Berlin. Das Orchester schweigt, das Publikum hustet: Warum gibt es das „Theaterhusten“? Und wie gehen Konzerthäuser mit dem Phänomen um?

Da-Da-Da-Daaa. Sie wissen schon, Beethovens Fünfte. Ein Sinfonie-Beginn für die Ewigkeit. Das berühmte Motiv wäre nichts ohne seine Generalpausen. Bloß, wer sich die Schicksalssinfonie schonmal live angehört hat, weiß, dass in den Pausen meistens doch jemand spielt. Der erste Solohuster nämlich. Das Phänomen – Husten, Räuspern im Theater, Philharmonie oder der Oper – trägt einen Namen, es ist das „Theaterhusten“.

Es ist die Geißel konzentrierter Besucher und Musiker, hat prominent schon Konzerte beendet und gehört zum Musikerlebnis wie furztrockene Brezeln im Theaterfoyer. Aber woher kommt der der Drang, sich unter dem Dach der Musen den Schleim aus dem Hals zu räuspern? Und wie gehen Konzerthäuser damit um?

Konzerthäuser sehen Theaterhusten gelassen

Letztere sehen es gelassen, überraschenderweise. „Das Phänomen hat sich in der Philharmonie Essen bislang nicht als großes Problem herausgestellt“, sagt Christoph Dittmann, Pressesprecher der Philharmonie Essen, der Philharmoniker und des Aalto-Musiktheaters. Das Essener Publikum sei in der Regel sehr diszipliniert – „und an das Husten zwischen den Sätzen und Stücken haben sich inzwischen alle Beteiligten gewöhnt.“

Das sehen in Essen auch die Künstler so. Es gebe nicht einmal Rückmeldung aus dem Ensemble, „was letztlich daran liegt, dass das Husten beziehungsweise Räuspern nicht als schwerwiegende Einschränkung wahrgenommen wird.“ Zum Beginn der abgelaufenen Spielzeit verbannte die Philharmonie gar den Hinweis aus den Programmheften, lautes Husten zu vermeiden. Warum? „Auf diesen Hinweis verzichten wir seit einigen Monaten, weil wir nicht davon ausgehen, dass solche Aufforderungen tatsächlich etwas bewirken.“

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Kein Frust wegen Theaterhusten in der Berliner Philharmonie

In der Berliner Philharmonie klingt der Hustenfrust auch im piano. Die Räusperei sei „eher eine Randnotiz“, sagt Pressesprecherin Elisabeth Hilsdorf, allerdings sei das Phänomen seit Ende der Corona-Pandemie deutlich seltener geworden. Aus dem Ensemble gebe es überhaupt keine Beschwerden über Generalpausen-Huster, eine Durchsage, in der gebeten wird, in ein Taschentuch zu husten, gibt es mittlerweile auch nicht mehr.

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Das Theaterhusten ist für die Häuser selbst also gar nicht ein so großes Problem, dass das Phänomen existiert, steht aber außer Frage. Und für manche Künstler ist es dann eben doch ein großes Ärgernis, mehr als das. Da muss man sich nur Keith Jarrett anschauen. Einer der größten, vielleicht der größte Pianist unserer Zeit, ist bekannt dafür, mindestens mal sein Spiel zu unterbrechen und genervt ins Publikum zu starren, wenn bei seinen Auftritten gehustet wird. In der Carnegie Hall brach er einst ganz ab und ließ die Bühne leer und das Publikum verdutzt bis wütend zurück. Um nur ein Beispiel aus dem Husten-Œuvre des US-Amerikaners zu nennen.

Theaterhusten: Ein Nerv ist schuld

Es bleibt ein Rätsel: Ist das Röcheln im Konzerthaus bloß ein psychisches Problem oder reagiert der Körper tatsächlich auf das konzertante Umfeld? „Das ist ein psychologischer Effekt, der berühmte Theaterhusten“, hat der Lungenfacharzt Michael Barczok dem Deutschlandfunk Kultur erklärt. Gesteuert werde dieser extreme Drang, gerade im mucksmäuschenstillen Plenum zu röcheln, vom „Nervus Vagus“, einem autonomen Nerv, Teil des aus der Schulbiologie bekannten, vegetativen Nervensystems. Kurz gesagt, der Teil des Nervensystems, den wir nicht steuern können und der sich um Herzschlag, Atmung, Stoffwechsel und Co. kümmert.

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Und warum lässt uns dieser nervige Nervus husten? Weil wir es in dieser Situation gerade ausgerechnet nicht wollen. Reine Nervensache, im doppelten Sinne. Dagegen kann man ankämpfen, mit Bonbons etwa, oder mit Globuli. Nicht wegen irgendwelcher Wirkstoffe, sondern weil die Mundschleimhaut befeuchtet wird. Wer nichts Lutschbares zur Hand hat, kann auch Folgendes versuchen: Mit der Zunge oben und unten, innen und außen über die Zähne streicheln, sorgt quasi für frische Luft im Mund.

Fast romantisch, und damit ja sehr passend zu den großen Regungen der Seele in Oper und Co., empfiehlt Barczok das „zärtliche Husten“: In die geschlossene Faust husten, die Wangen ein bisschen aufblasen, schon röchelt man im Pianissimo.