Trondheim.. Die Klimakrise trifft auch NRW, immer wieder mit extremen Folgen. Ein aussichtsloser Kampf? In Trondheim arbeiten sechs Forscher an Lösungen.
Zwischen der tragischen Flutkatastrophe in NRW und dem extremen Niedrigwasser im Rhein liegen gerade einmal zwölf Monate. Drückten sich die Wassermassen im Juli 2021 mit aller Wucht und aller Zerstörung vorwärts, kamen im Juli 2022 Flüsse teils zum Erliegen. So oder so: Die steigende Kohlenstoffdioxid-Belastung (kurz CO2-Belastung) beschleunigt den Klimawandel. Je mehr CO2 in der Atmosphäre ist, desto heißer wird es auf der Erde. Und umso schneller ändert sich das Klima, ändert es sich hin zu Extremen, wie Flutkatastrophen oder Niedrigwasser - ändert sich unser Leben.
Sechs innovative Ideen gegen die Klimakrise
Doch sechs Wissenschaftler in Trondheim (Norwegen) wollen die Welle brechen - mit sechs innovativen Ideen und Projekten.
"Wir erfahren gerade, welche Auswirkung die Erwärmung der Erde um 1,1 Grad hat", sagt der Norweger Nils Rokke. Fast alle Staaten der Erde hatten sich 2015 auf der Klimakonferenz in Paris darauf geeinigt, die globale Erwärmung auf insgesamt maximal 1,5 Grad zu begrenzen. Dafür müsste der CO2-Ausstoß, vor allem in der Industrie, reduziert werden - zwischen 2045 und 2060 auf Null zurückgefahren werden. Es bleibt also wenig Spielraum. Wenig Spielraum, den Wissenschaftler um Nils Rokke am norwegischen Forschungsinstitut Sintef in Trondheim bestmöglich nutzen möchten.
Ist das 1,5-Grad-Ziel realistisch?
Doch ist das 1,5-Grad-Ziel überhaupt realistisch? Lässt sich der Klimawandel aufhalten? Und welche neuen Technologien benötigt die Menschheit, um eine Chance zu haben? In dem unabhängigen Sintef in Trondheim - einer der größten Forschungseinrichtungen in Europa - tüfteln fünf Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin an den Lösungen der Klimakrise.
“Wir werden die 1,5-Grad-Grenze wohl übertreffen”, erklärt Nils Rokke. Er arbeitet beim Sintef in Trondheim als Vize-Präsident Nachhaltigkeit. “Wir sind mit unserer Antwort auf diese Herausforderung sehr spät dran”, sagt er.
Blauer Wasserstoff: Eine "Schlüsseltechnologie"
Sehr spät, es ist eine dieser Formulierungen, die im Kampf gegen den Klimawandel häufig fällt. “Die Politik ist sehr langsam”, sagt Nils Rokke.
Und dabei ist er schon sehr lange dabei, Lösungsansätze für den Klimawandel zu erarbeiten. Immer im Mittelpunkt auch seiner Laufbahn: Gas.
Wasserstoff ein wichtiger Energieträger
“So sauber wie möglich” sollte das Verbrennen vor Jahren schon sein. Jetzt soll es am besten funktionieren, ganz ohne klimaschädliches Kohlenstoffdioxid in die Umwelt zu pusten. Und das auch bei der Herstellung von Wasserstoff, wohl einem der wichtigsten Energieträger der Zukunft.
Die deutsche Stiftung Klimaneutralität bezeichnet ihn gar als Schlüsseltechnologie. So kann er als Energieträger im Schiffs- oder Flugverkehr, aber auch in der Industrie eingesetzt werden. Doch Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff.
“Wir sind so lange farbenblind, wie der Wasserstoff blau oder grün ist”, sagt Nils Rokke. Zur Farbenlehre: Grauer Wasserstoff wird durch Gas gewonnen, bei dem Prozess wird CO2 in die Atmosphäre abgegeben. 900 Millionen Tonnen. Jedes Jahr. Weltweit. Grüner Wasserstoff wird durch erneuerbare Energien gewonnen - der "Champion" in der Wasserstoff-Herstellung.
"Er ist wettbewerbsfähig"
Aber: Bei nur 30 Prozent Anteil von erneuerbaren Energien im Energiemix in Europa steht die Entwicklung noch ganz am Anfang. Also, um sie mit einem Fußball-Turnier zu vergleichen, nicht vor dem Finale, sondern eher in der Gruppenphase - es ist noch ein langer Weg.
