Berlin. Wenn Gillamoos Deutschland ist, dann ist das Oktoberfest die Welt. Bleibt noch eine Frage an Friedrich Merz: Was wird aus Kreuzberg?
Der Spätsommer ist in Bayern so eine Art Adventszeit bis zum Showdown, dem Oktoberfest. Je näher der Ruf „O’zapft is“ rückt, desto mehr Menschen besinnen sich ihrer Herkunft, ihres Wohnortes, ihrer Vorfreude oder was auch immer und holen ihre Tracht raus.
Dann sitzen sie in München mit Dirndl und Lederhosen im Biergarten, trinken a Maß und no eine, oder Aperol auf dem Gehsteig im Münchner Partyviertel Maxvorstadt. Es ist so locker, so hip, so cool, und alle wollen sie haben, die Tracht, weswegen das Ganze so ein Riesen-Geschäft ist, dass sie an jeder Ecke verkauft wird.
Das Oktoberfest ist ein globaler Schmelztiegel – in der Tracht
Mir san mir, schwingt da mit, und zwar durch alle Schichten, alle politischen Lager, alle Identitäten und Lebenserfahrungen. So gesehen, ist nichts so bunt und vielfältig bei gleichzeitiger Uniformierung wie ein Festzelt auf der Theresienwiese. Sechs Millionen Menschen aus der ganzen Welt machen da demnächst wieder mit. Reschpekt, muas i sagn. Das hat Berlin nicht.
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Von dem ganzen Rausch gibt es viele kleine Ableger. Die haben auch Zelte, wo gesungen, geschwitzt, getrunken und gegessen wird. Einer dieser Ableger ist Gillamoos. Das ist bayerisch und bedeutet: „Das Fest der Hallertau“. Die Hallertau wiederum ist das größte zusammenhängende Hopfenanbaugebiet der Welt. Und Hopfen ist die wichtigste Zutat im Bier. Ein Gewürz, das, wie es heißt, zum Biertrinken anregt.
In Gillamoos kostet die Maß mehr als zwölf Euro
Keine Frage: Es macht bestimmt Spaß, sich das Bier auf der Gillamoos-Wiesn schmecken zu lassen. Die Maß für über 12 Euro, selbst auf dem Oktoberfest ist es nur im Käfer-Zelt teurer. Ist eben auch ein Riesen-Geschäft. Das hat jetzt übrigens Friedrich Merz noch mal richtig angekurbelt, als er letzte Woche dort seine Maß hob und Gillamoos zu Deutschland ausrief.
Ich bin seitdem völlig verwirrt. Denn ich war zwar schon Teil des bunt uniformierten Treibens auf dem Oktoberfest, aber noch nie auf der Wiesn in Gillamoos. Ich kenne die Hallertau nur von der Raststätte Holledau-West (Holledau oder Hallertau – das meint dasselbe).
Als die Kinder klein waren, mussten sie, wenn wir vom Verwandtenbesuch aus München heimfuhren, dort zum ersten Mal aufs Klo. Schnurgerade ist die Autobahn da, rechts und links flankiert von Hopfen, der an acht Meter hohen Holzstäben hochrankt.
Maß, Dirndl, Lederhosen, Jubeln, Stampfen: Die Zutaten für Gillamoos
In meiner Vorstellung ist Gillamoos eine Mischung aus Maß, Dirndl, Tracht und diesen seltsamen Hopfengewächsen. Dazu: hemdsärmeliges Jubeln und krachledernes Stampfen. Kann sein, dass mehr dahinter ist, aber Klischees kommen ja auch irgendwo her.
Nun sagt der Chef der Bundes-CDU just im Festzelt, Gillamoos sei Deutschland, nicht Kreuzberg. Mir ist schon klar, was er damit meint. Er spielt auf das Kreuzberg-Klischee an, das auch irgendwo herkommt, sagen wir, von dem Treiben im Görlitzer Park. Diese Verhältnisse will er in Deutschland nicht haben. Nun kenne ich Kreuzberg besser als Gillamoos.
Ich lebe nicht dort, aber ich gehe gern dort aus, kaufe gern dort ein. Es ist ein buntes, intensives Treiben, zur besten Partyzeit gar nicht so viel anders als in den Bierzelten auf dem Oktoberfest. Wenn es ganz doll kommt, dann ist es von allem zu viel. Zu kaputt, zu gefährlich, zu betrunken, zu high – und auch das hat Kreuzberg mit dem Oktoberfest gemeinsam – viel zu teuer.
Den Begriff Gillamoos kennt noch nicht mal die Rechtschreibprüfung
Wenn nun in Gillamoos alles gut ist, dann sollte ich mir das mal abseits der Autobahnraststätte anschauen. Mit meiner Ahnungslosigkeit bin ich übrigens nicht allein, das beweist der Google-Algorithmus. Wenn ich Gillamoos ins Suchfeld eingebe, taucht sofort die Frage auf: Was ist Gillamoos? Der Begriff Gillamoos ist noch nicht einmal meiner Rechtschreibprüfung bekannt. Wahrscheinlich sind unter den Wissbegierigen vor allem Kreuzberger. Ob sie nun auf dem Görli abhängen oder von den Balkonen ihrer gentrifizierten Altbauten draufschauen.
Los, Leute aus Kreuzberg, schauen wir uns doch mal das echte Deutschland an. Die aus Wedding nehmen wir auch mit. Und das ganze Ruhrgebiet, die sollen doch erst mal mit ihren kleinen Pilsgläsern lernen, was eine Maß ist. Lasst uns aufbrechen. Schlagen wir zwischen den Hopfenstangen Wurzeln. Kehren wir heim. Heim nach Gillamoos.
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