Berlin. Aus Sicht der Weltgesundheitsorganisation hat Europa in der Corona-Pandemie vorerst das Schlimmste überstanden. Aber stimmt das auch?

Westeuropa ist in der Corona-Krise bereits über den Berg. Zu dieser Einschätzung kommt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). „Bei den Epidemien in Westeuropa sehen wir Stabilität oder einen absteigenden Trend“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Die Lage in Osteuropa, Afrika, Zentral- und Südamerika sei hingegen besorgniserregend. Dennoch sei bei der Aufhebung des Lockdowns generell Vorsicht geboten, warnte Tedros. Ein Überblick über die Ausbreitung des Virus in ausgewählten westeuropäischen Ländern.

Coronavirus in Italien: Entspannung nach dramatischen Wochen in Sicht

Seit dem 11. März warten die Italiener sehnlichst darauf das Haus verlassen zu dürfen. Nachdem Ministerpräsident Giuseppe Conte zunächst Norditalien zum Quarantänegebiet erklärt hatte, weitete er am 11. März die Ausgangssperren auf das ganze Land aus. Er ließ sämtliche Geschäfte schließen, die nicht Lebens- oder Arzneimittel verkaufen.

Ein Arbeiter desinfiziert ein Bekleidungsgeschäft in Turin. Die Zahl der Todesfälle und Neuinfizierten im Zuge der Corona-Epidemie ist in Italien weiter gestiegen, die Kurve aber flacht allmählich ab.
Ein Arbeiter desinfiziert ein Bekleidungsgeschäft in Turin. Die Zahl der Todesfälle und Neuinfizierten im Zuge der Corona-Epidemie ist in Italien weiter gestiegen, die Kurve aber flacht allmählich ab. © dpa | Fabio Ferrari

Zehn Tage später ordnete Conte die Schließung aller nicht strategischen Betriebe an. Wer außerhalb der eigenen vier Wände Sport treiben will, muss sich auf einen Radius von 200 Metern vor der Haustür beschränken.

Erste Lockerungen traten nach Ostern in Kraft. Buchhandlungen und Geschäfte für Babykleidung durften wieder öffnen. Seit dem Höhepunkt der täglichen Neuinfektionen mit mehr als 6500 Fällen vom 21. März flacht die Kurve langsam ab. Die Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (USA) zählte bis Freitagmittag rund 190.000 Infektionen und über 25.000 Todesfälle.

Vor dem Hintergrund der leichten Erfolge der Ausgangssperren und der wachsenden Not plant die Regierung ab dem 4. Mai Lockerungen. In Fabriken und auf Baustellen soll die Arbeit wieder aufgenommen werden. Bars und Restaurants könnten vom 18. Mai an öffnen, allerdings mit wesentlich weniger Plätzen als bisher.

Spanien: Rückkehr zum Alltag noch in weiter Ferne

Wenn es nach den Experten geht, wird es für die meisten Spanier keine schnelle Rückkehr zum Alltag geben. Die Epidemiologen fordern, dass zuvor untersucht wird, wie viele Menschen eine Infektion durchgemacht haben, und somit – zumindest für eine gewisse Zeit – immun gegen das Virus sind. Bis ein Ergebnis vorliegt, dürften noch Wochen vergehen.

Madrid: Die berühmte
Madrid: Die berühmte "Puerta de Alcala" in der Stadtmitte wird zu Ehren des Gesundheitspersonals in seinem Kampf gegen das Coronavirus blau beleuchtet. In der Mitte hängt eine schwarze Schleife, die zum Gedenken an die Covid-19-Todesopfer angebracht wurde. © dpa | JOAQUIN CORCHERO

Deswegen kündigte Spaniens Premier Pedro Sánchez an, dass die kollektive Quarantäne, die – nachdem das Virus außer Kontroller geraten war – seit 15. März gilt, noch bis 9. Mai fortdauern wird.

Seit Anfang April flacht die Infektionskurve ab. Bis Freitagmittag meldete die Johns-Hopkins Universität über 213.000 Infizierte und rund 22.000 Todesfälle. Inzwischen wurde ein vorsichtiger Exit-Anfang gemacht, um die Wirtschaft nicht weiter zu lähmen. In Industrie und Bauwirtschaft darf wieder gearbeitet werden.

Handel, Gastronomie und Tourismus stehen noch still. Seit Beginn des Ausgangsverbots sind Spaziergänge und Sport im Freien verboten. Kinder dürfen ab 26. April täglich eine Stunde vor die Tür.

Frankreich: Ausharren im Lockdown

Staatspräsident Emmanuel Macron verhängte am 17. März eine rigorose Ausgangssperre, die erst ab dem 11. Mai schrittweise gelockert werden soll. Des Weiteren gilt, dass die meisten Geschäfte sowie alle Restaurants, Bars, Hotels, Sport- und Freizeiteinrichtungen geschlossen bleiben müssen.

