Essen. Die Berichterstattung über eine neue Salbe gegen Schuppenflechte und Neurodermitis hat bei Erkrankten große Hoffnungen geweckt: "Bei uns häufen sich die Nachfragen", hieß es am Mittwoch bei der Apothekenkammer Nordrhein. Betroffene reagieren auf das angebliche Wundermittel aber skeptisch.

Begeisterung, Skepsis, Ärger: Die Meldungen von einer neue Salbe gegen Schuppenflechte und Neurodermitis sorgen derzeit bundesweit für gegensätzliche Reaktionen. Die Apothekerkammer Nordrhein berichtete am Mittwoch "von jeder Menge Anrufe" von Interessierten, ebenso der Deutsche Psoriasis Bund, Selbsthilfeorganisation für Schuppenflechte-Geplagte. Grund ist die Salbe "Regividerm B12", die in den nächsten Wochen auf den Markt kommen soll und schon jetzt vielen Hautauschlag- und Juckreiz-Geplagten Hoffnung macht.

Ab Mitte November soll die Salbe in den Apotheken erhältlich sein, nachdem ihr Erfinder über 20 Jahre lang vergeblich versucht hat, die Rezeptur Pharma-Unternehmen anzubieten. Die hätten die Produktion offenbar aus eigenem Gewinnstreben abgelehnt. Nun habe sich ein Schweizer Hersteller gefunden, der die Salbe produzieren will, heißt es in einem am Montag ausgestrahlten Fernsehbericht. Der trug den Namen der Salbe erstmals in die deutsche Öffentlichkeit und löste weitere Medienberichte aus.

"Wir haben massig Anfragen"

Bei der Vertriebsfirma der Salbe in Remscheid laufen mittlerweile die Telefone heiß. "Anrufer aus der ganzen Welt fragen quasi im Minutentakt via Email, Brief und am Telefon an und wollen mehr über das Projekt erfahren", teilt die Regeneratio Pharma GmbH am Mittwoch auf ihrer Internetseite mit. "Wir sind kaum in der Lage, alle Anfragen angemessen zu beantworten".

Beim Deutschen Psoriasis Bund, bundesweit größte Selbsthilfeorganisation in Sachen Schuppenflechte,registriert man das enorme Echo auf die Berichte mit Erstaunen - und mit Ratlosigkeit. "Wir haben massig Anfragen", sagt Sprecherin Christiane Rose auf Anfrage von DerWesten, aber noch keine substantiellen Antworten. "Eines unserer Vereinsmitglieder hat deshalb heute sogar bei uns gekündigt - aus Verärgerung, weil wir über diese Salbe bisher noch nicht informiert haben", berichtet Rose. Der Grund dafür: "Die Salbe ist wissenschaftlich noch nicht aufgetaucht". Der Wissenschaftliche Beirat des Psoriasis-Vereins werde sich aber jetzt mit dem Thema befassen.

Allzu große Erwartungen will man beim Psoriasis Bund ohnehin lieber bremsen, erklärt Rose: "Es gibt ja fast nichts, womit wir uns noch nicht beschäftigt haben." Fast täglich gebe es Nachrichten über Mittel, die die Leiden der Betroffenen lindern sollen. Was nicht alles gegen Psoriasis helfen soll: "Salben wahlweise aus Kamelmilch, Schneckenschleim, Aloe Vera, Avocadoöl, Stutenmilch, Eigen-Urin, Knabberfische, die die Schuppen wegfressen, Geistheilung, Magnete, Steine, Eigenblut, Akupunktur, Chinesische Medizin - und jeder hat das Heilmittel gefunden", sagt Rose nicht ohne Verbitterung, denn: "Immer wieder werden falsche Hoffnungen geweckt".

Menschen, die verzweifelt sind

"Ich habe schon fünf Tuben für Kunden reserviert", berichtet unterdessen der Düsseldorfer Apotheker Thomas Rasche am Mittwoch. Die neue Salbe ist bereits in den Computern der 22.000 Apotheken in Deutschland gelistet, zugelassen als "Medizinprodukt" unter der Pharmazentralnummer 5523487.

Rasche kann verstehen, dass die Nachricht von einem bisher unbekannten Mittel, von dem es zudem heißt es hätte keine gravierenden Nebenwirkungen, unter Betroffenen Hoffnung und Begeisterung auslöst: "Das sind ja Menschen, die meistens sehr verzweifelt sind." Dass die Salbe "vielleicht im Einzelfall" die Symptome lindert, mag Rasche nicht ausschließen: "Die veröffentlichten Untersuchungsergebnisse sind positiv", wegen der geringen Fallzahlen - gut vierzig Erwachsene und 21 Kinder - seien sie allerdings nicht sehr aussagekräftig und ließen keine sicheren Rückschlüsse auf mögliche Nebenwirkungen zu, meint Rasche. Sein Fazit: "Ob Regividerm Schuppenflechte und Neurodermitis heilen kann, wird sich zeigen. Ich kann es nicht glauben".

