Essen/Stuttgart. In Stuttgart stehen führende Mitglieder der „Osmanen Germania“ wegen versuchten Mordes vor Gericht. Handeln die „Rocker“ im Auftrag der Türkei?

Stuttgart, Ende März. Hunderte Polizisten und zwei Hubschrauber sichern den Gerichtssaal am Gefängnis in der Schwabenmetropole ab. Mutmaßliche Anführer der türkisch-nationalistischen Straßengang „Osmanen Germania“ stehen vor Gericht. Ein Anklagepunkt: versuchte Ermordung eines Abtrünnigen.

Verantworten müssen sich acht Männer: fünf Türken und drei Deutsche im Alter von 19 bis 46 Jahren, darunter ist auch der selbst ernannte „Weltpräsident“ und der Vize der „rockerähnlichen Gruppierung“, wie die „Osmanen“ von der Bundesregierung und den Ermittlungsbehörden bezeichnet werden. Den Männern wird eine Vielzahl von Gewalt- und anderen Delikten vorgeworfen, mit denen vor allem die innere Ordnung der „Osmanen“ aufrecht erhalten werden sollte. Laut Anklage wurde ein Abtrünniger fast getötet.

Die Sicherheitsmaßnahmen zum Prozessauftakt sind so hoch, weil es eine Bedrohungslage gebe, sagte Jan Holzner, Sprecher der Staatsanwaltschaft Stuttgart, ohne Details nennen zu dürfen. Die acht Angeklagten sitzen in acht verschiedenen Gefängnissen in Untersuchungshaft.

Angeschossen, gefesselt und brutal gefoltert

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Im Stuttgarter Prozess geht es in erster Linie um Strafaktionen gegen eigene Leute, etwa weil sie die „Osmanen“ verlassen wollten. Konkret geht es um einen Fall aus Herrenberg nahe Stuttgart. Dort soll ein Teil der Angeklagten - im Wissen der Anführer - ein abtrünniges Mitglied schwer traktiert haben. Auch weil dieser sich weigerte, gegen Kurden vorzugehen, wie es heißt. Ein „Osmanen“-Trupp habe dem Abtrünnigen Zähne ausgeschlagen, in den Oberschenkel geschossen, ihn bis zur Bewusstlosigkeit getreten und ihm dann die Patrone ohne Betäubung aus dem Bein geholt. Der Mann sei drei Tage gefesselt festgehalten worden, bis er fliehen konnte.

Gut 50 Verhandlungstage sind angesetzt. Demnach würde der Prozess bis Januar 2019 dauern. Doch die „Osmanen Germania“ beschäftigen nicht nur das Landgericht in Stuttgart und andere Gerichte in der Republik, sondern auch immer wieder die Politik. Das Innenministeriums in NRW etwa sieht Verbindungen zwischen den „Osmanen“ und der türkischen Regierungspartei AKP und zum Umfeld des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Und auch die Fraktion der Linken im Bundestag und der Grünen-Abgeordnete Cem Özdemir haben den dringenden Verdacht, dass es sich bei den „Osmanen“ nicht nur um eine gewöhnliche „rockerähnliche Vereinigung“ mit all ihren kriminellen Begleiterscheinungen handelt, sondern vielmehr um den „langen Arm Erdogans“, der Kurden und Gegner des Staatspräsidenten einschüchtern oder gar zum Schweigen bringen soll.

Bundesregierung: Keine eindeutigen Beweise für Verbindung zur türkischen Regierung

Alarmierend sei dies, erklärte Özdemir den Stuttgarter Nachrichten. In Deutschland dürfe „niemand Angst vor Repressionen oder gar Gewalt“ aus der Türkei haben. „Das müssen wir politisch und mit unseren Strafverfolgungsbehörden sicherstellen.“

Auch deshalb stellte Özdemir, der selber seit Jahren immer wieder von türkischen Hardlinern bedroht und beschimpft wird, der Bundesregierung aktuell eine Reihe von Fragen zu den „Osmanen Germania“, deren Antworten unserer Redaktion vorliegen.

Demnach liegen den deutschen Ermittlungsbehörden keine Beweise vor, dass es eine direkte Verbindung zwischen den „Osmanen Germania“ und der türkischen Regierung gibt. Indirekte Verbindungen seien aber durchaus geknüpft worden. „Nach Einschätzung der Bundesregierung wird der türkischen Diaspora unter den Regierungen der „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) ein hoher Stellenwert eingeräumt. Die „Union Europäischer-Türkischer Demokraten im Ausland“ (UETD) betreibt in diesem Sinne nach dem Verständnis der Bundesregierung Lobbyarbeit für die AKP. Zu einem unmittelbaren Verhältnis bzw. einer unmittelbaren Zusammenarbeit zwischen der AKP-Regierung und dem Osmanen Germania BC liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Mitglieder des Osmanen Germania BC seien aber wiederholt bei Veranstaltungen der UETD als Ordner zum Einsatz gekommen, erklärt die Bundesregierung.

