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„Ich würde meiner Tochter abraten, eine Vergewaltigung anzuzeigen.“ Die Aussage elektrisiert wie ein Blitz am Abendhimmel. Wer das sagt, ist kein juristischer Laie, sondern Hansjürgen Karge, ehemaliger Leiter der Berliner Staatsanwaltschaft. In Anne Wills Fernsehsendung zieht er am Sonntagabend das Fazit als „Botschaft aus dem Fall Kachelmann“.

Es geht um die „Tortur, die Frauen“ in einem Vergewaltigungsprozess durchleiden müssen. „Opfer leiden eher still“, sagt Veit Schliemann vom Opferschutzverband Weißen Ring. Gerade in einem solchen Fall, wo jedes sexuelle Detail von medialer Bedeutung zu sein scheint, habe das Opfer keine Chance, sich den Enthüllungen, Vorwürfen und Verleumdungen zu entziehen. „Das Opfer selbst wendet sich normalerweise nicht an die Medien, die Freunde auch nicht“, sagt Schiemann.

Reputation schützen

Bei Kachelmann waren es auch seine Ex-Freundinnen, die öffentlich über ihre Affäre mit dem Wettermann plauderten. „Bis zum Prozessbeginn im September wird noch einiges passieren. Da springen noch viele auf den Zug auf“, vermutet Jens Nordlohne, Geschäftsführer der Agentur „Victrix Causa“ für strategische Kommunikation.

Nordlohne, im früheren Leben Redakteur beim „Focus“ und AOL-Sprecher, hat sich auf das neudeutsche Thema „Litigation-PR“ spezialisiert, was so viel bedeutet wie prozessbegleitende Öffentlichkeitsarbeit. Das Ziel sei, den Ruf eines Angeklagten im Auge der Öffentlichkeit zu schützen und auszubauen. „Deutsche Richter können wir mit unserer Arbeit nicht beeinflussen“, sagt er.

Gerade der Fall Kachelmann zeige aber, wie richtig platzierte Öffentlichkeitsarbeit dazu führe, dass ein Mann, der eines so schweren Verbrechens wie Vergewaltigung angeklagt wird, von der Mehrheit der Bevölkerung nach einer solchen Kampagne für unschuldig gehalten wird.

„Kachelmann bietet alle Ingredienzen für eine spektakuläre Mediensuppe“, sagt er. Einerseits werden fast täglich neue intime Details aus einem Sado-Maso-Liebesleben verkündet, wo jeder vermeintliche Normalo überrascht und gleichzeitig interessiert aufschreit „Was, der?“. Andererseits werden geschickt Entlastungsmaterialien lanciert.

Ein genialer Zug professioneller Pressearbeit sei die Platzierung des Glaubwürdigkeitsgutachtens im „Spiegel“. Ein renommiertes Magazin zitiere aus einem Gutachten der Staatsanwaltschaft, in dem die Aussagen des Opfers angezweifelt werden. „Das schafft Glaubwürdigkeit“, sagt Nordlohne. Zwar kritisierte die „FAZ“ die „gefällige Berichterstattung“. Egal. Nach seiner Haftentlassung gab Kachelmann exklusiv dem „Spiegel“ ein Interview. Ein Zufall?

Das mediale Comeback des Medienmannes am Wochenende bewertet Nordlohne positiv. In seinem Video- und Spiegel-Interview beteuerte er seine Unschuld, gibt Verfehlungen zu. Keine Schuldzuweisungen an die Ex-Freundin, kein Wort zu den Tatvorwürfen. „Er wirkt glaubwürdig, vertrauensvoll, sympathisch. Damit punktet er“, glaubt Nordlohne. Genau wie mit der Abgrenzung zum Boulevard. Sein Medienanwalt Ralf Höcker soll vom Springer-Verlag 2,25 Millionen Euro wegen der Verletzung der Persönlichkeitsrechte Kachelmanns verlangen.

Image-Kampagne

Medienanwälte und Litigation-Agenturen feilen am Image im Verborgenen. Höc- ker wird als Kachelmanns Anwalt im Prozess nicht neben ihm sitzen. Sollte er nach Mannheim reisen, will er im Zuschauerraum Platz nehmen, hinhören, was gesagt wird, am nächsten Morgen Zeitungen studieren, kontrollieren, ob die Zitate stimmen.

Der Opferanwalt von Simone D. wirkt da eher harmlos. „Bis zur Hauptverhandlung wird es keine Stellungnahme mehr geben“, erklärte Thomas Franz gestern. Für Simone D.e wird die letzte Woche schwierig gewesen sein. „Das Opfer kann sich nicht ablenken von der Tat“, erklärt Schiemann. „Es wird immer wieder mit dem Fall konfrontiert.“