Essen. Cannabis-Legalisierung, eine Gebühr für „Ärzte-Hopping“ und weniger Hausbesuche: es gibt viel zu besprechen beim Deutschen Ärztetag in Essen.
Vor dem Deutschen Ärztetag haben Ärzte- und Patientenvertreter zahlreiche Mängel im deutschen Gesundheitssystem moniert. Ärztekammerpräsident Klaus Reinhardt, der zur Wiederwahl antritt, übte pauschale Kritik an den Reformplänen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): „Ich nehme ihm ab, dass er Dinge wirklich positiv verändern will. Ich kann aber beim bestem Willen keinen roten Faden bei seinen Reformen erkennen. Kaum etwas passt zusammen, vieles bleibt Stückwerk“, sagte Reinhardt der „Rheinischen Post“ (Bezahlinhalt).
Reinhardt wünscht sich außerdem die telefonische Krankschreibung zurück, die zum 31. März auslief. Zur weiteren Entlastung der Praxen fordert er in der Zeitung eine Gebühr für Patienten, die mehrere Ärzte aufsuchen: „Ich bin für eine Eigenbeteiligung bei besonders krassen Fällen von Ärzte-Hopping.“
Stiftung Patientenschutz kritisiert Rückgang von Hausbesuchen
Kritisch wertete er Lauterbachs Pläne zur Cannabis-Legalisierung und begrüßte in dem Zusammenhang Bayerns Absicht, keine Modellregionen für den staatlich lizensierten Cannabis-Handel zuzulassen. Zudem plädiert Reinhardt für einen „Deutschen Gesundheitsrat“, der nach dem Vorbild des Ethikrates selbstständig oder im Auftrag der Regierung Empfehlungen abgibt. Das sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte vor dem Ärztetag die sinkende Bereitschaft vieler Ärzte zu Hausbesuchen. „Ein Rückgang von mehr als 25 Prozent in nur zehn Jahren ist alarmierend“, sagte der Vorsitzende Eugen Brysch der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ). Verschärfend komme hinzu, dass fast 80 Prozent der Hausbesuche bei über 75-Jährigen stattfinden. „Den oft vorerkrankten und immobilen Menschen fehlt häufig die Kraft zum Praxisbesuch“, sagte Brysch. Verbesserungen wünsche sich die Stiftung auch bei der schleppenden Digitalisierung im Bereich der ärztlichen Versorgung.
Personal von MVZ wehren sich gegen „pauschale Vorwürfe“
Ein weiteres Thema, das viele Patienten beschäftigt, sind die sogenannten Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), in denen angestellte Ärzte arbeiten und die oft privaten nichtärztlichen Kapitalgebern gehören. In einem offenen Brief, der von 188 Ärzten in MVZ unterschrieben wurde, wenden sich die Betroffenen gegen „die pauschalen Vorwürfe und implizierte Geringschätzung unserer Arbeit“. Kritiker werfen den MVZ eine schlechtere und renditeorientierte Versorgung der Patientinnen und Patienten vor. Dies lasse sich zwar nicht belegen, hieß es in einer Mitteilung des Bundesverbands der Betreiber medizinischer Versorgungszentren. Dennoch seien diese Vorwürfe durch „die ständige Befeuerung aus der ärztlichen Standesvertretung“ letztendlich in der Politik angekommen.
In Essen sollen von Dienstag an Reformpläne für das Gesundheitswesen und eine bessere Gesundheitsbildung von Kindern zentrale Themen sein. Während des viertägigen Treffens wählen die 250 Delegierten auch die Führung der Bundesärztekammer neu. Gegen Reinhardt kandidiert die Vorsitzende des Ärzteverbandes Marburger Bund, Susanne Johna. Der Ärztetag ist die Hauptversammlung der Bundesärztekammer, die die Interessen von 550.000 Ärztinnen und Ärzte vertritt. (dpa)