München. Die Olympischen Spiele 1972 in München sollten ein Symbol für Toleranz und Frieden werden. Ein Attentat im Olympiadorf machte den Plan zunichte.
Es war dieser eine Moment, auf den die Olympia-Delegation um Willi Daume dreieinhalb Monate lang hingearbeitet hatte: Als IOC-Präsident Avery Brundage am Abend des 26. April 1966 im Excelsior-Hotel in Rom den Austragungsort für die Sommerspiele 1972 verkündete, gab es im deutschen Lager kein Halten mehr: „München!“
Dass die junge Bundesrepublik den Zuschlag für Olympia bekam, grenzte für viele Beobachter an ein Wunder: „Man muss sich mal in die damalige Zeit hineinversetzen“, sagt Michael Krause, Spieler der Hockey-Nationalmannschaft von 1972. Zu frisch war die Erinnerung an Hitlers Nazi-Regime; an die unzähligen Opfer des Zweiten Weltkriegs; und an die Spiele 1936 in Berlin, die die Nationalsozialisten für ihre Propaganda missbraucht hatten.
Die Sommerspiele in München sollten der Weltöffentlichkeit das neue Deutschland zeigen: Eine offene, selbstbestimmte Gesellschaft, die mit den Verbrechen des NS-Regimes abgeschlossen hat. Nirgendwo wurde dieser Wandel so vorgelebt wie im Olympischen Dorf: „Das war die reinste Völkerverständigung“, erinnert sich Krauses damaliger Teamkollege Werner Kaessmann.
Kontrollen am Eingang: „Jeder, der wollte, kam rein und raus“
Damit sich die Athleten zwischen ihren Wettkämpfen frei und unbekümmert im Olympischen Dorf bewegen konnten, hatte das Organisationskomitee die Sicherheitsvorkehrungen im Vorfeld der Spiele gezielt gelockert. Waren 1968 in Mexiko noch Soldaten mit Maschinengewehren im Einsatz, sorgten in München unbewaffnete, zivil gekleidete Polizisten für Sicherheit: „Mexiko-Stadt war viel militärischer und angsteinflößender“, so Krause.
Selbst an den Zugängen zum Olympischen Dorf habe es 1972 kaum Kontrollen gegeben: „Jeder, der Interesse hatte, kam rein und raus“, erzählt Kaessmann. Die Hockey-Mannschaft nutzte die eingeschränkten Sicherheitsvorkehrungen für Familienausflüge an den Lerchenauer See oder spontane Kneipenbesuche in Schwabing. Nicht selten seien einzelne Sportler an freien Tagen erst mitten in der Nacht zurückgekommen, berichtet Krause.
Zehn Tage lang schien das Konzept des Organisationskomitees aufzugehen: „Die Atmosphäre war einfach toll“, so Krause. Zweifel an der Sicherheit habe es keine gegeben: „Der Gedanke, dass was passieren könnte, war völlig abwegig“, erklärt Kaessmann. Auch Krause fühlte sich in München sicher: „Wir haben geglaubt, dass das fröhliche Spiele sind. Die ganze Welt hat das geglaubt – bis zum Attentat.“
5. September: Ein Geiseldrama erschüttert die Olympischen Spiele
Am frühen Morgen des 5. September 1972 passierte das Undenkbare: Acht palästinensische Terroristen waren im Schutz der Dunkelheit über einen Schutzzaun geklettert und hatten gegen 4.35 Uhr das Wohnquartier der israelischen Mannschaft gestürmt. Zum ersten Mal in ihrer 76-jährigen Geschichte wurden die Olympischen Spiele von einem Terroranschlag überschattet.
„Es herrschte eine große Verunsicherung“, beschreibt Krause den Tag des Attentats. „Wir sind durch das Olympische Dorf gelaufen, haben uns umgehört und den Fernseher eingeschaltet – aber Genaueres kriegten wir nicht mit.“ Bis in die Abendstunden zog sich das Geiseldrama hin. Dann ließen sich die Terroristen mit ihren Geiseln in Hubschraubern zum Flughafen Fürstenfeldbruck bringen. „Und ab da war im Olympischen Dorf Funkstille“, sagt Kaessmann.
In dem Glauben, der Krisenstab um Innenminister Hans-Dietrich Genscher könne die Terroristen zum Einlenken bewegen, gingen Krause und Kaessmann schlafen: „Wir dachten, die Sache klärt sich“, so Krause. Am nächsten Morgen dann der Schock: Alle neun Geiseln, ein Polizist und fünf der acht Terroristen waren bei einer missglückten Befreiungsaktion gestorben. Zwar ließ IOC-Präsident Brundage die Wettkämpfe nach der Trauerfeier im Olympiastadion fortsetzen; der Traum von heiteren Spielen war jedoch zerstört.