Nachterstedt. Sie kamen mit dem Leben davon, doch sonst mit fast nichts. Die Überlebenden des Erdrutsches von Nachterstedt durften seit dem Unglück nicht mehr in ihre Häuser. Zu groß war die Gefahr für ihr Leben. Nun holten Freiwillige persönliche Gegenstände aus den Gebäuden.

Drei Monate nach dem folgenschweren Erdrutsch von Nachterstedt in Sachsen-Anhalt haben die Betroffenen am Samstag persönliche Gegenstände aus ihren einsturzgefährdeten Häusern bergen lassen. Die Bewohner durften jedoch nicht selbst zurück in ihre Wohnungen. 14 freiwillige Helfer der Bergwacht nahmen ihnen die Arbeit ab und holten in Etappen aus den sechs verbliebenen Doppelhäusern und den Resten eines Doppelhauses am Rande des Tagebau-»Concordia«-Sees seit der Katastrophe am 18. Juli nicht mehr greifbare Gegenstände aus den Wohnungen.

Die Aktion, an der sich insgesamt 150 Angehörige von Polizei, DRK, Feuerwehr und dem zuständigen Bergbausanierer LMBV beteiligten, war auf ein geteiltes Echo bei den Betroffenen gestoßen. Nicht alle der 41 Bewohner der ehemaligen Siedlung »Am Ring wollten diese Chance wahrnehmen.

"Ich wollte nicht, dass sich andere in Gefahr bringen"

Manfred Fraust ist am Samstagmorgen bei Regen mit seiner Frau an jenen Gedenkstein gekommen, mit dem die Gemeinde im Salzlandkreis bei Quedlinburg an die drei Verschütteten erinnert. «Ich wollte nicht, dass sich andere in Gefahr bringen», sagt der 53-Jährige. Er erinnert an den Tag nach dem Unglück, als er gemeinsam mit einem Feuerwehrmann noch einmal für eine halbe Stunde in sein Haus durfte und dabei Urkunden und Bilder in Sicherheit brachte. Später bei einer Veranstaltung, bei der den unzähligen Rettern und Helfern des Erdrutsches Dank für ihren Einsatz gesagt wurde, habe er den Feuerwehrmann mit seiner Familie getroffen.

«Zwei kleine Kinder von etwa vier Jahren standen an seiner Seite», sagt Fraust und ringt mit den Tränen. Was wäre mit der Familie des Feuerwehrmanns geworden, wenn damals bei der Begehung was passiert wäre. Deshalb habe er sich so entschieden und niemanden wieder in sein Haus geschickt. Ein Stück Zukunft sei in seinem Haus schon verloren gegangen, räumt Fraust ein und fügt hinzu: «Wir werden uns Neues schaffen.»

Das Bild kommt wie im alten Haus in die Küche

Lothar Gareis ist erleichtert. Der 71-Jährige hat seine Sachen, die die Mitarbeiter der Bergwacht in seinem zweigeschossigen Haus gesichert haben, bereits in seiner Wohnung. In seinem neuen Haus, das er gemietet habe, wuchtet der Rentner einen schweren Karton auf den Wohnzimmertisch. «Da sind sie - die Elefanten und Masken», sagt er erleichtert. Die Skulpturen habe er von mehreren Reisen nach Ägypten mitgebracht. Auch ein großes Farbfoto haben die freiwilligen Helfer der Bergwacht für ihn gesichert. Die Luftaufnahme zeigt sein Haus. «Das Bild kommt wie im alten Haus in die Küche». Dort liegen auf dem Fußboden noch sechs große Modellflugzeuge, die Gareis bis zum Erdrutsch über den «Concordia»-See kreisen ließ.

Michael Walter vom DRK-Landesverband schildert die Arbeit der Bergwacht. Während zwei Angehörige in den Häusern die von den Bewohnern auf Listen festgehaltenen Gegenstände bergen, werden sie von vier Kameraden mit Seilen gesichert. Alle hätten sich freiwillig für diesen Einsatz entschieden, sagt Walter und geht wieder zurück auf das abgesperrte Areal am Rande des einstigen Fußballplatzes an der Siedlung «Am Ring». Auch sonst sei nichts dem Zufall überlassen worden, sagt LMBV-Stabsleiter Dirk Henssen. Während der Bergung würden in kurzen Zeitabständen die Messpegel kontrolliert und die Risse, die sich an den Häusern gebildet haben, beobachtet. (ddp)

Spezialisten in Nachterstadt bergen Habseligkeiten

Ein Spezialist der Bergrettung auf dem Weg zum Einsatz in Nachterstedt.
Ein Spezialist der Bergrettung auf dem Weg zum Einsatz in Nachterstedt. © AP
Rund ein Dutzend Freiwillige holte persönliche Dinge der früheren Hausbewohner heraus.
Rund ein Dutzend Freiwillige holte persönliche Dinge der früheren Hausbewohner heraus. © AP
Bei einem Erdrutsch im Juli waren hier drei Menschen ums Leben gekommen.
Bei einem Erdrutsch im Juli waren hier drei Menschen ums Leben gekommen. © AP
Von diesem Haus blieb nur eine Hälfte stehen.
Von diesem Haus blieb nur eine Hälfte stehen. © AP
Der Rest stürzte in die Tiefe.
Der Rest stürzte in die Tiefe. © AP
Seitdem ist das Gelände abgesperrt.
Seitdem ist das Gelände abgesperrt. © AP
Ein Ehepaar beobachtet die Bergungsarbeiten.
Ein Ehepaar beobachtet die Bergungsarbeiten. © AP
Lothar Gareis verlor bei dem Unglück sein Zuhause. In seiner neuen Wohnung packt er nun aus, was gerettet wurde.
Lothar Gareis verlor bei dem Unglück sein Zuhause. In seiner neuen Wohnung packt er nun aus, was gerettet wurde. © AP
Dazu gehört auch dieses Flugzeugmodell.
Dazu gehört auch dieses Flugzeugmodell. © AP
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