Etwa drei Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Schuppenflechte, über 10 Millionen unter Neurodermitis: Sie plagt Juckreiz, Hautausschlag bis hin zu Gelenkschmerz - und die Gewissheit, dass es bisher kein Mittel gibt, das ihr Leiden wirklich lindert.

Dass ausgerechnet eine Salbe helfen soll, die zum Großteil aus Avocadoöl und zu einem geringen Teil aus dem Wirkstoff Cyanocobalamin (Vitamin B12) besteht, glaubt Christiane Rose hingegen nicht: "Schuppenflechte ist ein chronischer Entzündungsprozess, der durch Infektionen oder Stress ausgelöst werden kann und vererbt ist." Die Behandlungswege sind vielfältig. Jüngste Ansätze sind gentechnik-basierte "Biologika", Mittel, die per Spritze injiziert den Entzündungsprozess im Körper lahmlegen sollen - eine äußerst teure Therapie, die die Krankenkassen nur zahlen, "wenn keine andere Therapie angeschlagen hat".

Cremes gehörten laut Rose für jeden Patienten "zur Grundpflege", auch Salben, etwa solche "die den Schuppenpanzer auf der Haut aufbrechen" und Entzündungen unter Verwendung von Kortison hemmen. Letztlich sei jede Therapie aber individuell, "weil es viele verschiedene Arten der Krankheit gibt." Dass die neue Salbe tatsächlich hilfreich sein kann, will Rose allerdings nicht grundsätzlich ausschließen: "Sie ist mit Sicherheit nicht schädlich".

"Jeder hat seine eigene Erkrankung"

Den Duisburger Reinhard Gerth haben die Nachrichten von dem neuen Mittel inzwischen neugierig gemacht. Doch auch der 53-Jährige, Beamter im Vorruhestand und seit 15 Jahren immer wieder von Schuppenflechte-Schüben geplagt, glaubt nicht an die Wunderwirkung: "Jeder hat seine eigene Erkrankung. Dem einen hilft eine Salbe, dem anderen überhaupt nicht." Gerth hat schon vieles probiert, war vor zehn Jahren sogar für einige Wochen in Israel; Salzwasser-Therapie im Toten Meer. "Doch schon im Flugzeug nach Hause kamen der Hautausschlag zurück", erinnert sich Gerth.

Die Kosten, die er für Medizin und Mittelchen ausgibt um seine Leiden im Zaum zu halten, sind enorm: "Etwa 4000 bis 5000 Euro im Jahr", sagt Gerth; Ausgaben, die ihm die Krankenkasse nicht ersetzt. Die neue Salbe würde Gerth "vielleicht mal auf einer kleinen Hautstelle ausprobieren", aus Neugier, denn "ich habe meine Therapie mittlerweile gefunden". Die Kosten für die neue Salbe schätzt Gerth allerdings "als ziemlich hoch" ein. Die 100 Gramm-Tube soll nach Hersteller-Angaben in Deutschland 28,85 Euro kosten. Reinhard Gerth: "Wenn man einen richtigen Schub hat, hält die höchstens zwei Tage."

Dass Apotheken inzwischen auch vermehrt die einzelnen Wirkstoffe der neuen Salbe ordern, berichtet Peter Barleben, Vizepräsident der Apothekerkammer Nordrhein. Allerdings, heißt es im Pharmagroßhandel, "gibt es derzeit Lieferengpässe beim Wirkstoff Vitamin B12." Der Hersteller des Wirkstoffs, ein Unternehmen in Hilden bei Düsseldorf, teilte am Mittwoch mit, ab Freitag würde der Wirkstoff wieder ausgeliefert werden können.

Enormes Markt-Potential

Nach Angaben des Herstellers der Salbe sollen in Deutschland 20.000 bis 30.000 Tuben des Präparates auf den Markt kommen. Peter Barleben mag Betroffenen nicht die Hoffnung nehmen, dass die neue Salbe ihnen helfen könnte: "Einen Versuch ist es wert", meint der 68-Jährige.

Ein Geschäft wird es allemal. Der Düsseldorfer Apotheker Thomas Rasche schätzt das Marktpotential bei einem angenommenen Verbrauch von 100 Gramm pro Patient und Monat auf knapp 1,4 Milliarden Euro Jahresumsatz ein - "mindestens allein Deutschland". Im Pharma-Großhandel ist zu hören, "unser Einkauf wird sich auf eine große Nachfrage einstellen, damit wir die Apotheken beliefern können."

Der Deutsche Psoriasis Bund weist unterdessen auf den "Welt-Psoriasis-Tag" kommende Wochen Donnerstag, 29. Oktober, hin. Auch in NRW gibt es Informationsveranstaltungen. Informationen zu der neuen Salbe dürften dort aber auch noch Mangelware sein, sagt Christiane Rose: "Dazu ist das Thema noch zu neu".