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Es geht um die großen ungelösten Fragen der Menschheit. Wo kommen wir her? Wieso gibt es Leben? Wie funktioniert die Natur? Woraus besteht das Universum? Um darauf Antworten zu finden, braucht man offensichtlich die größte Forschungsmaschine der Welt: Den gigantischen Teilchenbeschleuniger LHC am Kernforschungszentrum CERN in Genf. Es ist ein 27 Kilometer langer unterirdischer Ring, in dem Protonen auf fast Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden.

Am Dienstag gelang es Wissenschaftlern erstmals, zwei Protonenstrahlen mit bislang unerreichter Energie aufeinander prallen zu lassen. Jahrzehnte hatte die Fachwelt auf dieses Ereignis gewartet, mit globalem Applaus wurde das geglückte Experiment gewürdigt. „Wir stehen auf der Schwelle zu einer neuen Physik. Die Tür ist aufgestoßen“, sagt Prof. Bernhard Spaan, Physiker der TU Dortmund.

Im frühesten Stadium des Universums, das mit einem großen Knall vor rund 13,7 Milliarden Jahren entstand, war nicht das große Nichts, Materie hatte die Form einer heißen dichten Suppe, die als Quark-Gluon-Plasma bezeichnet wird. Die Physiker versuchen mit ihrer Urknallmaschine diese Bedingungen nachzustellen. Hierzu lenken sie zwei in dem Ringtunnel gegenläufig herumrasende Protonenstrahlen aufeinander. Die einzelnen Protonen, angetrieben und gelenkt durch extrem starke Magnetfelder, erreichen dabei fast Lichtgeschwindigkeit. In dem Ring werden sie mit so viel Energie aufgeladen, als hätten sie eine Spannung von 3,5 Billionen Volt durchlaufen, sodass beim Aufprall eine Energie von 7 Billionen Volt entsteht. „Dies ist das Dreifache der bisher in anderen Beschleunigern erreichten Energiemenge“, erklärt Prof. Christian Zeitnitz (Uni Wuppertal), der seit 1997 am Aufbau des CERN beteiligt ist. Wenn die Protonen mit dieser unvorstellbaren Energie zusammenstoßen, kommt es zu einem Mini-Urknall. Der Aufprall erzeugt einen wahren Schauer neuer Elementarteilchen, die von Detektoren aufgefangen und analysiert werden. Aus diesen Daten versuchen die Physiker, neue Erkenntnisse über den Aufbau des Universums zu gewinnen.

Vielleicht, so die kollektive Hoffnung der Forscher, ist auch das „Gottesteilchen“ dabei – Physiker nennen es „Higgs-Boson“. Die Theorie geht davon aus, dass es dieses Teilchen geben muss, nachgewiesen wurde es noch nie. Zeitnitz: „Wir wissen nicht genau, was eigentlich den Teilchen Masse verleiht. Dafür brauchen wir ein neues Teilchen. Wir suchen also eines, das dafür verantwortlich sein muss.“ Das Higgs-Boson soll das theoretische Konzept belegen. „Ob die Natur es aber auch so gemacht hat wie wir es annehmen, ist die spannende Frage.“ Denn vielleicht entdecken die Teilchenphysiker auch etwas ganz anderes – und dann wird die Sache komplizierter, was Physiker nicht mögen. Zeitnitz: „Wir suchen stets das einfachste Modell.“

Man sieht, die Physik steht vor grundsätzlichen Fragen, muss womöglich gängige Erklärungen über Bord werfen und neue suchen. Was einigermaßen bekannt ist, ist das Unbekannte. Nur bei etwa fünf Prozent der Materie, aus der das Universum besteht, ist die Physik sicher. Das sind die Atome, die Sterne und Planeten. 25 Prozent des Universums besteht aus Dunkler Materie, der große Rest, also 70 Prozent, ist Dunkle Energie. Zeidlitz: „Niemand weiß, was das ist. Wir beobachten nur, dass es sie geben muss.“

Die Experimente in Genf könnten neue Hinweise darauf liefern, was die Dunkle Materie sein könnte. „Wir müssten sie in unserem Beschleuniger erzeugen können“, glaubt Zeitnitz. Spätestens dann, wenn in einigen Jahren die Kollisionsenergie noch einmal verdoppelt wird. Kollege Spaan stimmt zu: „Es wäre ein großer Schritt zum Verständnis des Universums.“ In der Theorie haben die Forscher auch schon einen Namen für die gesuchten dunklen Materie-Teilchen: Neutralinos. Das Wesen der Dunklen Energie aber bleibt bis auf Weiteres ein Rätsel.