Einen Schritt weiter, in der K.o-Phase des Turniers, bewegt sich der Blaue Wasserstoff. “Wir können ihn in großen Mengen produzieren, er ist verfügbar und er ist wettbewerbsfähig”, erklärt Nils Rokke, der seinen Doktor in thermischer Energie gemacht hat. Deutschland könne ihn aus Norwegen importieren.
Allerdings: Einen wirklich guten Ruf hat er auch in Deutschland nicht, der Blaue Wasserstoff. Grund dafür ist auch eine Studie zweier Forscher aus dem Jahr 2021.
Sie kommt zu dem Schluss, dass der Blaue nur wenig besser sei als der Graue. Durch undichte Stellen werde bei der Produktion ähnlich viel CO2 freigesetzt. “Kein guter wissenschaftlicher Text”, sagt Nils Rokke, “wenn ich bei meiner Herstellung grundsätzlich von einem Leck von fünf bis sechs Prozent ausgehe, dann brauche ich es auch nicht zu machen.” Insgesamt seien es viele "komische Artikel" zu dem Thema in der Vergangenheit gewesen.
Blauer Wasserstoff: Norwegen investiert
Doch derzeit ändere sich etwas, sagt Nils Rokke. Die norwegische Regierung investiere in den Blauen Wasserstoff. “Das hätten wir schon vor 20 Jahren machen sollen”, erklärt er - sehr spät also, mal wieder. Dabei gibt es das erste CCS-Projekt seit 1996. CCS (Carbon Capture Storage oder "CO2-Abscheidung und -Speicherung") ist für den Blauen eine Grundbedingung.
“CCS wird seit mehr als 20 Jahren entwickelt”, sagt Eirik Falck da Silva, “aber sehr wenig ist bisher mit Blick auf die Einführung passiert”. Dabei “muss”, so sagt es der CCS-Experte und Forschungsleiter bei Sintef Energie, diese Technologie eigentlich Teil der Lösung zur Klimakrise sein.
Technik "wie eine Waschmaschine"
Die Technologie funktioniert wie eine Waschmaschine. “Alles, was aus einen Kamin kommt, kann hier gefiltert werden”, erklärt er. Das CO2 werde durch Chemikalien herausgefiltert und kann dann transportiert werden. Je nach Industrie bedarf es bei der Technik noch die ein oder andere Vorstufe.
“Aber, es ist eigentlich einfach”, sagt Eirik Falck da Silva. 98 bis 99 Prozent des CO2 könne die Technologie bereits herausfiltern. “Und wir können es bei existierenden Fabriken anwenden”, erklärt er. Die deutschen Firmen BASF und Linde haben eine ähnliche Version auf den Markt gebracht.
Aktuell ginge es nicht um die Frage, wer die beste Technologie habe. “An diesem Punkt geht es nur noch darum, sicherzugehen: 'Wir haben den Willen der Politik, die CCS-Technologie auch zu ermöglichen'”, sagt der Forscher. “Die Technologien sind seit Jahren gut genug.” Doch er hofft nicht nur auf die Politik.
Öl- und Gas-Firmen als Antreiber
Ein großer Treiber wird in seinen Augen auch die Industrie sein. “Die Firmen wollen Öl und Gas noch über Jahre verkaufen”, erklärt er. “CCS ist der einzige Weg, das ohne CO2-Belastung zu machen.” Zudem seien die Öl- und Gasfirmen gut qualifiziert. Schließlich fördern sie seit Jahren Öl und Gas aus dem Boden der Nordsee und bringen die Stoffe über Pipelines nach Europa.
Die CCS-Technologie nutzt den selben Weg - nur in die andere Richtung. Plattformen in der Nordsee sollen das CO2 dann in den Boden leiten. Hier wird es dann gespeichert. Das CO2 molekularisiert, dringt in die Poren des Gesteins ein und verbleibt dann auch dort. Das dauert rund 1000 Jahre. Warum soll ein Boden, der über lange Zeit Öl und Gas gespeichert hatte, nicht auch CO2 speichern können, fragt der Wissenschaftler? Bisher, also seit 1996, gibt es keine nennenswerten Zwischenfälle, sagt er.
Doch natürlich ist nicht jeder Boden dafür geeignet. So sind auch nur gewisse Teile der norwegischen Nordsee für CCS nutzbar. Können Deutschland und andere EU-Länder davon profitieren?
"Ganz eindeutig", sagt Kristin Jordal, Chefwissenschaftlerin bei Sintef Energie. Die Schwedin arbeitet mit ihrem Projekt Accsess an einem europäischen Pilotversuch, der verschiedene Technologien und Ideen zu eben jener CCS-Lösung aufzeigen will. So ließ sich zum Beispiel auch schon Ricarda Lang, Grünen-Bundesvorsitzenden, das Projekt in Norwegen erklären.
