Washington/San Antonio. . Ferndiagnosen unmittelbar nach Massenmorden gelten unter Fachleuten nicht nur in den USA als kontraproduktiv. Das hinderte Donald Trump nicht daran, die bisher folgenschwerste Bluttat in einer amerikanischen Kirche aus 10.000 Flugkilometern Distanz unverzüglich einzuordnen. Am Redner-Pult im japanischen Tokio ergriff der zurzeit dienstreisende Präsident das Wort, nachdem die Erschießung von 26 Gottesdienstbesuchern in dem 400-Einwohner-Dorf Sutherland Springs in Texas durch den 26-jährigen Ex-Soldaten Devin Patrick Kelley weltweit Anteilnahme und Entsetzen ausgelöst hat.

Ferndiagnosen unmittelbar nach Massenmorden gelten unter Fachleuten nicht nur in den USA als kontraproduktiv. Das hinderte Donald Trump nicht daran, die bisher folgenschwerste Bluttat in einer amerikanischen Kirche aus 10.000 Flugkilometern Distanz unverzüglich einzuordnen. Am Redner-Pult im japanischen Tokio ergriff der zurzeit dienstreisende Präsident das Wort, nachdem die Erschießung von 26 Gottesdienstbesuchern in dem 400-Einwohner-Dorf Sutherland Springs in Texas durch den 26-jährigen Ex-Soldaten Devin Patrick Kelley weltweit Anteilnahme und Entsetzen ausgelöst hat.

Laut Trump geht die „Tat des Bösen“ auf ein „psychisches Problem auf höchstem Niveau“ zurück. Mit dem Recht auf Waffenbesitz, das laut Wissenschaftlern die im Vergleich weltweit exorbitant hohe Opfer-Quote in den USA Jahr für Jahr erklärt, habe die Katastrophe nichts zu tun. Oder doch?

Gestern früh deutete Gouverneur Greg Abbott an, dass es sich auch um einen Racheakt eines Wutbürgers am Staat gehandelt haben könnte. Kelley wurde der Antrag auf eine Waffen-Lizenz von der zuständigen Behörde für öffentliche Sicherheit verweigert. Ein Grund: Der bis 2012 auf der Luftwaffen-Basis Holloman in New Mexiko tätig gewesene Soldat war nach einem gewalttätigen Übergriff auf seine Frau und ihr gemeinsames Kind wegen schlechter Führung zu zwölf Monaten Haft verurteilt, degradiert und 2014 unehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen worden. Er durfte deshalb nach dem Gesetz legal keine Waffen erwerben und besitzen.

Drohungen via SMS

Daneben verdichteten sich im Laufe des Tages bei der Suche nach einem Motiv Hinweise auf ernste Familienstreitigkeiten. So erhielt die Schwiegermutter, die in Sutherland Springs gemeldet ist und zur Tatort-Kirchengemeinde gehört, von Devin Kelley Drohungen via Handy-SMS, sagte ein Behördensprecher. Auch andere angeheiratete Verwandte des Täters sollen bei dem Zwist eine Rolle gespielt haben. Kelleys 50 Kilometer entferntes Haus wurde von Spezialisten des FBI durchsucht.

Unterdessen machte sich Präsident Trump die Argumentation der Waffen-Lobby „National Rifle Association“ (NRA) zu eigen: „Gegen einen bösen Mann mit einer Waffe hilft nur ein guter Mann mit einer Waffe.“ Die Tragödie in der 60 Kilometer östlich von San Antonio liegenden Gemeinde wäre seiner Ansicht nach „noch schlimmer“ ausgegangen, wenn nicht ein couragierter Anwohner mit einem Gewehr auf den ganz in schwarz gekleideten Schützen angelegt hätte, der eine schusssichere Weste trug.

Kelley war am Sonntagmorgen gegen 11.20 Uhr mit einem Schnellfeuergewehr der Marke Ruger in die weiß gekalkte First Baptist Church an der 4. Straße eingedrungen und hatte das Feuer auf die rund 50 anwesenden Kirchgänger eröffnet.

Ken Paxton, texanischer Justizminister, leitete aus Trumps Vorlage eine Botschaft ab, die viele Gläubige mit Schaudern erfassen dürfte: Bringt eine Waffe mit in den Gottesdienst! Dagegen erklärte der Vorsitzende der Katholische Bischofskonferenz, Kardinal Daniel DiNardo: „Eine Kultur des Lebens darf sinnlose Waffengewalt in all ihren Formen nicht tolerieren und muss sie verhindern.“

Und wieder stellt sich in den USA , wo der Massenmord von Las Vegas (58 Tote) erst fünf Wochen zurückliegt, die Frage nach dem „Wie?“. Während Politiker in die bekannten Stellungskämpfe verfielen, zeigten sich die Menschen in ihren Grundfesten erschüttert. In dem sonnenverbrannten Landstrich, in dem Orte wie New Braunfels (Wohnort des Täters) oder New Berlin an die vor über 200 Jahren eingewanderten deutschen Siedler erinnern, waren großstädtische Gewalt-Phänomene bisher unbekannt. „Wir haben ein Postamt, zwei Kirchen, zwei Tankstellen und einen kleinen Supermarkt“, sagte ein Anwohner dem Lokal-Sender KSAT-TV, „hier kennt jeder jeden, hier ist es friedlich.“

Und jetzt das. „Ich bin wie taub“, berichtet Sandy Ward im Fernsehen. Ihre Enkelin (7) ist tot. Ein anderer Enkel (5) kämpft im Krankenhaus um sein Leben. Unter den Opfern im Alter von 5 bis 72 Jahren war auch Crystal Holcombe, Mutter von drei Kindern und mit dem vierten Kind im achten Monat schwanger. In ihrer Familie allein gab es insgesamt acht Tote. Auch Annabelle Pomeroy (14), die jüngste Tochter von Pastor Frank Pomeroy, der die Andacht von einem Vertreter übernehmen ließ und nicht vor Ort war, starb in der Kirche.

Kelley floh nach dem letzten Schuss mit dem Auto. Johnny Langendorff, ein junger Mann aus der Nachbarschaft, verfolgte ihn mit einem anderen Anwohner, der zuvor an der Kirche dem Täter mit der Waffe Paroli geboten hatte. Nach knapp 15 Kilometern Landstraße krachte Kelley ohne Fremdeinwirkung in den Straßengraben. „Danach war Ruhe“, sagte Langendorff. Als die Polizei eintraf, war Kelley bereits tot. Er hat sich selbst gerichtet, sagte Sheriff Joe Tackitt.

Verschwörungs-Propagandisten scheuten sich nicht, einen „Krieg gegen Christen“ hinter der Attacke zu sehen, begangen von der „linken Antifa“. Andere dubiose Quellen beschrieben den Täter wahlweise als „konvertierten Muslimen“ oder „Demokraten“.

Dagegen richtete der frühere Präsident Barack Obama den Blick nach vorn. In seiner Amtszeit war es trotz mehrerer Versuche nach Massenmorden nicht gelungen, die Waffengesetze nennenwert zu verschärfen. Nun setzt er auf höhere Mächte. „Möge Gott uns die Weisheit bescheren, nachzuforschen, welche konkreten Möglichkeiten wir haben, um Gewalt und Bewaffnung in unserer Mitte zu minimieren.“