Essen.
. „Macht Euch die Erde untertan” – diese biblische Anweisung hatte verheerende Folgen. Das meint der Priester und Biologe Rainer Hagencord, der kürzlich in Münster die weltweit erste Forschungsstelle für theologische Tierforschung gründete. „Wir betrachten die Natur als Ressource, die man nach Belieben ausbeuten kann”, sagt Hagencord.
Das Ergebnis: Stopfgänse mit krankhaft verfetteter Leber, gerupft bei lebendigem Leibe, Hochleistungskühe, die nie eine Wiese sehen, Schweine, die nicht mehr stehen können, Hunde, die zu asthmatischen Krüppeln gezüchtet werden. Gentechnik, Massentierhaltung, Zucht, Versuche und Transporte. Das Tier ist – so sieht es der Mensch – vor allem ein Nutz-Tier.
Und was Hagencord besonders empört: Die Theologie hat dazu wenig zu sagen. Er wirft den Kirchen vor, das Thema fast völlig auszublenden. „Wenn es in der Kirche um die Bewahrung der Schöpfung geht, meint das meist Sonne, Mond und Sterne. Doch nicht das Fleisch in der Kühltheke.”
Dabei war das alles ein Missverständnis. „Macht euch die Erde untertan” (Vers 28, 1. Kapitel der Genesis) – diese 2500 Jahre alten Worte sollten eigentlich Attribute eines guten Hirten beschreiben, sagt Hagencord. Er sollte Verantwortung übernehmen für Schaf, Ziege und Rind in Vertretung Gottes auf Erden, der ein Liebhaber allen Lebens ist.
Hagencord war zunächst Gemeindeseelsorger, studierte dann Philosophie und Biologie, besonders interessierte ihn Evolutionsbiologie und Verhaltensforschung. Im Abgleich mit seinem theologischen Wissen bemerkte er, dass die Daten zu den Erkenntnisleistungen der Tiere von den Theologen nicht beachtet werden. Das brachte ihn erneut zum Bibelstudium und er erkannte, dass in der Heiligen Schrift Menschen und Tieren eine Seele zugesprochen werde, dass beide „aus der Hand Gottes kommen” und Tieren eine „eigene Würde” innewohne.
Und seine Empörung wuchs. Die Empörung über den Umgang des Menschen mit den Tieren und über das Schweigen der Theologie. Die habe im 17. Jahrhundert – in einer Zeit, als die Natur noch bedrohlich erschien – irgendwann den falschen Weg eingeschlagen und das mechanistische Naturbild eines Descartes oder Bacon akzeptiert. Descartes, zur Erinnerung, war es, der den Organismus als eine Art hydraulische Maschine beschrieb.
So geschah es, dass die Bibel-Anweisung auf so grausige Art missinterpretiert wurde. Aus dem Appell zur väterlichen Verantwortung gegenüber der Natur wurde ein Freibrief zur Herrschaft über sie. Die Folge: „Wir stehen mitten in einer ökologischen Katastrophe.” Hagencords These: „Hätten die Kirchen statt dessen in den vergangenen 300 Jahren die Wertschätzung der Natur gepredigt, wäre die Welt heute eine bessere.”
Daher das Institut für Theologische Zoologie. Hagencord spricht von der Notwendigkeit einer neuen „Schöpfungsspiritualität”. Das habe nichts mit Esoterik oder biblischem Fundamentalismus zu tun, sein Institut suche den Dialog mit den Naturwissenschaften. Es geht ihm um eine „neue Betonung der Würde des Tieres” mit allen politischen und ethischen Implikationen und damit auch um eine Erweiterung der theologischen Wissenschaft. Er bietet dazu Seminare an, trägt seine Lehre in die kirchlichen Bildungshäuser, erstellt Material für den Schulunterricht. „Mich erschreckt, dass Kinder in der virtuellen Welt zuhause sind, doch eine Amsel nicht von einer Meise unterscheiden können.”
Aasgeier, Adler und Ameise. Schaf, Spinne und Storch. Schließlich Ziege und Zicklein – lang ist die Reihe des Getiers von A bis Z das da kreucht und fleucht in der Bibel. Die meisten Tiere tauchen indes in den Listen der jüdischen Speisegesetze auf. Man hätte Hagencord denn auch falsch verstanden, würde man ihn für einen dogmatischen Vegetarier halten. „Auch Jesus war Fleischesser, Franz von Assisi ebenfalls”, sagt er. Entscheidend sei, wie der Mensch mit dem Tier umgehe. „Es ist eine Frage von Respekt und Ehrfurcht vor dem Leben.” Was hätten die Christen für eine Macht, überlegt er, wenn sie ab morgen nur noch Biofleisch kaufen würden.