Ruhrgebiet. .

Die Hochzeit war schon Jahre vorbei, als der Brautvater es endlich erfuhr, und er soll „perplex“ gewesen sein: Aus dem Computer hat die Tochter ihren Mann! Dabei haben Evelyn und Jens Schwiderski sich dort nicht gesucht. Aber gefunden.

Das unterscheidet sie von über sechs Millionen Deutschen, die im Internet eine Liebe entdeckten; im Glück aber sind sie sich gleich: Nach einer repräsentativen Studie der Single-Börse „Parship“ sind 84 Prozent der Paare, die Amors Pfeil per Mausklick auf sich lenkten, „(sehr) zufrieden“ in ihrer Partnerschaft. Bei Büro-Beziehungen behaupten sie das nur zu drei Vierteln. Evelyn und Jens Schwiderski aus Essen müssten über ihre Liebe indes gar nicht reden. Man kann sie sehen.

Zufälliges Treffen in ihrem „Jahr null“

Weil ihre Geschichte so schön ist, sei sie trotzdem erzählt. Begegnen sich also diese Zwei, Feuerwehrmann und Frisör-Lehrling; es passiert 2005, das sie ihr „Jahr null“ nennen und im Chatroom. Sie, „traumatisiert“ von einer früheren Beziehung, ist schon da, seit sie 16 ist. Er, frustriert von Frauengeschichten, die „für die Tonne“ waren, kennt manche Teilnehmer längst persönlich, „man hatte Gesichter“. Jens hat keine Lust auf weitere Reinfälle, aber auch keine, „allein alt zu werden. Das will keiner“. Sie kommen einander also „gerade recht, um uns auskotzen“.

Und so fängt es auch an: Da sind ein paar, die mokieren sich im Netz über Jens’ Nicknamen, „Sexywanduhr“ hat er sich genannt. Das kann man komisch finden, aber Schwiderski hat eine wichtige Regel des Internets verstanden: Man braucht einen Namen, der einer ist. Bei „Jens27“ guckt doch keiner hin. „Sex“ macht aufmerksam, „Wanduhr“ ist normal, er findet, das passt, und Evy findet es mindestens egal: „Sind die alle doof?“, fragt sie über die Flüsterfunktion, die keiner mitlesen kann.

Was folgt, sind ein paar schon verständnisinnige Mails, bis Jens keine Lust mehr hat, „großartig auf der Tastatur rumzutippen“. Nach vorsichtigem Hin-und-Her mit ihren Telefonnummern – man hüte sich vor Unbekannten! – greift Evelyn zum Hörer. Und auch das machen sie richtig: Experten raten, nicht zu lange nur zu schreiben, lieber den persönlichen Kontakt zu suchen. Denn Liebe geht eben nicht nur durchs Netz, sondern vor allem durch Auge, Herz und Bauch. Jens und Evy telefonieren sieben Stunden. Und hören nur auf, weil die Berufsschule ruft, früh um halb sieben. Evy wird nie vergessen: „Wenn er einen Satz angefangen hat, hätte ich ihn schon zu Ende sprechen können.“

100 Millionen Euro Umsatz mit der Handelsware Herz

So genau passt die Wellenlänge, mehr Übereinstimmungen hätte die beste Single-Börse kaum finden können. Damit aber verdienen immer mehr Online-Partner-Vermittlungen ihr Geld: Der Branchen-Verband Bitkom schätzte schon vor zwei Jahren den Umsatz mit der Handelsware Herz auf über 100 Millionen Euro jährlich. Und der Markt wächst weiter: vor allem in der Altersgruppe über 45 Jahren.

Jens und Evy verabreden sich zum Kochen. Ein paar Missverständnisse bringen Evy ins Stolpern, dann flüchtet sie nach vorn: vom Treppenabsatz gleich in seine Wohnung. „Hin und weg“ ist sie, muss nur kurz überlegen: „Hauste ab oder gehste durch?“ Nie zuvor hatte sie ein Blind Date, kennt den Mann ja nur vom Foto. Er läuft ihr nach, „guten Tag, ich bin der Jens“. Sie kochen nicht mehr an jenem Abend, essen Schokolade und haben ihre erste stille Minute nach Mitternacht. Es ist Jens, der sie durchbricht: „Darf ich dich küssen?“ Probier doch mal, sagt Evelyn, erst später ist da der Gedanke: „Ich glaube, wir sind jetzt zusammen.“

Im Endeffekt, sagt Jens, sei das eine „easy Sache“ gewesen. Er sagt das oft: „Im Endeffekt“ – im Endeffekt sind sie jetzt glücklich und verheiratet, im Endeffekt hat es kein halbes Jahr gedauert, bis er ihr beim Tanzen nachrief: „Heiratest du mich?“ Und dass alles im Internet begann, ist „im Endeffekt bedeutungslos“.

Es hätte auch auf dem Markt passieren können oder in der Disco, der Unterschied, glauben die beiden, liegt darin: Wer nicht guckt, sondern liest, entdeckt einen Menschen, „nicht weil der toll aussieht, sondern weil er interessant ist“. Das geschriebene Wort, glaubt Jens, sei in diesem Medium der Maßstab, man könne sehr schnell „von der Rechtschreibung auf andere Sachen schließen“. Vielleicht, sagt Evy, „war das sogar der ausschlaggebende Punkt“.

Beweis für die Haltbarkeit der Liebe

Gerade das nun trauen dem Internet nur wenige zu, dass es dort sogar Gefühle gibt, schon gar nicht. Schwiderskis aber widerlegen ja auch die These, Liebe aus dem Netz gehe schneller in die Brüche. Mancher hat ihnen das gesagt; für die Schwiegereltern war die Sache „unverständlich“, für Jens besten Freund ganz klar: „Das kann gar nicht halten.“ Noch immer gibt es Menschen, die ihr Erstaunen nur mühsam verkleiden: „Oh, das hätte ich aber nicht gedacht.“ Es gebe „eine total negative Meinung, das könne nichts für länger sein“, hat Evy erfahren.

Aber nicht nur ihr Vater sieht jetzt: Liebe aus dem Netz gibt’s oft, und sie dauert sogar.