Spuren führen auch nach Deutschland
Doch es gibt weitere Verbindungen nach Deutschland: Partner des Projekts ist die Firma HeidelbergCement. “Wie können wir einen CCS-Lösung für eine Zementfabrik entwickeln", fragt Kristin Jordal. Ein Vorteil: Wie die Zementfabrik benötige auch die Technologie zur CO2-Abscheidung “hohe Türme”. So können auch Kosten reduziert werden, weil die Infrastruktur ähnlich sei.
Per Schiff soll dann in Zukunft auch CO2 von der deutschen Zement-Fabrik aus Hannover nach Norwegen transportiert werden. Die Route führt aus Niedersachsen per Schiff zu einem Terminal in der Nordsee, von dort aus geht es per Schiff weiter hoch in den Norden, zum sogenannten Northern-Lights-Terminal (deutsch: Nordlicht-Terminal) nach Øygarden.
"Wollen die Mengen vergrößern"
An anderen Standorten testet das Projekt-Team bereits Größenordnungen von zwei Tonnen CO2 pro Tag. “Natürlich wollen wir die Mengen vergrößern”, sagt die Schwedin. So sind 30 Tonnen pro Tag ein denkbarer nächster Schritt für diese Technologie. “Dann reden wir schon über eine kleine Industrie”, erklärt sie.
Doch egal welche Größenordnung, der Transport und die Einlagerung des Kohlenstoffdioxid geschieht - in den allermeisten Fällen - ohne die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.
Allerdings dringend erforderlich: “Die Bevölkerung muss involviert werden”, fordert Kristin Jordal. “Oder zumindest verstehen, was CCS ist und wissen, dass es nicht gefährlich ist.” Damit das in Zukunft gelingt, will auch die Fraunhofer-Gesellschaft aus Deutschland bei der Aufklärung helfen.
Klima und Umwelt bei vielen Städten auf der Agenda
Ein Vorteil: In vielen Städten stehen Klima und Umwelt weit oben auf der Prioritätenliste. “Diese Überlegungen können eine Nachfrage nach CCS verschärfen”, erklärt sie.
“Es bleibt ein Kampf, wenn ich auf die Gesellschaft und ihre Priorität blicke”, erklärt sie. Das Beste, was sie derzeit machen kann? “Den wissenschaftlichen Fortschritt zu erklären und zu sagen: ‘Das ist, was uns die Wissenschaft sagt’”.
“Avocados in Norwegen”, sagt Petter Rokke. Eine Aussage, die eher weniger wissenschaftlich klingt. Eine Aussage, die eher nach einer Geschäftsidee, die an einem langen Abend in der Kneipe entstanden ist, als nach realistischem wissenschaftlichen Fortschritt klingt.
Normalerweise wächst die Frucht in Mexiko und in Zentralamerika - also vor allem in warmen teils heißen Klimazonen. Doch der norwegische Wissenschaftler ist überzeugt: Bald kann es Avocado-Farmen hoch oben im eher kalten Norwegen geben. Doch wie will der Avocado-Kerl, so wird er mittlerweile auch in wissenschaftlichen Runden genannt, seinen Plan umsetzen? “Überschusswärme”, sagt Petter Rokke, Forschungsleiter beim Sintef in der Abteilung Wärmenergie.
Verschwendete Wärme: Viel Potenzial
Und davon gibt es einige, nicht nur in Norwegen. 50 Prozent des Energieverbrauchs in der EU werden laut Petter Rokke für das Erhitzen oder das Kühlen unter anderem in Gebäuden oder in industriellen Prozessen benötigt. Und in vielen Fällen wird die erzeugte Wärme dann wieder einfach so an die Umwelt abgegeben. Ein Potenzial, das der Sintef-Wissenschaftler nutzen möchte.
Wie zum Beispiel in einer Molkerei: Hier wird bei der Milcherstellung Eiswasser mit einer Temperatur von 0,5 Grad zum Kühlen verwendet. Bei der Kühlung dieses Wassers werden 20 bis 35 Grad Celsius an Hitze an die Umgebung abgegeben. Im späteren Prozess wird zum Pasteurisieren der Milch Wärme benötigt (115 Grad Celsius). Hier wird neue Wärme hinzugeführt und danach ebenfalls an die Umwelt abgegeben. Die zuvor erzeugte Wärme ist verloren.
Eine Menge an Wärme-Potenzial also, bemerkte auch der deutsche Forscher Christian Schlemminger aus dem Team von Petter Rokke. Er war an der Entwicklung einer Hochtemperatur-Wärmepumpe beteiligt, die unter anderem auch die entstehende Abwärme nutzt und wieder in den Kreislauf der Molkerei zurückführt. 60 Prozent an Energie konnte eben so eine Molkerei in Norwegen damit einsparen.
