Köln. Der Kölner Kardinal Woelki steht wegen des Missbrauchsskandals massiv in der Kritik. Er selbst sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt.
Schon lange war kein deutscher Kirchenmann mehr so umstritten wie der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur verteidigt er sich unter anderem gegen den Vorwurf, mithilfe einer PR-Agentur den Beirat von Missbrauchsbetroffenen manipuliert zu haben. Außerdem schildert er, wie es war, als er plötzlich den Namen eines Freundes auf einer Liste von Missbrauchstätern entdeckte.
Papst Franziskus hat Sie Anfang des Jahres aufgefordert, Ihren Rücktritt einzureichen, was Sie getan haben. Seitdem überlegt der Papst, ob er Ihr Gesuch annimmt oder nicht. Diese Woche waren Sie selbst in Rom. Hat der Papst Ihnen gesagt, wie seine Entscheidung ausfallen wird?
Wir haben miteinander gesprochen, und es war eine sehr herzliche, offene und freundliche Begegnung. Aber dieses Thema ist nicht angesprochen worden.
Sie sind Anfang März aus Ihrer fünfmonatigen Auszeit zurückgekehrt und haben die Gläubigen um eine „zweite Chance“ gebeten. Inzwischen scheint die Möglichkeit für einen Neuanfang vertan. Die Fronten sind wieder verhärtet, die Stimmung ist verbittert.
Das sehe ich nicht so. Dass es da in jüngster Zeit zu Irritationen gekommen ist, hängt sicherlich auch mit einer Berichterstattung zusammen, von der ich denke, dass sie nicht die Realität abgebildet hat. Da wurde der Eindruck erweckt, ich hätte den Betroffenenbeirat instrumentalisiert - zu meinem eigenen Machterhalt. Das war definitiv nicht so.
Tatsache ist doch aber, dass Sie eine PR-Agentur engagiert haben, die Ihnen dann empfohlen hat, in der Auseinandersetzung um ein nicht veröffentlichtes Missbrauchsgutachten den Beirat von Betroffenen sexuellen Missbrauchs auf Ihre Seite zu ziehen.
Nein, das ist so nicht gewesen. Die PR-Agentur hat lediglich den Auftrag gehabt, zu überlegen: Wie können wir das Gespräch mit den Missbrauchsbetroffenen verantwortlich gestalten? Dafür hat die Agentur unterschiedliche Szenarien entwickelt, sechs genau, und uns vorgelegt. Wir haben den Betroffenenbeirat in keiner Weise instrumentalisiert oder unter Druck gesetzt. Leider hat sich ein damaliger Teilnehmer der Sitzung im Nachhinein anders geäußert, was mir sehr leid tut.
Sollte ein Kardinal sein Schicksal nicht in Gottes Hand legen anstatt in die Hände einer PR-Agentur?
Ich bin immer dafür, dass wir unser aller Schicksal in Gottes Hand legen, aber auf der anderen Seite gelten in dieser Welt nun mal bestimmte Gesetzmäßigkeiten. Und wenn eine große Organisation - wir haben viele, viele Mitarbeiter - in eine krisenhafte Situation hineingerät, sollte man sich professionelle Unterstützung holen.
Die Dienste der Agentur haben insgesamt 820 000 Euro gekostet. Mit diesem Geld hätten Sie viel Gutes tun können. Sie haben sich anfangs zum Beispiel sehr für Flüchtlinge eingesetzt.
Das tun wir auch weiterhin, wofür ich den Beteiligten sehr dankbar bin. Und natürlich hätte ich auch dieses Geld gern für solche Projekte eingesetzt. Aber wir haben uns eben auch der Aufarbeitung des Missbrauchs verschrieben.
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Aufarbeitung klar - aber hier geht es ja um PR.
Wir mussten die Ergebnisse ja auch kommunizieren. Und anfangs wurden uns Fehler in der Kommunikation vorgeworfen. Später dann nicht mehr. Professionalität kostet Geld. Wir sind aber im finanziellen Rahmen dessen geblieben, was von den Bistumsgremien genehmigt worden war.
Müssen Sie im Rückblick nicht sagen, dass es ein Fehler war, diese Agentur zu engagieren?
Ich glaube, dass wir ohne deren Unterstützung in noch schwierigere Fahrwasser hineingeraten wären.
