Berlin. In einer Höhle auf der Schwäbischen Alb haben Archäologen das vermutlich älteste Musikinstrument der Welt entdeckt. Die Forscher der Uni Tübingen halten die Flöte aus Gänsegeierknochen für mehr als 35.000 Jahre alt. Der Fund zeigt, wie musikalisch unsere Vorfahren bereits waren.

Gerade mal sechs Wochen ist es her, dass Forscher der Universität Tübingen mit der «Venus vom Hohle Fels» eine Weltsensation vorstellten. Bei der Frauenfigur aus Mammut-Elfenbein, die im vergangenen September in der Höhle Hohle Fels gefunden wurde, handelt es sich um die älteste bisher entdeckte figürliche Menschendarstellung. Doch das war nicht das Einzige, was die Forscher in der Höhle fanden: Nun präsentieren sie der Öffentlichkeit mit einer 22 Zentimeter langen Flöte auch noch das vermutlich älteste Musikinstrument der Welt.

Puzzle aus Knochenfunden

Ebenfalls im September 2008 waren die Forscher um den Urgeschichtler Nicholas Conard vom Institut für Vor- und Frühgeschichte der Uni Tübingen auf zwölf Teile aus Gänsegeierknochen gestoßen. Diese lagen verstreut in der Höhle Hohle Fels, die zwischen Schelklingen und Blaubeuren 20 Kilometer westlich von Ulm liegt und in der es seit Jahren immer wieder zu spektakulären Funden kommt. Zusammengesetzt ergeben die Knochenstücke eine 22 Zentimeter lange Flöte mit fünf Löchern und einer Einkerbung am Ende. Conard datiert das Alter des Instruments auf mehr als 35.000 Jahre.

«Es ist eindeutig das älteste Instrument der Welt», sagte Conard. Seinen spektakulären Fund präsentierten er und zwei weitere Forscher am Mittwoch im Wissenschaftsjournal «Nature». Der prähistorische Fund gibt neue Einblicke in die kulturelle Entwicklung in der Zeit des Aurignacien, der ältesten mit dem modernen Menschen in Verbindung gebrachten Kultur.

Viele Aurignacien-Funde auf der Schwäbischen Alb

Die Schwäbische Alb ist mit Höhlen im Alb-Donau-Kreis und dem Landkreis Heidenheim einer der Hauptfundorte für Relikte aus der Zeit des Aurignacien. Dort wurden bereits früher Plastiken und Musikinstrumente gefunden, etwa in der Höhle Geißenklösterle nicht weit vom Hohle Fels eine Flöte aus Schwanenknochen, die zu den ältesten Musikinstrumenten der Welt zählt.

Nach Ansicht der Forscher zeigen die Funde der Flöten, dass es während des Aurignacien bereits eine richtige musikalische Kultur gab. Das passe auch zur Entwicklung einer figürlichen Kunst und zahlreicher technischer Innovationen wie etwa einer Steinbearbeitungstechnik während dieser Kulturstufe der Altsteinzeit, schreibt Conard in «Nature».

Auch andere Forscher, die nicht an den Funden im Hohle Fels beteiligt waren, teilen diese Einschätzung. Die Flöte und die Frauenfigur ließen den Schluss zu, dass der moderne Mensch vor 35.000 Jahren bereits eine fortgeschrittene Kultur hervorgebracht habe, sagt der Archäologe Wil Roebroeks von der Universität Leiden. Über die kognitiven und sozialen Fähigkeiten dieser Menschen könne man zwar nur spekulieren. Aber ihre materiellen Hinterlassenschaften wie Musikinstrumente und figürliche Kunst passten zu dem, was man mit modernem menschlichen Verhalten assoziiere, sagt Roebroeks.

Der niederländische Forscher teilt auch Conards Ansicht, dass die Flöte aus dem Hohle Fels das älteste bisher bekannte Instrument der Welt ist. Der Fund ist vollständiger und anscheinend tatsächlich etwas älter als die bisher in der Gegend von Conard und seinen Kollegen gefundenen Reste von sieben Flöten aus Knochen oder Elfenbein.

Musikalische Kultur ähnlich der unseren

Auch die Archäologin April Nowell von der University of Victoria in Kanada glaubt, dass die Geierknochenflöte älter ist, «aber nicht so viel älter, dass es überraschend oder strittig wäre», sagt sie. Sie sei die älteste einer bekannten Sammlung von Knochen- und Elfenbeinflöten in Europa. «Es gibt einen Unterschied zwischen sporadischem Auftreten und einer richtiggehenden Entwicklung einer musikalischen Kultur», sagt Nowell. «Die Bedeutung eines Funds wie dieser Flöte liegt darin, dass sie Zeichen einer etablierten Technik und Tradition ist.»

Laut Conard ist es möglich und sogar wahrscheinlich, dass die Menschen schon länger als 35.000 Jahre Musik machen. Aber die Funde aus dem Aurignacien stärkten die Annahme, dass der moderne Mensch in Europa damals bereits eine musikalische Kultur ähnlich der unseren aufbaute. «Sie konnten alles, was wir können», meint Conard.