Für eine mit Erdgas arbeitende Molkerei läge das Einsparpotenzial nach Angaben der Wissenschaftler bei bis zu 94 Prozent - dementsprechend geringere CO2-Emissionen könnte es geben.
Verschwendete Wärme: Technologie für Städte und Gebäude
Eine Technologie, die aber nicht an den Wänden einer Molkerei aufhören muss. So ist Petter Rokke überzeugt, dass die in der Industrie gewonnene Wärme auch für Gebäude oder andere Industrien genutzt werden kann. Die Industrie solle nicht nur Verbraucher, sondern auch Energieerzeuger für die Gesellschaft sein.
In der EU bestehe der Energiemix neben fossilen Brennstoffen - wie zum Beispiel Gas - aus den regenerativen Energien Wind und Solar. "Wir müssen uns aber von fossilen Brennstoffen verabschieden", sagt Petter Rokke. Und damit meint er nicht nur das russische Gas, sondern auch das norwegische.
Einem Mix allein aus Solar- und Windenergie fehle aber die nötige Flexibilität. In diesem Bereich könnte die Überschusswärme helfen. “Wir benötigen mehr Flexibilität in unserem Energiekreislauf”, erklärt er. “Also grundsätzlich ein Energiesystem, das diese Flexibilität ausbaut und fördert.”
Auch bei Alexis Sevault steht Flexibilität im Mittelpunkt seines Hitzespeicher-Projekts: Ziemlich flexibel verändert das Material - zum großen Teil besteht es aus Paraffinen - immer wieder die Konsistenz, so erklärt es der französischer Forschungsleiter bei Sintef Energieforschung. Das Material hat also genau die Konsistenz, wie es gerade benötigt wird. “Wenn es flüssig ist, ist es geladen, wenn es kristallisiert ist, ist es entladen”, sagt er.
Hitzespeicher: Lebenszeit von "mindestens" 25 Jahren
Denn zur flexibleren und kostengünstigeren Erwärmung - beispielsweise von Bürogebäuden - hat der Forscher einen Hitzespeicher entwickelt. Grundsätzlich überall dort anwendbar, wo eine wasserbasierte Heizung installiert ist. Eine Technologie mit einer Lebenszeit von 25 Jahren, “mindestens, es war noch keiner in der Lage die Technik länger zu testen”, sagt Alexis Sevault.
Und so funktioniert die Technik, wenn der Hitzespeicher aufgeladen ist: Wasser wird in einem Bürogebäude durch eine Wärmequelle auf 40 Grad Celsius aufgeheizt, läuft durch das Gebäude und erwärmt die Räume. Wenn es dann wieder zurückfließt, hat es sich - beispielsweise - um zehn Grad auf 30 Grad Celsius abgekühlt. Fließt das Wasser dann am Hitze-Speicher vorbei, erwärmt er das Wasser dann mit der gespeicherten Wärme auf 37 Grad Celsius.
Hitzespeicher sorgt für weniger Energieverbrauch
Die restlichen drei Grad übernimmt dann die herkömmliche Wärmequelle. Diese hat dann weniger Arbeit und auch einen geringeren Energieverbrauch. An warmen Tagen schickt der Hitzespeicher das Wasser wieder mit 40 Grad zurück - die Wärmequelle hat keine Arbeit mehr.
Im Optimalfall ist die weitere Wärmequelle eine Wärmepumpe. “Wer noch keine hat, sollte sich eine zulegen”, sagt Alexis Sevault. Sollte es zu kalt werden, ist das Gebäude mit dem Fernwärmenetz verbunden.
Hitzespeicher: Pilot steht in Trondheim
Aufgeladen werden kann der Hitzespeicher dann durch die Wärmepumpe oder über das Fernwärmenetz. Oder aber über das warme Wasser, das, nachdem es das Gebäude erhitzt hat, wieder vorbeifließt.
Seinen Piloten hat der Forscher auf dem Gelände der Universität in Trondheim aufgebaut. Der silberne Kasten, von einer Größe von schätzungsweise drei mal fünf Metern, kann das gesamte Labor-Büro-Gebäude vier Tage lang erwärmen.
“Dieselbe Logik funktioniert auch bei wesentlich höheren Temperaturen”, erklärt der Forscher. “Oder auch bei geringeren.” Denn das System kann auch zur Kühlung eingesetzt werden.
