Essen. Müssen Medien prominente Patienten ins Mäntelchen des Schweigens hüllen? Die Anwälte der verhafteten „No Angels”-Sängerin Nadja Benaissa erwirkten einen Maulkorb für die Presse – die protestiert. Und im Fall Benaissa spielt die Krankheit eine entscheidende Rolle im Ermittlungsverfahren.
Das hier dürften wir gar nicht schreiben – wenn es nach Herrn Bergmann aus Berlin geht. Denn Simon Bergmann ist der Anwalt der Sängerin Nadja Benaissa, und als solcher wünscht er, dass die Presse schweigt. Über die Untersuchungshaft, in der seine Mandantin seit Karsamstag sitzt und erst recht über deren Hintergründe: dass nämlich das 26-jährige Mitglied der „No Angels” ungeschützten Sex gehabt haben soll mit einem ahnungslosen jungen Mann und ihn dabei angesteckt mit dem HI-Virus. „Gefährliche Körperverletzung”, sagt die Staatsanwaltschaft Darmstadt, und dass sie das alles auch öffentlich gesagt hat, hält der Anwalt für „indiskret” und folglich jede Berichterstattung für „rechtswidrig”.
Schon am Dienstag stellte die Kanzlei den Medien, die die Meldung unisono verbreitet hatten, diese Sicht der Dinge schriftlich zu. Am Mittwoch erwirkte sie beim Landgericht Berlin gegen die Bild-Zeitung eine Einstweilige Verfügung: Unter Androhung eines Ordnungsgeldes von 250 000 Euro wurde dem Boulevard-Blatt tatsächlich untersagt, weiter über „ein gegen die Antragstellerin eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen schwerer Körperverletzung und/oder den Gegenstand der Untersuchungshaft zu berichten”. Das Gericht habe abgewogen zwischen öffentlichem Interesse und dem Schutz der Privatsphäre, und das Ergebnis sei eindeutig gewesen: Die Persönlichkeitsrechte Benaissas seien wichtiger.
Prominente Patienten im Mäntelchen des Schweigens?
Müssen Medien prominente Patienten ins Mäntelchen des Schweigens hüllen? Die Rechtsbeistände auch anderer guter Bekannter finden, wohl: Über den Gesundheitszustand der Kabarettistin Gaby Köster darf die Presse ebenso nichts mehr schreiben wie über den der Sportmoderatorin Monica Lierhaus, die beide vor Monaten plötzlich von den Bildschirmen verschwanden. „Recherche und Berichterstattung über die Erkrankung” seien zu unterlassen, verlangte Lierhaus' Anwalt Matthias Prinz; die Verfügung in Sachen Köster trägt denselben Absender wie die von Nadja Benaissa.
Allerdings: Im aktuellen Fall spielt die Krankheit die entscheidende Rolle in einem Ermittlungsverfahren. Er sei „verpflichtet” gewesen zu informieren, sagt Ger Neuber, Sprecher der Darmstädter Staatsanwaltschaft, angesichts der Schwere der vermeintlichen Tat und der Wiederholungsgefahr, die auch der Haftrichter bestätigt hat. „Mit einer Prangerwirkung muss jede Person der Zeitgeschichte leben, die sich möglicherweise strafbar gemacht hat.”
"Dann müssen wir auch schreiben dürfen"
Und nur weil Neuber sprach, taten es auch die Medien: „Die Verantwortung liegt beim Staatsanwalt”, sagt Eva Werner, Sprecherin des Deutschen Journalistenverbands (DJV). „Aber dann müssen wir auch schreiben dürfen.” Eine „Binsenweisheit”, bestätigt Thomas Leif, Vorsitzender des „Netzwerks Recherche”: Nicht zu berichten sei ein „Pflichtversäumnis”. Ohnehin wird längst eine Beschneidung der Berichterstattung beklagt: Der DJV beobachtet eine „Zunahme von Urteilen, die die Pressefreiheit einschränken”. Leif kritisiert eine „kuriose Welt”, in der eine „Anwaltsindustrie” eine „heikle Eigendynamik” entwickle. Der Prominenten-Begriff werde instrumentalisiert, um Berichterstattung zu verhindern. Nicht nur deshalb verwahrt sich Kai Diekmann, Chefredakteur der „Bild”, gegen den Gerichtsentscheid: „Wenn schwere Straftaten Privatsphäre sind, kann man die Pressefreiheit gleich abschaffen.”
Auch der Kölner Medienrechtler Prof. Rolf Schwartmann hält den Verdacht gegen Nadja Benaissa für einen „Umstand, über den man berichten können muss”. Dennoch sei die Angelegenheit juristisch wie ethisch schwierig. Für die Veröffentlichung sprächen die Vorbildfunktion des Popstars, die Schwere des Vorwurfs sowie „das gesellschaftliche Problem, über das man aufklären muss”. Dagegen, dass die Sache „ganz, ganz deutlich den intimsten Lebensbereich” der Verhafteten berühre. Zumal: Bis zum Zugriff der Fahnder war deren Infektion weithin unbekannt.
Bild berichtet trotzdem weiter
Für Schwartmann, der die Kölner Forschungsstelle für Medienrecht leitet, bleibt deshalb die Frage offen: „Wie heftig muss ich da rangehen? Geht das vielleicht auch ohne Namensnennung?” Denn für Nadja Benaissa habe die „Verdachtsberichterstattung” in jedem Fall schwere Folgen: „Die ist jetzt geschlachtet.” Die Bild-Zeitung, apropos, berichtet weiter: gestern unter der Schlagzeile „HIV-Drama um No Angels-Star”.
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