Lüttich/Essen. .
Aus dem zusammengestürzten Haus im ost-belgischen Lüttich sind in der Nacht zu Freitag die Leichen eines jungen Paares geborgen worden. Noch bis kurz vor ihrem Tod hatten die beiden den Rettern den Weg zu einem verschütteten Mädchen gewiesen. Die 13-Jährige wurde gerettet.
Sie sind ein Paar, seit acht Jahren schon. Die 24-Jährige Vicky aus Heusden und Alexis, der aus Hannuit stammt. Ein glückliches Paar, so sagen es Freunde und Bekannte. „Vicky war die Liebe seines Lebens”, weiß Alexis Großvater Jean. Deshalb hatten sie auch Pläne, große Träume. „Heiraten” wollten sie, weiß Vickys Vater Guy. Und „Kinder kriegen”. Bis sie begraben wurden am frühen Mittwoch dieser Woche. Unter den Trümmern des fünfstöckigen Altbaus in der Rue du Leopold 20 in Lüttich. Zusammen mit ihren Träumen.
Sie werden geschlafen haben in Vickys Wohnung im zweiten Stock, als es mitten in der Nacht knallt. Doch die Explosion, von der noch immer niemand genau weiß, wie sie ausgelöst wurde, haben Vicky und Alexis überlebt. Genau wie das Feuer, das wenig später ausbricht. Ja selbst beim Einsturz der Fassade am frühen Morgen sterben sie nicht.
Fassungslos steht Vickys Vater am Unglücksmorgen vor einem Berg aus Schutt. Leiche um Leiche ziehen die Retter aus den Trümmern. Vicky und Alexis sind zunächst nicht darunter. Sie sind aber auch nicht bei den über 20 Verletzten, die in der Hektik dieses Tages in die umliegenden Krankenhäuser eingeliefert werden. Überall fragt der verzweifelte Vater, überall schütteln Ärzte und Schwestern den Kopf. Er wählt das Mobiltelefon seiner Tochter an, doch niemand hebt ab.
Nach Stunden erst keimt Hoffnung auf. Die Retter haben Kontakt zu Vicky und ihrem Freund. Die Helfer tasten sich heran, sprechen mit ihnen, versorgen die Verschütteten mit Sauerstoff. Und Vicky und Alexis erzählen ihnen von dem jungen Mädchen, das sie haben schreien hören – irgendwo im Keller. Immer wieder haben sie der kleinen Elena Mut zugesprochen, jetzt weisen sie der Feuerwehr den Weg.
Mit Erfolg. Am Mittag des zweiten Tages können die Retter die 13-Jährige lebend bergen. Doch Freud und Leid liegen nur Minuten beisammen an diesem Tag. Denn als die Wehrmänner Vicky und Alexis helfen wollen, flammen in den Trümmern plötzlich wieder Feuer auf, neue Einstürze werden befürchtet. Die Retter müssen sich zurückziehen.
Es ist nur ein kurzer Rückzug, doch für die beiden Verschütteten ist er zu lang. Der Kontakt zum Paar reißt ab. Erst in der Nacht dringen die Helfer zu ihnen durch. „Äußerlich völlig unversehrt”, sagt ein Retter, liegen Vicky und Alexis auf dem Bett. Aber sie sind tot, vermutlich erstickt.
Damit liegt die Zahl der Todesopfer mittlerweile bei zwölf. Denn im Laufe des Tages wurde gestern noch eine Leiche geborgen. Zwischenzeitlich war bereits von einem 13. Toten gesprochen worden. Doch was Helfer für den Körper einer alten Frau gehalten hatten, entpuppte sich als Kadaver eines Hundes.
Es gibt allerdings Befürchtungen, dass es noch mehr Opfer geben könnte. Angehörige von zwölf Menschen seien ohne Nachricht ihrer Verwandten, sagte der Lütticher Bürgermeister Willy Demeyer.
Die Regierung hatte zunächst bis zu 20 Tote befürchtet, diese Zahl korrigierten die Rettungskräfte später aber nach unten.
In dem betroffenen Viertel in der Lütticher Altstadt wohnen nach Aussage des Sprechers der Stadtverwaltung, Pierre Reuter, neben Studenten auch nicht gemeldete Ausländer. „Es gibt viele junge Leute. Waren sie alle dort, schliefen sie bei Freunden oder hatten sie im Gegenteil Besucher in ihren Appartements?“ „Es ist schwierig“, sagt Reuter, „eine genaue Vorstellung zu haben, wie viele Menschen wir noch suchen.“