Washington.
Die Stimme am Telefon war ein bisschen matt, aber dennoch fröhlich. „Hi. Ich bin Nadia, ich bin das Kind, das verloren ging“, meldete sich die Elfjährige. Nadias Rettung grenzte an ein Wunder. Vier Tage war das zierliche Mädchen in Zentral-Florida offenbar allein durch Sümpfe voller Alligatoren geirrt. Doch außer Moskito-Stichen und Ameisen-Bissen war ihr nichts weiter passiert.
Auf einem kleinen, trockenen Hügel mitten im Sumpf hatte James King, der Nadia Bloom aus seiner Kirchengemeinde kannte, das erschöpfte Kind entdeckt und mit seinem Handy die Polizei alarmiert. „Sie war ganz ruhig, überhaupt nicht panisch“, erzählte King nach der geglückten Rettung. Einen Vitaminriegel, einen Apfel und ein bisschen frisches Wasser steckte King dem ausgehungerten Mädchen zu, während beide auf die alarmierten Retter warteten.
Mit ausgerolltem Toilettenpapier hatte King den ausgeschickten Hubschraubern nach dem erlösenden Anruf bei der Polizei den Fundort angezeigt. „An Wunder habe ich nie geglaubt. Aber jetzt bin ich reif dafür“, seufzte der örtliche Polizeichef von Winter Springs, Kevin Brunelle, erleichtert.
„Ich bin froh, dass ihr mich gefunden habt“, sagte Nadia, als ihre Retter sie aus dem Sumpfgebiet holten und nach zweistündigem Marsch durch dichtes Unterholz und Buschwerk zurück in die Zivilisation brachten. Über Tage hatten Rettungskräfte fieberhaft nach Nadia gesucht, die seit letzten Freitag von der Bildfläche verschwunden war. Ihr Fahrrad, ihren Schutzhelm hatte man ganz in der Nähe des Jesup-Sees gefunden, in dem ungezählte Alligatoren leben. Hunde suchten nach Spuren. Suchtrupps durchkämmten die Sümpfe. Wärmeempfindliche Radargeräte tasteten den Boden ab. In tieferem Wasser suchten Taucher nach Nadia.
Einen kleinen Naturfilm hatte Nadia, die an einer leichteren Form von Autismus leidet, mit ihrer Videokamera drehen wollen. In ihrem Rucksack hatte sie ein Abenteuerbuch, das die Geschichte eines Mädchens erzählt, das die Wildnis liebt. Bei der Wanderung verlor sie wohl die Orientierung. Floridas Sümpfe, die dichten Wälder ringsum gelten als gefährliches Gebiet.
Während sich Nadia im Krankenhaus von den Strapazen nach Auskunft der Ärzte bemerkenswert schnell erholt und schon wieder lacht, wird King in den US-Medien als Held gefeiert. Nichts deutet darauf hin, dass Nadias tagelanges Verschwinden andere Ursachen als beschrieben hat. „Nadia hat uns keine Hinweise gegeben, dass King möglicherweise in etwas Unzulässiges verwickelt ist“, umschrieb Polizeichef Brunelle nahe liegende Verdächtigungen. Getrennt hatte die Polizei beide unmittelbar nach der Rettung befragt. Nadia habe angegeben, vier Tage lang mit keinem Menschen ein Wort gewechselt zu haben.
„Für mich ist King ein Held. Er hat uns zu ihr geführt“, meinte der Polizeichef. Nadia hat er ohnehin längst ins Herz geschlossen. „Kinder sind zäh. Sie hat eine ganze Menge Leute überrascht.“ Auf eigene Faust war King nach Darstellung seiner Ehefrau Diane losgezogen, um das vermisste Kind zu suchen. Unterstützung lehnte er ab. „Gott hat mir gezeigt, wo ich sie finden kann“, sagte er hinterher.
Erleichtert zeigten sich auch die Eltern, die ihr Kind im Krankenhaus gegen zudringliche Reporter abschirmten. „Nadias Beispiel ermutigt“, lobte Jeff Bloom die Widerstandskraft seiner Tochter. Am Tag, als Nadia verschwand, waren er und Nadias Schwester gerade mit einem Trupp Pfadfindern auf Alligator-Tour in Floridas Everglades unterwegs.