Duisburg. Die Loveparade-Katastrophe als Fernsehdrama? Da schaut man erst mal skeptisch hin. Warum Nicole Weegmanns Film „Das Leben danach“ funktioniert.

Mit einem Schrei schleudert die junge Frau das Holzkreuz an die Steinwand, trampelt auf zersplitternden Grablichtern herum, kickt Kerzen und gerahmte Erinnerungen an die Toten am beleuchteten Tunnelausgang durch die Luft. Zerstörerische Wut an einer Stelle, die für das Innehalten geschaffen wurde: die Gedenkstätte für die Loveparade-Tragödie in Duisburg, bei der 21 Menschen im Gedränge vor sieben Jahren ihr Leben verloren und Hunderte verletzt wurden.

Diese Antonia (Jella Haase), die mit emotionaler Wucht das Filmdrama „Das Leben danach“ von Nicole Weegmann so laut eröffnet, dass man erst einmal misstrauisch hinsieht, führt in beklemmenden 90 Minuten vor, was es heißt, Überlebende der menschgemachten Katastrophe zu sein: Das Leben wird zur Strafe. „Die tot sind, das sind die Wunderbaren, um die alle trauern können, und die, die überlebt haben, wir sind die Kaputten, die nichts auf die Reihe kriegen“, sagt sie dem Taxifahrer Sascha (Carlo Ljubek), der ihren Wutausbruch an der Gedenkstätte verstehen will.

Die Kamera steckt tief im Getümmel

 Antonia (Jella Haase) ist verzweifelt.
Antonia (Jella Haase) ist verzweifelt. © WDR

Antonia wird von Albträumen geplagt, in denen die Erinnerungen ihr Gehirn überfallen. Aufnahmen, bei denen Alexander Fischerkoe­sens Kamera tief im Getümmel steckt und uns in Bildschnipseln schreckgeweitete Gesichter und das körperliche Chaos des Überlebenskampfes für Sekunden ganz nahe bringt. Nicht leicht, sich das anzusehen: Es ist Fiktion, man ahnt aber, dass es etwa so in Wirklichkeit ausgesehen haben muss.

Weegmann und die Drehbuchautoren Eva und Volker Zahn sind klug genug zu wissen, dass all die furchtbaren Bilder, die uns so bekannt scheinen, nur ein Bruchstück der Wahrheit sein können: „Bild’ dir bloß nicht ein, dass du irgendwas weißt, nur weil du es dir anguckst“, lassen sie Antonia zu einem Jungen sagen, der ein Video auf einem Computer betrachtet.

Der Ballast der realen Tragödie

Antonia (Jella Haase) findet im Taxifahrer Sascha (Carlo Ljubek) einen Mann, der sie versteht
Antonia (Jella Haase) findet im Taxifahrer Sascha (Carlo Ljubek) einen Mann, der sie versteht © WDR

Das ist ja auch die Krux eines Films, der mit dem Ballast der realen Tragödie fertig werden muss, die sich so stark in unsere Erinnerungen eingebrannt hat und Skepsis provoziert, wenn jemand sich ihr künstlerisch nähert. Aber Weegmann nimmt den Druck an, beobachtet, ohne anzuklagen und erweckt Verständnis für die Unberechenbarkeit eines Opfers, das uns erst unverständlich erscheint.