AKP-Abgeordneter soll "Osmanen" mit Geld für Waffen gegeben haben

Der „Spiegel“ (Bezahlinhalt) berichtete darüber hinaus im März von einem abgehörten Telefonat, bei dem plötzlich der türkische Staatschef persönlich in der Leitung war. Im Juni 2016 wollten Ermittler der hessischen Polizei demnach den AKP-Abgeordneten Me­tin Külünk abhören. Der hatte in Berlin eine Demonstration organisiert, und die Rocker sollten dabei sein. Recep Tayyip Erdogan ließ sich über den Vorgang persönlich unterrichten. Die lauschenden Ermittler hatten also unerwartet den Staatschef der Türkei in der Leitung. Nach Recherchen der „Stuttgarter Zeitung“ und dem ZDF-Magazin „Frontal 21“ soll Külünk außerdem über einen Mittelsmann die „Osmanen“ angewiesen habe, den deutschen Satiriker Jan Böhmermann einzuschüchtern. Külünk sei es auch gewesen, der den „Osmanen“ mehrfach Geld für Waffenkäufe habe zukommen lassen, so der Bericht.

Bundesregierung: „Osmanen Germania gefährden individuelle Rechtsgüter und die Allgemeinheit“

Das sind Nachrichten, die viele Beobachter aufschrecken lassen. Beschäftigen Erdogans Abgeordnete und die deutsche Lobby-Organisation des höchst umstrittenen türkischen Präsidenten brutale Schwerverbrecher?

Die Bundesregierung jedenfalls geht davon aus, dass Zweck und Tätigkeit der „Osmanen Germania“ „den Strafgesetzen zuwiderlaufen“, und das von der Gruppierung eine „schwerwiegende Gefährdung für individuelle Rechtsgüter und die Allgemeinheit“ ausgehe. In den Jahren 2016 und 2017 wurden nach Auskunft der Bundesregierung sieben Ermittlungsverfahren wegen „Organisierte Kriminalität“ gegen die „Osmanen" geführt: In Saarbrücken und München wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, in Darmstadt wegen der Verabredung zu einem Verbrechen, in Krefeld und in Essen wegen räuberischer Erpressung, in Stuttgart wegen versuchten Mordes, in Wuppertal wegen eines besonders schweren Falls des Landfriedesbruchs.

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Verboten sind die „Osmanen Germania“ dennoch nicht. Bisher jedenfalls. Die Behörden suchen immer wieder nach Beweisen für ein entsprechendes Vereinsverbot. Zuletzt bei einer Großrazzia im März 2018, deren Auswertung noch läuft. Allein an Rhein und Ruhr durchsuchten 800 Polizisten mehr als 40 Wohnungen und Geschäftsräume der „Osmanen“. Schwerpunkt der Razzia war das Ruhrgebiet mit Durchsuchungen in Essen, aber auch in Bochum, Bottrop, Duisburg, Gelsenkirchen, Gladbeck, Herten, Lüdenscheid und Marl.

Knapp 150 Mitglieder haben die „Osmanen" in NRW

Die knapp 150 Mitglieder allein in NRW teilen sich wie bei anderen Rocker-Gruppierungen in mehrere „Chapter“ auf, wobei Essen mit zuletzt 38 behördenbekannten „Osmanen“ der größte von elf Standorten zu sein scheint. Anders als die noch weitaus größeren Rocker-Clubs wie „Bandidos“ (rund 800 Mitglieder) oder „Hells Angels“ (rund 400 Mitglieder), die seit Jahren einen Konkurrenzkampf um Gebiets- und Besitzansprüche im Drogen- und Rotlichtmilieu austragen, unterhalten die „Osmanen“ nach Behördenangaben bislang keine eigenen Clubheime. Sie treffen sich nach Erkenntnissen des Innenministeriums zumeist in Shisha-Bars und Teestuben.

Schlagzeilen machte im Februar ein Polizei-Einsatz in Wuppertal, bei dem ein Beamter des Spezialeinsatzkommandos den 43-jährigen ehemaligen Präsidenten der Osmanen Germania des dortigen Chapters erschossen hat. Die Ermittlungen zu dem Vorfall dauern noch an. (mit dpa)