Los Angeles/Essen. .

„Katzenfisch” riefen ihr die Mitschüler nach. Und „Negerlippe”. Vielleicht fängt man genau mit diesen gewaltigen Lippen an, um sich einer Überfrau namens Angelina Jolie zu nähern. Sie sind „wie Wasserbetten”, schwärmt ihre einstige Geliebte, das Calvin-Klein-Model Jenny Shimizu. Damals ahnte niemand, dass an dieser Schauspielerin irgendwann einmal alles überdimensional sein würde: sechsfache Mutter, UN-Botschafterin, Sexsymbol, Actionheldin, Superstar, Exzentrikerin. Und mit dem begehrtesten Burschen auf dem Planeten liiert, Brad Pitt. Eine, der es mühelos zu gelingen scheint, den an-spruchsvollsten Anforderungskatalog abzuarbeiten.

Der Brite Andrew Morton, dessen Biographien über Lady Diana, Madonna, die Beckhams und Tom Cruise die Bestsellerlisten erklommen, hat auf 470 Buchseiten versucht, den Abgründen der 35-Jährigen auf die Spur zu kommen (Droemer, 19,90 Euro).

Dabei fragt man sich, welche Geheimnisse es eigentlich noch zu enthüllen gäbe bei einem Wesen, das uns augenscheinlich sein Leben ganz öffentlich vorführt. Welcher Tag vergeht ohne ein neues Foto von Angelina mit dazugehöriger Meldung? Gern begleitet von den handelsüblichen Trennungsgerüchten der Boulevardmaschinerie, die in der Woche darauf das Gegenteil behauptet. Jolie kontrolliert ihre Wirkung, hat das Veröffentlichte stets im Blick. Wer es übertreibt, wird verklagt, das Geld, natürlich, spendet sie. Was auch alles gespielt sein mag: Ihr weltweiter Einsatz für die Armen überzeugt.

Rasanter Aufstieg

Vom Menschlichen hinter den übermenschlichen Bildern wissen wir indes wenig, glaubt Morton. Er hat sie nicht interviewt, sondern hat Freunde, Verwandte, Insider und Zeitzeugen befragt. Er pendelt zwischen der blumigen Beschreibung ihres rasanten Aufstiegs und der Deutung ihrer Exzesse durch Psychologen. Da Angelina Jolies Eskapaden seit Jahren Futter für die Medien sind, erfährt man nicht allzu viel Neues, dafür gebündelt.

Ihr größter Triumph besteht vermutlich darin, über ihre Neigung zur Selbstbestrafung durch Messerritzereien am Körper, über Drogen und Tattoos und ihre sexuellen Vorlieben bis ins Peitschenmilieu zu sprechen, ohne dabei auch nur einen Anflug von Reue zu vermitteln. Dass sie damit in einer Öffentlichkeitsindustrie durchkommt, die den Tabubruch genießt, um sich dann aber noch stärker an der folgenden Beichte zu berauschen, ist erstaunlich. Ihre Ausbrüche aus der Hollywood-Familienkonfektion halten die Spannung hoch.

Einen „Stall voller Männer” bescheinigt ihr Morton in ihren wildesten Jahren, Namen wie Ralph Fiennes, Timothy Hutton und Colin Farrell fallen, Rolling Stone Mick Jagger wird nicht gerne viele Seiten lang lesen, dass er sich bei ihr zum Bittsteller erniedrigt habe. Ihrer etwas schmuddelig anmutenden Ehe mit dem durchgeknallten Filmkollegen Billy Bob Thornton, dessen Namen sie sich unter der Brust eintätowieren ließ und dessen Blutstropfen sie in einer Kapsel am Hals trug, widmet Morton lange Passagen. Und Brad Pitt wird es verkraften müssen, dass der Brite immer wieder Johnny Depp als eigentlichen Traumtypen der Jolie ins Spiel bringt. Ist ja noch Zeit.

Abgelegter Namen

Den Hang zum Düsteren glaubt der Autor in ihrer Kindheit verwurzelt, als Angelina die Hölle ins Schulheft malte und ankündigte, dass sie Bestatterin werden wolle. Sie sammelte Messer und Schwerter, rebellierte mit 15 gegen den Glanz ihrer Beverly-Hills-Heimat mit schwarzen Punkerklamotten. Ihre erste Tätowierung: das chinesische Zeichen für Tod.

Morton sieht sie von traumatischen Erfahrungen ge-prägt: als Baby vernachlässigt, als Jugendliche Zeugin einer zerrissenen Ehe, die ihr Vater, Hollywood-Star Jon Voight, schließlich beendet. Angelina, von der Filmindustrie umzingelt, mit Jacqueline Bisset und Maximilian Schell als ihren Paten, Dustin Hoffman und Al Pacino als dicksten Freunden Voights, legt den Familiennamen des Vaters ab und macht den zweiten Vor- zum Nachnamen.

Jolie ist französisch und heißt hübsch. Dass ihre Mitschüler das einst anders sahen, wird sie heute nicht mehr schrecken.