Essen. . Der Essener Forscher Ulf Dittmer betont: Wir forschen an dem Virus erst ein paar Monate - absolut sichere Erkenntnisse kann es noch nicht geben.

Lockerungen ja oder nein? Kommt die zweite, dritte, zwölfte Pandemiewelle? Zu allem werden sie gefragt, zu allem sollen sie Antworten haben: Die Virologen sind derzeit so ein bisschen die Stars der Wissenschaft - und mussten zuletzt herbe Kritik einstecken. Weil sie sich gegenseitig und manchmal sogar sich selbst widersprechen zum Beispiel bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit der Heinsberg-Studie oder des Nase-Mund-Schutzes.

Ulf Dittmer, Direktor des Instituts der Virologie an der Uniklinik Essen, findet die Kritik an solchen Widersprüchen allerdings nicht ganz fair. Wie er im Interview mit unserer Redaktion betont, liege es in der Natur der Sache und der Forschung, dass wir uns bei Fragen rund um das Coronavirus dauernd in Grauzonen bewegen: "Das Coronavirus ist neu, und man kann bisherige Erkenntnisse nicht einfach übertragen", so Dittmer. So sei man zum Beispiel anfangs davon ausgegangen, dass es wie Grippeviren von Kindern sehr leicht weitergegeben wird. Alle Eltern kennen diese Erfahrung: Ein grippekrankes Kind heißt: Bald liegt die ganze Familie flach. Aber beim Coronavirus ist es eben nicht so – jedenfalls ganz anders.

Das Virus hält sich nicht an schwarz oder weiß

Virologe rechnet nicht mit Infektions-Anstieg

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    Deshalb arbeiten derzeit tausende Forscher daran herauszufinden, wie das Virus wirklich funktioniert. "Diese Studien sind langwierig", betont Dittmer – und bevor sie nicht abgeschlossen sind, gibt es kein klares Bild - und man tastet sich nur langsam vorwärts bei den Erkenntnissen. Und manchmal müsse man Theorien eben auch wieder verwerfen.

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    Hinzu komme: In der Virologie gehe es immer um Risikoabschätzung, nie um absolute Ereignisse. Ein Virologe könne nur sagen: Unter diesen oder jenen Umständen steigt oder sinkt das Risiko, sich zu infizieren – das Ergebnis sei nie ja oder nein, 0 oder 1, unterstreicht Dittmer. Beispiel Coronavirus: Inzwischen wisse man, dass Schmierinfektionen sehr unwahrscheinlich sind – aber unmöglich sind sie eben auch nicht. Das sei manchmal schwer zu vermitteln, weil der Mensch natürlich gerne hören möchte: Wenn ich mich an diese Regel halte, passiert mir nichts. Das Virus aber hält sich nicht an schwarz und weiß. „Wir kennen das Virus jetzt erst ein paar Monate und seitdem wird daran geforscht. Dass die Antworten vor zwei Monaten noch andere waren als jetzt, ist völlig normal – und das darf man den Forschern auch nicht vorwerfen."

    Trotz Lockerungen kein Anstieg der Infektionen erwartet

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    Dittmer selbst legt sich fest: Trotz der neuen Lockerungen rechnet er (Ausreißer wie in Coesfeld ausgenommen) nicht mit steigenden Infektionszahlen – solange sich die Menschen im Alltag an das Abstandsgebot halten und Mund-Nase-Schutz tragen sowie große Menschenansammlungen verboten bleiben.

    Zudem erwartet er, dass die steigenden Temperaturen die Ausbreitung bremsen. Auch da widerspricht er anderen Virologen, die das ganz und gar nicht für ausgemacht halten. Aber wir werden es erst wissen, wenn der Sommer vorüber ist. (ftg)

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