an den Vortagen. Das heranschwappende Öl drohte, Louisianas südöstlichsten Zipfel eben so komplett zu überspülen wie die Chandeleur-Inseln vor der Küste des Bundesstaates Mississippi weiter nördlich. Auch dort, an den feinen Sandstränen zwischen Gulfport und Biloxi, ist längst der Notstand ausgerufen, um die Nationalgarde mobilisieren und Bundesgelder für die Katastrophenhilfe freimachen zu können.

Endlos sind die Debatten in der Küstenregion, ob dieses Drama, das wie in Zeitlupe seit dem Untergang der „Deepwater Horizon“ vor fast zwei Wochen Tag für Tag ein Stück weit mehr eskalierte und sich mittlerweile zur größten Umweltkatastrophe der USA auszuweiten droht, hätte verhindert werden können. Der Zorn auf BP ist groß. Doch auf den Versammlungen der Fischer schreit niemand seine Wut heraus. Die Ölindustrie ist neben der Fischerei der zweite große Pfeiler der regionalen Wirtschaft. Die Verflechtungen und Abhängigkeiten sind eng. Ohne den Sponsor Shell fiele New Orleans Jazzfest, das seit einer Woche Fans aus aller Welt nach Louisiana lockt, ein paar Nummern kleiner aus. Auf der endlos langen Straße zwischen New Orleans und Venice am Ende der Welt, wie man hier sagt, wechseln sich Häfen und Raffinerien in stetem Wechsel ab. Das Öl ist beides, Segen und Fluch.

Und auch nach „Katrina“ und Hurrikan „Rita“ waren Millionen Liter Öl aus den leckgeschlagenen Tanks der Raffinerie von Chalmette gleich neben New Orleans in die natürlichen Kanäle im Mündungsdelta gelangt. Hinterher hat man dann wieder sauber gemacht. Vor überzogenen Reaktionen gegen die Petrol-Industrie im Delta wollten ausgerechnet Fischer den Präsidenten, der die Erschließung neuer Felder zunächst ausgesetzt hat, bei dessen Besuch am Sonntag warnen. Den Tiefseebohrungen in der Bucht von Mexiko künftig die Rote Karte zu zeigen, würde ihre Lage nur verschlimmern, meinte auch Gemeinde-Vorsteher in Louisianas südlichstem Landkreis, Billy Nungesser. Auf den 47 Plattformen weit draußen im Golf und in den Raffinerien auf dem Festland arbeiten auch die Söhne und Töchter, Onkel und Tanten der Fischer zwischen Venice und Chalmetta.