Aachen/Nümbrecht. Udo Herterich und seine Frau Claudia Schmidt-Herterich sind ausgewiesene Experten in eigener Sache: Beide sind contergangeschädigt, die Hilfe zur Selbsthilfe wurde ihr Lebensmotto. Seit Jahren sind der Rollstuhlfahrer und seine mit verkümmerten Armen geborene Frau darüber hinaus aber auch für andere Betroffene aktiv.
Aachen/Nümbrecht. Udo Herterich und seine Frau Claudia Schmidt-Herterich sind ausgewiesene Experten in eigener Sache: Beide sind contergangeschädigt, die Hilfe zur Selbsthilfe wurde ihr Lebensmotto. Seit Jahren sind der Rollstuhlfahrer und seine mit verkümmerten Armen geborene Frau darüber hinaus aber auch für andere Betroffene aktiv.
„Die größte Aufgabe ist es, unser Wissen weiterzugeben“, sagt Udo Herterich, der Vorsitzender des Interessenverbandes Contergangeschädigter Nordrhein-Westfalen ist. „Wir haben sicher mehr Kenntnisse über Leistungen, das Sozialrecht, Hilfsmittel und gute Ärzte als viele andere Opfer.“
Am 1. Oktober 1957 hatte die Firma Grünenthal das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan in Deutschland auf den Markt gebracht. Es war für 3,90 D-Mark frei verkäuflich und galt als gut verträglich. Doch in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft führte es zu schweren Schädigungen der Embryonen. Weltweit mindestens 10 000 Frauen bekamen Kinder mit verkümmerten Armen oder Beinen und anderen Behinderungen, 40 Prozent der Kinder starben als Säuglinge. Am 27. November 1961 wurde das Präparat vom Markt genommen.
In Deutschland leben laut Betroffenenvereinigung Contergannetzwerk heute 2650 contergangeschädigte Menschen wie Udo Herterich und seine Frau. 800 sind es in Nordrhein-Westfalen. Stolz ist das Paar auf sein funktionierendes Netzwerk: „Jeder, der mehr weiß, versucht, dem anderen irgendwie zu helfen“, sagt Herterich. Dabei sei die meistgehörte Frage: „Wie machst du das denn?“
Mediziner sehen mit zunehmendem Alter dringenden Handlungsbedarf in der Versorgung: „Contergangeschädigte leiden zunehmend unter Folgeschäden wie Rücken- oder Nackenschmerzen und psychischen Beschwerden“, sagt Klaus M. Peters, Chefarzt Orthopädie und Osteologie in der Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik in Nümbrecht. Er hatte 2015 im Auftrag des Landeszentrums Gesundheit NRW eine Studie mit 200 Betroffenen erstellt.
„Die Pflegebedürftigkeit nimmt zu“, erläutert der Arzt und verweist auf langjährige extreme Bewegungsabläufe: Statt mit der Hand zu essen oder zu trinken, benutzen Contergangeschädigte oft ihren Fuß und überlasten dadurch vor allem ihre Gelenke.
Im April wurde an der Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik ein medizinisches Kompetenzzentrum errichtet, das die Versorgung bundesweit verbessern soll. Es bietet ambulant Diagnosen von Folgeschäden, Behandlungs- und Präventionsmaßnahmen an.
Renten wurden 2013 erhöht
Spezielle Versorgungsangebote fordern auch die Autoren einer weiteren Studie aus dem Jahr 2012 an der Universität Heidelberg, in Auftrag gegeben von der Bundesregierung. Die Bundesregierung nahm die Handlungsempfehlungen der Experten auf und brachte Reformen zur besseren materiellen Versorgung auf den Weg: 2013 wurde die monatliche Conterganrente auf maximal rund 7600 Euro versechsfacht. Auch wurde eine neue Leistung für „spezifische Bedarfe im Einzelfall“ eingeführt. Gewährt wird hier eine Pauschale von maximal 14 700 Euro im Jahr.
Udo Herterich und seine Frau bestätigen, dass diese Reform zumindest „bei den leichteren Fällen“ Wirkung zeigt: „Wir hören immer wieder von Betroffenen, dass sie von dem Geld Kuren, Reha-Aufenthalte oder auch besondere Hilfsmittel bezahlen.“
Das Ehepaar weist aber auf einen anderen Aspekt hin: Mit zunehmendem Alter stiegen auch die Kosten: „Kann man als junger Mensch noch irgendwie die Treppe hochkommen, muss im Alter ein Lift her. Und der kostet viel Geld.“ Für solche hohen Ausgaben, auch etwa für die behindertengerechte Umrüstung eines Autos, würden aber auch die neuen Pauschalen nicht ausreichen.
Betroffenenverbände halten allerdings mit ihrer Kritik an der öffentlich-rechtlichen Stiftung nicht hinter dem Berg. Im Stiftungsrat sitzen zwei Betroffenenvertreter drei Ministerialvertretern gegenüber: „Wir haben nicht im Ansatz eine Chance, berechtigte Anliegen in der Stiftung durchzukommen“, klagt Christian Stürmer, der die Geschädigten im Stiftungsrat vertritt.
Auch Udo Herterich wünscht sich mehr Transparenz in der Stiftungsarbeit - „und dass wir uns mehr einbringen können“. sagt er. „Die Stiftung macht das, was sie seit jeher macht: Sie bestimmt über uns.“