Ein Spaziergang durch Paris in Corona-Zeiten

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    Seit mehr als fünf Wochen dürfen die Franzosen ihr Zuhause nur noch verlassen, um zur Arbeit, zur Apotheke, zum Arzt zu gehen oder um Lebensmittel einzukaufen. Außerdem sind ihnen individuelle sportliche Betätigung im Freien sowie das Gassigehen mit dem Hund erlaubt. Der Radius ist allerdings auf einen Kilometer Entfernung von der eigenen Wohnung beschränkt.

    Mittlerweile zeichnen sich erste kleine Erfolge des Lockdowns ab. In Frankreich registrierte die Johns-Hopkins-Universität bis Donnerstagnachmittag 157.135 Infizierte und 21.340 Todesfälle. Doch die Dunkelziffer dürfte wegen des Mangels an Tests wesentlich höher liegen. So schätzt das renommierte Pasteur-Institut, dass bislang rund drei Millionen Franzosen infiziert wurden.

    Schweden: Das Ziel lautet Herdenimmunität

    In Schweden hat sich das Leben seit Beginn der Corona-Krise kaum verändert. So sind alle Geschäfte, Schulen, Kindergärten, Bars, Restaurants, Fitnessstudios, Büchereien und sogar einige Kinos geöffnet. Öffentliche Versammlungen bis 50 Personen sind erlaubt. Allerdings wurde ein Besuchsverbot für Altenheime erlassen.

    Während in großen Teilen Europas die Menschen wegen der Coronavirus-Pandemie zu Hause bleiben müssen, dürfen sich die Schweden auch weiterhin in Cafes und Kneipen treffen.
    Während in großen Teilen Europas die Menschen wegen der Coronavirus-Pandemie zu Hause bleiben müssen, dürfen sich die Schweden auch weiterhin in Cafes und Kneipen treffen. © dpa | ALI LORESTANI

    Das Land verfolgt die Strategie, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden – eine Rechnung, die bislang aufging. Es gibt nach wie vor freie Betten auf den Intensivstationen der Krankenhäuser. Zudem hält sich die Mehrheit der Schweden an die Empfehlung, bei leichten Krankheitssymptomen zu Hause zu bleiben.

    Laut Gesundheitsamt steigt die Zahl der Toten sowie die der Einweisungen in Intensivstationen nicht mehr an. „Schweden lag in den letzten Tagen bei 60 bis 70 neuen Todesfällen pro Tag“, sagte Anders Tegnell, der oberste Epidemiologe im Gesundheitsamt. Die Johns-Hopkins-Universität meldete bis Freitagmittag 16.755 Infektionen und 2021 Todesfälle.

    Die Regierung in Stockholm verfolgt das zweite strategische Ziel, so schnell wie möglich eine Herdenimmunität in der gesunden jüngeren Bevölkerung zu erreichen. Laut Gesundheitsamt liegt eine Herdenimmunität dann vor, wenn 60 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus in Berührung kamen.

    Belgien: Todesrate so hoch wie sonst nirgends

    Seit einem Höchststand am 15. April hat sich die Zahl der neuen Corona-Fälle in Belgien mehr als halbiert, zuletzt auf 933 am Tag. Doch die Lage ist alles andere als beruhigend. Gemessen an der Bevölkerungszahl hat Belgien doppelt so viele Infektionsfälle wie Deutschland.

    Lebensmittelhändler dürfen wie Apotheken und Baumärkte weiter öffnen. Alles andere bleibt geschlossen.
    Lebensmittelhändler dürfen wie Apotheken und Baumärkte weiter öffnen. Alles andere bleibt geschlossen. © AFP | THIERRY ROGE

    Und vor allem: Die offizielle Corona-Todesrate ist in Belgien so hoch wie in keinem anderen Land weltweit: Laut Johns-Hopkins-Universität sind bis Freitagmittag über 6600 Menschen an dem Virus gestorben. Pro eine Million Einwohner sind das 525 Todesopfer – zehnmal so viele wie in Deutschland.

    Die Zahl der Infektionen betrug über 44.000. Unruhe gibt es deshalb aber nicht. Denn in Belgien werden nicht nur diejenigen als Corona-Opfer erfasst, bei denen ein Test die Infektion nachgewiesen hat – sondern auch alle, bei denen ein Corona-Verdacht besteht.

    Schon seit dem 16. März sind Schulen, öffentliche Einrichtungen und Restaurants geschlossen, die Geschäfte auch – außer Lebensmittelhändler, Apotheken und Baumärkte. Spaziergänge und Sport im Freien werden ausdrücklich empfohlen. Erste Lockerungen wird es voraussichtlich am 18. Mai geben.

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