In der Kritik stehen Sie auch wegen Ihres Umgangs mit Missbrauchstätern. Nehmen wir den Fall Winfried Pilz, den 2019 gestorbenen Chef der Sternsinger, gegen den es ebenfalls Missbrauchsvorwürfe gibt. Da sagen Sie, dass Sie bis Juni dieses Jahres gar nicht mit seinem Fall „befasst“ gewesen seien. Was heißt „befasst“?
Ich habe am 24. Juni eine E-Mail des damaligen Generalvikars bekommen, in der er mir sagte: „Wir müssen am Wochenende in den Gemeinden, in denen Pilz gewesen ist, einen Aufruf starten. Wir haben da neue Hinweise bekommen.“ Das war das erste Mal, dass ich von den Vorwürfen gehört habe. Für den 27. Juni war dann ein Gespräch von mir mit einem mutmaßlichen Betroffenen geplant. Dafür hat mich ein Mitarbeiter unserer Interventionsstelle für sexuellen Missbrauch an diesem Tag 20 Minuten über die Vorwürfe gegen Pilz informiert.
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Es gibt ja eine Recherche, in der Ihre eidesstattliche Versicherung, erst Ende Juni von den Vorwürfen gegen Pilz erfahren zu haben, angezweifelt wird. Begründung: Ihre Büroleiterin hat bereits Anfang Mai einen Termin mit dem Betroffenen vereinbart. Folglich seien Sie schon früher mit dem Fall befasst gewesen.
Nein, das war nicht so. Sondern da hat sich jemand gemeldet, der als Missbrauchsbetroffener mit mir sprechen wollte. Mein Sekretariat hat ihm dann natürlich einen Termin gegeben, ohne zu wissen, wen er da gegebenenfalls beschuldigen würde. Insofern widerspricht das überhaupt nicht meiner eidesstattlichen Erklärung. Ich werde garantiert nicht hingehen und als Bischof einen Meineid leisten.
Um das noch einmal festzuhalten: Sie wussten bis dahin nichts von den Vorwürfen gegen Pilz? Sie wussten nicht, dass ihm auch Missbrauch zur Last gelegt wird?
Genau.
Aber wenn das so ist, dann ist das doch ein Riesenversäumnis Ihrer Mitarbeiter. Die hätten Sie doch unbedingt informieren müssen, dass gegen diese herausragende Persönlichkeit, diese frühere Lichtgestalt auch Vorwürfe vorliegen.
Naja, Moment mal. Erstens ist dieser Fall abgeschlossen gewesen unter meinem Vorgänger Kardinal Meisner 2014...
...abgeschlossen gewesen mit der Auflage, er darf sich nicht mehr ohne Erwachsene Kindern nähern.
Ja, aber Sie wissen, dass er erstens nicht mehr in unserem Bistum gelebt hat, sondern im Bistum Dresden-Meißen. Es ist ein Versäumnis gewesen, dass man das damals, 2012, nicht nach Dresden gemeldet hat, aber davon wusste ich nichts, davon konnte ich nichts wissen, weil die Bearbeitung des Falls bei meiner Ankunft in Köln abgeschlossen war. Zweitens ist dieser Fall auch im Missbrauchsgutachten von Gercke gewesen, aber so anonymisiert, dass ich Pilz nicht dahinter gesehen und vermutet habe. Das ist das Faktum.
Jetzt gibt es ja diese berühmte Liste mit den Namen von Missbrauchstätern, die Sie sich 2015 haben vorlegen lassen. Nicht nachvollziehbar ist, dass Sie sagen, Sie wüssten nicht mehr, welche Namen da drauf gestanden haben. Sowas brennt sich einem doch ein.
Was mich vor allem schockiert hat, war, dass sich ein Freund, mit dem ich über viele Jahre in Urlaub gefahren bin, auf dieser Liste befand. Das ist das, was sich mir in mein Gedächtnis eingebrannt hat und was mich emotional bis heute bewegt und natürlich auch persönlich belastet. Ich kann Ihnen wirklich beim besten Willen nicht sagen, wer sich da sonst drauf befunden hat.
Zur Person
Rainer Maria Woelki (66) steht seit 2014 an der Spitze des größten deutschen Bistums. In die Kritik geriet er 2020, als er entschied, ein Gutachten zum Umgang von Bistumsverantwortlichen mit Missbrauchsvorwürfen aufgrund von rechtlichen Bedenken nicht zu veröffentlichen.