Kerpen. . Zehntausende kommen zur Kundgebung in den Hambacher Forst. Begeistert, dass sie die Rodung nicht mehr verhindern müssen - zumindest vorerst.
Besorgte Bauern haben noch am Vortag Schilder in ihre Rübenfelder an der Landstraße gesteckt: „Nahrungsmittel. Betreten verboten!“, steht darauf, alle 50 Meter etwa ein solches Schild. Doch die Sorge hätten sie sich sparen können: An diesem Tag wird am Hambacher Forst, wenn man das so sagen darf, nicht einmal einer Rübe ein Haar gekrümmt.
„Alles friedlich?“, fragt ein Aktivist zwei Polizisten im Vorbeigehen. „Alles friedlich“, sagen die. Dann lachen sie gemeinsam. Die Ironie liegt auf der Hand: Vor ein paar Tagen haben beide Seiten noch miteinander gerangelt.Doch diese Kundgebung trägt ein Lächeln im Gesicht.
Teilnehmer kamen in Bussen aus ganz Deutschland
Als „Rodungsverhinderungsdemo“ war sie geplant, doch als Rodungsverhinderer taten sich am Freitag ja schon die Münsteraner Richter hervor. Auf einem Acker wenige hundert Meter vom Hambacher Forst entfernt ist das hier daher: ein Festival, ein Happening, eine Party voller junger Leute an einem sonnensatten Tag. Wer hat, cremt sich ein.
Da sind, schätzt die Polizei, 25- bis 30.000 Menschen: Familien mit Sack und Pack, Radfahrer, Fahrgäste aus 140 gemieteten Bussen (Oberhausen, Bochum, Düsseldorf, Bonn, Köln, Frankfurt und so weiter und so fort), Kinder ohne Ende, Kinderwagen, Bollerwagen, einzelne Menschen an Krücken und in Rollstühlen.
Die Umweltbewegung ist zurück
Grüne Flaggen, rote Flaggen, gelbe Anti-Atomkraft-Flaggen; es gibt „vegane Gemüsesuppe gegen Spenden“, und ein Spendensammelmobil steht ebenso in der Menschenmenge wie die „Mobile Rechtsberatung“. Es ist zum Greifen: Die Umweltbewegung ist zurück.
„Was für uns Ältere Wackersdorf und Gorleben war, ist für die Jungen jetzt Hambach“, sagt Dirk Jansen vom „Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND)“. Und Katja Jungblut aus Mönchengladbach sagt: „Man war politisch ein bisschen eingeschlafen. Ich finde es total klasse, dass man wieder so viele Leute mobilisieren kann.“ Sie selbst hat seit Herbst letzten Jahres die Baumhütten-Bewohner mit Spenden abgelaufener Lebensmittel unterstützt, die sie in Supermärkten sammelte.
„Ihr seht doch den Wald vor lauter Bäumen nicht“
„Bagger mich nicht an“, steht auf den Transparenten. „Ihr seht doch den Wald vor lauter Bäumen nicht“. „Säge weg vom Hambacher Wald“. Die Menschen reden, sie tanzen, trommeln und singen, sie sagen Sätze wie „Wir haben RWE klein, verdammt“.
Oder: „Wir fangen an zu gewinnen, und das sollten wir feiern“. Oder: „Heute demonstrieren wir tanzend“. So sehen Siege aus. „Wir haben“, ruft der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger von der Bühne, „eine Gerichtsentscheidung, die klarmacht, dass das Argument von RWE falsch ist, Braunkohle sei unverzichtbar.“
Die Polizei macht ein freundliches Gesicht
Andere sind da skeptischer, Patrick Janz etwa, der mit seinem Sohn Timo (5) im Hambacher Wald sitzt. Warum? „Er hat das vor einer Woche im Fernsehen gesehen und hat gesagt: Papa, wenn das abgeholzt wird, und ich war nie da? Da habe ich gesagt: Wir fahren am Wochenende hin.“ Janz, ein Mann aus Viersen, hält das Münsteraner Urteil aber nur für „einen Aufschub: Wie weit das trägt, hängt von unseren Politikern ab.“
Zu Tausenden pendeln Menschen zwischen dem Acker und dem symbolbeladenen Wald, die Polizei steht dabei und macht ein freundliches Gesicht. Im weiteren Umfeld hat sie mit Verkehrsverhältnissen zu tun, die sie so nicht erwartet hat.
Noch in sieben, acht Kilometern Entfernung haben Menschen geparkt, einige wenige auch auf der Standspur der Autobahn 4. „Vier Stunden hab ich gebraucht von Düren“, sagt ein Mann – und Düren ist nur 15 Kilometer entfernt. Gegen 12 Uhr hatte die Kundgebung begonnen, jetzt ist es längst Nachmittag. Und da hinten kommen noch mehr Menschen.