Berlin. Die Bahn hat sich einen PR-Trick einfallen lassen: Spitzenköche sollen ICE-Reisende auf den Geschmack bringen.
Berlin. Was ist das Schönste am Bahnfahren? Die Lokführer-Lyrik. Vor allem der Schlussteil, wenn’s ums Eingemachte geht. „Wir begrüßen Sie auch in unserem Bordrestaurant.“ Dann kommt die aktuelle Speisekarte und damit die Stunde der freien Poesie. „Wie wär’s heute mal mit...“, flötet der Zugchef in nur mühsam kontrolliertem Sächsisch. Pause. Knacken im Lautsprecher. „Gänsefleisch mal dort vorne die Weiche enteisen?“
Die Bahn hat Probleme. Die ICEs sind notorische Sensibelchen, und ein etwas heftigerer mitteleuropäischer Winter gibt dem Ganzen den Rest. Just in diesem Moment verordnet sich die Bahn eine kulinarische Benefizaktion.</p><p>Von Februar an spendieren deutsche Spitzenköche Rezepte für die Zugrestaurants der Bahn, 50 Cent von jedem Gericht gehen an Hilfsprojekte in Afrika -- ausgewählt von Sternekoch Eckart Witzigmanns Initiative „Spitzenköche für Afrika“ und Karlheinz Böhms Stiftung „Menschen für Menschen“. Profitieren werden alle: Die Bahn, weil sie Gutes tut und das Image ihrer Menüs aufwerten will -- und die Spendensammler, weil sie nach der spendenreichen Weihnachtszeit mit ihren Hilfsprojekten nicht gleich wieder in Vergessenheit geraten.
Und die Köche? Keiner von ihnen steht bei 250 Stundenkilometern im ICE und schrubbt Gemüse. Poliert wird hier vor allem das Image dieser aktuellen deutschen Heldengattung: Kochen ist längst mehr als der neue Sex der Deutschen und beliebte Fernsehköche mehr als lustige Vorturner am TV-Herd.
Wie Jamie Oliver in England sind Sarah Wiener, Eckart Witzigmann oder Tim Mälzer für die Deutschen eine Mischung aus Popstar, Seelenpfleger und Ernährungsberater -- kurz: nationale Wohlfühlpromis.</p><p>Der Plakatkünstler Klaus Staeck, Spitzenkoch in der Kategorie polemisches Hackfleisch, hat den Hang der Deutschen zu Helden aus der Praxis bereits Ende der Neunziger festgestellt: „Ein Volk, das solche Boxer, Fußballer, Rennfahrer und Tennisspieler hat, kann auf seine Universitäten ruhig verzichten“, ätzte Staeck. Heute müsste er die Fernsehköche dazunehmen: Als Leib-und-Seele-Lehrer der Nation versuchen sie den Deutschen beizubiegen, dass Selbstkochen nicht nur gesünder ist, sondern auch zufriedener macht als Tütensuppe. Vordenker sind out, Vormacher sind in.
Der 81-jährige Karlheinz Böhm hofft, mit dem Erlös aus den Bahn-Menüs eine neue Schule in Äthiopien bauen zu können. Die beteiligten TV-Köche haben andere Sorgen: „Ich muss erst mal die Qualität sichern, bevor ich entscheide, was ich koche“, sagt der 36-jährige Gelsenkirchener Björn Freitag. Er ist zum Glück erst im April an der Reihe. Sein Schweizer Kollege Andreas C. Studer hat sich dagegen schon entschieden: Im Februar gibt es die Kartoffelsuppe „Heidi und Peter“ für 4,90 Euro und den Berner Sauerbraten „Suure Mocke“ für 14,90 Euro. Von der Großküche vorgekocht, in Plastikfolie eingeschweißt, im Zug fertig gekocht. Wie’s ihm schmeckt? „Genauso wie ich mir das vorgestellt habe“, sagt Studer.
Im Mai wird dann bei der Bahn nach Sarah Wiener gekocht, im August nach Tim Mälzer, im November nach Horst Lichter. Alle drei ließen sich entschuldigen, als die Bahn am Montag in Berlin die neue Benefizaktion vorstellte. Auch Bahnchef Rüdiger Grube hatte Wichtigeres zu tun, als für Kartoffelsuppe mit dem Copyright eines Küchenpromis zu werben. Und Eckart Witzigmann schließlich hatte die Grippe.
Gut möglich übrigens, dass viele Bahnfahrer im Zugrestaurant sogar noch 50 Cent drauf legen würden -- für bessere Fahrgastinformationen, solidere ICE-Wartungsdienste und bessere Werkstattkapazitäten. Dass die Lokführer der Bahn jetzt schon üben, wie man entnervten Verspätungsopfern Schweizer Sauerbraten schmackhaft macht, ist dagegen nur ein Gerücht.