Loveparade-Tragödie: „Das Leben danach“

Die Welt stand ihr offen: Antonia Schneider (Jella Haase) stand mit 18 Jahren kurz vor dem Abitur und wollte einfach nur feiern, als sie in den Tunnel der Duisburger Loveparade geriet. Das fiktive Fernsehdrama „Das Leben danach“ erzählt von der Massenpanik auf der Loveparade am 24. Juli 2010 und dem Trauma danach –  am 27. September um 20.15 hr im Ersten zu sehen.
Die Welt stand ihr offen: Antonia Schneider (Jella Haase) stand mit 18 Jahren kurz vor dem Abitur und wollte einfach nur feiern, als sie in den Tunnel der Duisburger Loveparade geriet. Das fiktive Fernsehdrama „Das Leben danach“ erzählt von der Massenpanik auf der Loveparade am 24. Juli 2010 und dem Trauma danach – am 27. September um 20.15 hr im Ersten zu sehen. © WDR | Alexander Fischerkoesen
Niemals wird ihr Leben danach wieder so sein wie ihr Leben zuvor: Antonia (Jella Haase) – an der Gedenkstätte für die Opfer der Katastrophe – weiß nicht wohin mit ihrer Trauer und Zerstörungswut.
Niemals wird ihr Leben danach wieder so sein wie ihr Leben zuvor: Antonia (Jella Haase) – an der Gedenkstätte für die Opfer der Katastrophe – weiß nicht wohin mit ihrer Trauer und Zerstörungswut. © WDR | Alexander Fischerkoesen
Auch sieben Jahre nach der Katastrophe, bei der 21 meist junge Technofans ums Leben kamen, Hunderte Menschen verletzt oder traumatisiert wurden, ist die 24-Jährige immer noch unfähig, ein normales Leben zu führen.
Auch sieben Jahre nach der Katastrophe, bei der 21 meist junge Technofans ums Leben kamen, Hunderte Menschen verletzt oder traumatisiert wurden, ist die 24-Jährige immer noch unfähig, ein normales Leben zu führen. © WDR | Alexander Fischerkoesen
Auch Antonias Vater Thomas (Martin Brambach) und Stiefmutter Kati (Christina Große) sind mit ihren Kräften am Ende.
Auch Antonias Vater Thomas (Martin Brambach) und Stiefmutter Kati (Christina Große) sind mit ihren Kräften am Ende. © WDR | Alexander Fischerkoesen
Als liebender Vater versucht Thomas seiner Tochter Antonia zu helfen, wo und wie er nur kann. Doch auch er stößt an die Grenzen der Belastbarkeit. Seine Wut auf die, die Antonia das Leben „versaut“ haben, ist riesengroß.
Als liebender Vater versucht Thomas seiner Tochter Antonia zu helfen, wo und wie er nur kann. Doch auch er stößt an die Grenzen der Belastbarkeit. Seine Wut auf die, die Antonia das Leben „versaut“ haben, ist riesengroß. © WDR | Alexander Fischerkoesen
Antonia lernt den Taxifahrer Sascha Reinhardt (Carlo Ljubek) kennen.
Antonia lernt den Taxifahrer Sascha Reinhardt (Carlo Ljubek) kennen. © WDR | Alexander Fischerkoesen
Er behauptet, ebenfalls Betroffener zu sein.
Er behauptet, ebenfalls Betroffener zu sein. © WDR | Alexander Fischerkoesen
Sascha scheint Verständnis und Gefühle für Antonia aufzubringen.
Sascha scheint Verständnis und Gefühle für Antonia aufzubringen. © WDR | Alexander Fischerkoesen
Die beiden kommen sich näher.
Die beiden kommen sich näher. © WDR | Alexander Fischerkoesen
Sascha lebt von seiner Frau Maria (Charlotte Bohning) und Sohn Jasper (Jeremias Meyer, hinten) getrennt.
Sascha lebt von seiner Frau Maria (Charlotte Bohning) und Sohn Jasper (Jeremias Meyer, hinten) getrennt. © WDR | Alexander Fischerkoesen
Das Leben des Taxifahrers und früheren Mathematikers zerbrach ebenfalls vor sieben Jahren. Auch er war dabei, mittendrin, auf der Rampe.
Das Leben des Taxifahrers und früheren Mathematikers zerbrach ebenfalls vor sieben Jahren. Auch er war dabei, mittendrin, auf der Rampe. © WDR | Alexander Fischerkoesen
Behauptet er jedenfalls.
Behauptet er jedenfalls. © WDR | Alexander Fischerkoesen
Antonias Leben ist außer Kontrolle: Trigger wie Polizeisirenen oder die Farbe Rosa lösen immer wieder Panikattacken und Flashbacks bei der jungen Frau aus.
Antonias Leben ist außer Kontrolle: Trigger wie Polizeisirenen oder die Farbe Rosa lösen immer wieder Panikattacken und Flashbacks bei der jungen Frau aus. © WDR | Alexander Fischerkoesen
Als Antonia Sascha als Lügner enttarnt, beginnt sie, ihn vorzuführen und zu demütigen.
Als Antonia Sascha als Lügner enttarnt, beginnt sie, ihn vorzuführen und zu demütigen. © WDR | Alexander Fischerkoesen
Er wird zum Ziel ihrer destruktiven Energie.
Er wird zum Ziel ihrer destruktiven Energie. © WDR | Alexander Fischerkoesen
Dann nimmt Antonia Kontakt zu Saschas Sohn Jasper auf.
Dann nimmt Antonia Kontakt zu Saschas Sohn Jasper auf. © WDR | Alexander Fischerkoesen
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Dieses bleiche Wesen, 24, aber eher wie ein großes Mädchen wirkend, irrlichtert durch die Stadt, ertränkt die Verzweiflung in zu viel Alkohol, inszeniert geschmacklose Intrigen und verprellt selbst die, die es lieben. Wie den Vater (stark wie stets: Martin Brambach), der in aufgesetzt guter Laune das Leben danach meistert oder die fast alles verzeihende Stiefmutter (Christina Große), eine Sozialarbeiterin, der es dann irgendwann doch entfährt: „Deine Tochter ist kaputt, die wird einfach nicht mehr.“ Und den Taxifahrer Sascha, zu dem Antonia eine brüchige und widersprüchliche Liebesbeziehung aufbaut, ehe sie auf seine wahren Motive stößt.

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Carlo Ljubek gibt diesem Sascha eine fein nuancierte Note des Stillen, in dem die Verzweiflung gärt. Jella Haase, die nie in Posen erstarrt, sondern dieser am Abgrund taumelnden Antonia so viel Tiefe verleiht, und sie so verstörend echt erscheinen lässt, dass man die Rolle nicht mehr als Rolle wahrnimmt, sie ist das Ereignis dieses Films. Der für sich schon ein Ereignis ist.

Fazit: Eher nüchternes als pathetisch aufgeheiztes Drama, das dem Leid der Überlebenden ein überzeugendes Gesicht gibt. Frank Preuß

ARD, 20.15 Uhr