Hitzespeicher: Steigendes Interesse der Industrie
Dementsprechend sei die Industrie in Norwegen interessiert. Denn: In Norwegen ändert sich der Strompreis minütlich - auch für den Verbraucher. Wer tagsüber Strom einkauft, zahlt meist mehr als nachts, weil der Verbrauch in der Nacht geringer ist. Wann der Hitzespeicher Strom aus dem Netz einkauft, regelt eine Künstliche Intelligenz, je nach Strompreis und kalkuliertem Wärmeverbrauch.
Für das Laborgebäude allerdings nur selten ein Thema: Es produziert durch Solar-Module seinen eigenen Strom. Diese sind auch in den Außenwänden des Gebäudes angebracht. Steht also in Trondheim die Sonne im Winter nicht so hoch am Himmel, produzieren die Zellen trotzdem Strom - sobald die Sonne die Hauswand erreicht.
“Noch effektiver sind aber die Solarmodule, die der Sonne folgen”, erklärt Martin Bellmann, Senior Business Developer beim Sintef und gebürtig aus Sachsen. Auf dem höchsten Dach der Universität hat er mehrere Solar-Module in verschiedenen Winkeln installiert. Auch hier gibt es ein Modul, das vertikal montiert auf dem Dach steht - ähnlich wie an der Fassade des Labors in Trondheim.
Immer mehr Menschen zieht es in die Stadt. Module, die der Sonne folgen, haben hier meist keinen Platz. Auf der anderen Seite steigt der Bedarf an umweltfreundlicher Energie. Dementsprechend haben Martin Bellmann und seine Kollegen die Module entwickelt, die in der Fassade von Gebäuden eingebaut werden können.
„Photovoltaikmodule mögen es kalt, erreichen aber ohne weiteres 60 bis 80 Grad Celsius an sonnigen Tagen“, erklärt Martin Bellmann. „Mit zunehmender Temperatur bringt das Photovoltaikmodul entsprechend geringere Leistungen. Wohin also mit der Wärme? Warum also nicht Strom und Warmwasser mit einem System erzeugen“.
Das Forschungsteam des Sintef hat einen Prototypen entwickelt, ein Kombimodul, dass sowohl für Photovoltaik wie auch für Solarthermie genutzt und einfach in das Gebäude integriert werden kann. Solarthermie bezeichnet die Umwandlung von Sonnenenergie in Wärme.
Solarmodule: Deutscher forscht in Norwegen
“Technologien für eine bessere Gesellschaft” - der Leitspruch des Sintef ist mittlerweile auch Bellmanns persönliches Motiv geworden. Seit 15 Jahren forscht der Deutsche hier in Norwegen im Bereich der Solartechnik.
Dabei hatte gerade Deutschland in den 2000er Jahren eine Solarindustrie, die den Markt weltweit dominierte. Die Branche begann rasant zu wachsen, so dass ausländische Mitbewerber einstiegen. Ausländische Unternehmen übernahmen das deutsche Know-how und bauten in ihren Ländern riesige Produktionsstätten für Solarzellen und Module. „Aufgrund der verfügbaren billigen Arbeitskraft war die deutsche Solarindustrie nicht mehr konkurrenzfähig“, sagt Martin Bellmann. Keineswegs optimal aus seiner Sicht.
"Müssen endlich zu Potte kommen"
“Wir müssen endlich zu Potte kommen”, erklärt er. Speziell aus der Politik - auch aus der seines Heimatlandes - wünsche er sich mehr Unterstützung. "Die erneuerbaren Energien müssen endlich ausgebaut werden", sagt Martin Bellmann. Doch häufig bleibe es bei leeren Versprechungen. “Es frustriert schon”, erklärt er.
Doch Frust oder “Angst ist kein guter Ratgeber”, erklärt Martin Bellmann. “In jeder Krise steckt auch eine Chance.”
Denn noch ist sie da, die Chance. Noch hat die Menschheit die Chance, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Den Klimawandel mit all seinen Risiken und Extremen zu begrenzen. Aufgeben also?
Das ist das Forschungsinstitut Sintef in Norwegen (Trondheim):
- Das Sintef in Trondheim ist eine unabhängige Forschungseinrichtung und gehört zu den größten in Europa.
- 2200 Angestellte aus 75 Ländern arbeiten hier an kleineren und größeren Forschungsprojekten.
- Neben Themenbereichen wie Infrastruktur, Transport oder Digitalisierung stehen auch erneuerbare Energien, die Umwelt und das Klima wie aber auch Gas und Öl im Mittelpunkt der Forschungen.
Diese Reportage ist im Rahmen des Projekts "Talents2Norway" entstanden und wurde unterstützt von "Visit Trøndelag" und "Business Norway".