München. .

Es liegt an der bayerischen Mundart, dass es manchmal putzig klingt, wenn sie vor Gericht über die Tat reden: Von „Rauferei“ sprechen sie und dass man einander „geschlägert“ habe. Dabei war die Prügelei nicht putzig; Für Dominik Brunner war sie tödlich. Auch am zweiten Prozesstag um den Tod des 50-Jährigen am S-Bahnhof München-Solln steht deshalb unter den Namen der Angeklagten nur ein Wort an der Saaltür: „Mord“.

Mord, das würde bedeuten: Es war nicht nur ein Angriff auf einen Menschen, es war ein Anschlag auf dessen Zivilcourage. Die Ankläger sehen das so: dass Markus S. und Sebastian L. beschlossen, Dominik Brunner zu töten, aus Rache, weil er sich eingemischt hatte, als die Beiden zwei Jungen und zwei Mädchen zu berauben drohten. „Es war klar, dass was passiert“, sagt der 15-jährige Richard, der damals im Rücken Brunners Schutz suchte. Die Angeklagten aber sagen: „Wir wollten ihn nicht töten.“ Und überhaupt habe der „später Getötete“, wie es in der Anklage heißt, zuerst geschlagen.

Zeuge: Bis zu 15 Tritte gegen das Opfer

Nicht einmal die Staatsanwältin behauptet ja etwas anderes. Dominik Brunner, der in den 90er-Jahren eine Weile geboxt hat, um sich fit zu halten und „falls es mal zu einer Auseinandersetzung kommt“, sei es gelungen, „einen ersten Angriff des Angeschuldigten S. mit einem Faustschlag in dessen Gesicht abzuwehren“, heißt es in ihrer Anklage. Ein Treffer in Notwehr gegen zwei aggressive „Gangstertypen“, wie eine Zeugin der Notrufzentrale meldete? Jedenfalls habe es „voll weh“ getan, klagte Markus (damals 18) seinen Verteidigern. Er sei erst überrascht, dann wütend gewesen und habe wahllos zurückgehauen. Der Polizei erklärte er: nur zur Verteidigung. Vor Gericht lässt er verlesen: „Ich hatte voll einen Blackout.“ Richard sagt: „ausgerastet.“

In einer ersten Vernehmung sagte Markus S. aber auch: „Ich würde normalerweise nie jemanden schlagen, der am Boden liegt.“ Das allerdings erzählt nicht nur sein Freund ganz anders, der ihn am ersten Verhandlungstag schwer be-lastete. Markus S. habe geprügelt, Zeuge Richard redet von bis zu 15 Tritten gegen das auf dem Rücken liegende Opfer, zum Schluss, sagt Sebastian L., mit Anlauf gegen den Kopf. Er selbst will nur eingegriffen haben, weil es ihm anfangs „vorkam, dass der Markus unterlegen“ ist. Er will auch nicht gesehen haben, wie Brunner zu Boden ging, wohl aber seinen Freund von ihm weggezogen haben: „Das kam mir alles zu krass vor.“

Über eine Stunde saßen die Zwei danach im Gebüsch, ahnungslos, warum da plötzlich so viel Polizei auftauchte, behauptet Sebastian L. (18). „Wir wussten ja nicht, was passiert war.“ Doch daran bestehen Zweifel. Warum schrieben sie dann aus den Sträuchern diese SMS an einen Freund: „Wenn sie uns erwischen, kommen wir lang nicht mehr raus“? Die Beamten berichten über beide, sie hätten „gar nicht“ protestiert, als man ihnen sagte, sie hätten einen Menschen umgebracht. „Ist der tot?“, soll Sebastian lediglich gefragt haben. Markus, womöglich noch unter dem Einfluss von Wodka und Bier, sagte gar nichts, er sei nur „sehr bedrückt“ gewesen, habe beständig nach unten geschaut. Wie auch jetzt im Gericht.

Die doppelten Körperkon-trollen haben die Sicherheitsleute dort am Mittwoch eingestellt, der fensterlose Saal, so rund wie eine Manege, ist jetzt frei zugänglich, das Absperrband vor der Anklagebank zerschnitten. Eigentlich verhandelt man hier derzeit gegen John Demjanjuk. Doch der mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher und seine Richter mussten umziehen – den großen Saal braucht das Landgericht für einen weiteren „Prozess des Jahres“, wie die örtliche Presse notierte.

Der Vorsitzende Richter Reinhold Baier führt ihn mit bayerischer Gemütsruhe; in der Nachmittagshitze des ersten Tages fragt er sogar die beiden Angeklagten mitfühlend: Ob sie sich an den Raum gewöhnt hätten? Nun, der muss ihnen wohl freundlich vorkommen: Sie sitzen seit zehn Monaten in U-Haft, es heißt, die Mithäftlinge machten ihnen das Leben schwer. Und ihre Zimmer daheim, bei Markus’ Eltern und in Sebastians betreuter WG, beschreibt die Polizei als vermüllt und verwahrlost: „kein Zuhause.“