Frankfurt/Main. .

Traurige Statistik: Auch 2009 wurden rund 90 Kinder bis fünf Jahren getötet. Die Täter sind überwiegend weiblich und kommen aus der Familie. Die typischen „bösen Sexualtäter von der Straße“ gebe es bei Kleinkindern so gut wie gar nicht, sagen Forscher.

Meldungen über Tötungen kleiner Kinder haben auch 2009 wieder aufgeschreckt: Etwa am 20. März, als die 37-jährige Krisztina S. aus Mössingen ihre beiden Töchter mit der einschläfernden Substanz Diphenhydramin betäubte, um sie in der Wanne zu ertränken. Oder am 1. Oktober, als in Berlin bei einer Wohnungsauflösung Leichenteile von vier Säuglingen entdeckt wurden. Die Schicksale, die hinter solchen Schlagzeilen stecken, erforscht derzeit das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) in einem großangelegten Projekt.

Rund 90 Tötungen von Kindern zwischen null und fünf Jahren gibt es pro Jahr in Deutschland - überwiegend sind die Täter weiblich. Auch wenn oft ein anderer Eindruck entsteht: Die Tendenz ist seit Jahren gleichbleibend. «Die polizeiliche Statistik zeigt ganz eindeutig keinen Anstieg, allenfalls einen leichten Rückgang», betont Theresia Höynck, stellvertretende wissenschaftliche Direktorin des Instituts im DAPD-Gespräch. Ob es bei den Fallzahlen regionale Unterschiede - etwa zwischen Ost und West - gibt, sei in der aktuellen Phase der Untersuchung noch nicht zu sagen.

Dass so oft von steigenden Fallzahlen bei Tötungen von Kindern ausgegangen wird, liegt laut der Forscherin eindeutig an der massiv gestiegenen Aufmerksamkeit für solche Fälle, gerade in den Medien. Schließlich werde über fast jede Kindstötung breit und überregional berichtet: «Und zwar oft mehrfach: wenn die Tat entdeckt wird, wenn sie angeklagt wird, wenn das Urteil ergeht. Und jedes Mal denkt man automatisch: ‘Oh je, schon wieder ein Fall’», sagt Höynck. Nachahmungseffekte seien aber nahezu auszuschließen: «Denn die meisten Fälle sind Folgen langer Entwicklungen, ganz tiefer emotionaler Verstrickungen.»

Jüngste Opfer meist von Eltern getötet

Höyncks Forscherteam in Hannover untersucht zurzeit alle vorsätzlichen Tötungsdelikte an Kindern unter sechs Jahren, die sich zwischen 1997 und 2006 ereignet haben. «Wir analysieren diese Strafakten, werten die Daten aus und befragen auch Täterinnen und Täter», berichtet sie.

Für Tötungen kleiner Kinder seien fast immer die biologischen Eltern oder deren neue Partner verantwortlich, ganz selten Großeltern oder andere Aufsichtspersonen, noch seltener Fremde. «Die typischen ‘bösen Sexualtäter von der Straße’ gibt es bei kleinen Kindern so gut wie gar nicht, die suchen sich ältere», berichtet Höynck. Solche Kinder wie die achtjährige Kardelen aus Paderborn, die im Januar mutmaßlich von einem Nachbarn ermordet wurde.

Fälle wie diese sind bei Kindern unter sechs Jahren extrem selten. Ein Drittel der Tötungsdelikte sind hier Neugeborenentötungen, ein weiteres knappes Drittel Tötungen durch Misshandlungen, wie die Forscherin sagt. Rund zwölf Prozent der Fälle sind gezielte Tötungen von Kindern (etwa bei Trennungskonflikten), weitere zwölf Prozent sogenannte «Mitnahmesuizide». In knapp zehn Prozent stecken akute Schübe schwerer psychischer Krankheiten der Täter dahinter, ohne dass diese Selbstmordabsichten gehabt hätten.

«Und dann sind da natürlich noch die Fälle, in denen aus reiner Vernachlässigung getötet wird», ergänzt Höynck. «Die bekommen zwar sehr viel Aufmerksamkeit, machen aber gerade mal drei oder vier Prozent aus.»

„Einige Mütter nehmen ihre Schwangerschaft gar nicht wahr“

Doch was steckt hinter Kindstötungen? Wenn Neugeborene Opfer sind, gingen laut den KFN-Forschern meist verdrängte oder verheimlichte Schwangerschaften voraus. «Einige Mütter nehmen ihre Schwangerschaften gar nicht wahr, oder sie nehmen sie erst ganz zum Schluss wahr und verdrängen sie. Dann gibt es eine Mischung aus Verdrängen und Verheimlichen.» Und schließlich sei da eine dritte Gruppe, die alles ganz gezielt verheimliche, sich mit Lügengeschichten umgebe. In allen drei Fällen seien die Mütter unfähig, sich den Tatsachen zu stellen. Und reagierten bei der Geburt panisch.

Nicht immer stammten solche Täterinnen aus prekären Verhältnissen: «Solche Frauen dominieren - anders als bei Misshandlungsfällen - überhaupt nicht. Sondern es sind viele ganz normale Frauen darunter, auch solche, die schon Kinder haben.»

Wie könnte man schnell etwas verbessern? Die Babyklappe sei jedenfalls nicht die große Lösung: «Es spricht sehr viel dafür, dass die Mütter, die von der Babyklappe angesprochen werden, nicht diejenigen sind, die ihre Kinder sonst töten würden.»

Entscheidung sei es vielmehr, Müttern zu signalisieren, dass es für sie Hilfe gebe, etwa Beratungsangebote. «Wir haben bei vielen untersuchten Fällen das Gefühl: Da wären 1.000 Türchen gewesen. Es hätte eben nur eins genutzt werden müssen.» (ap)