Bochum. . Die Mutter des ermordeten Jaden hat am Donnerstag im Doppelmord-Prozess gegen Marcel Heße fast zwei Stunden als Zeugin ausgesagt.
„Kommen wir zum sechsten März“, sagt Richter Stefan Culemann am frühen Donnerstag Nachmittag im großen Saal des Bochumer Landgerichtes. Und die Frau, die vor ihm im Zeugenstand Platz genommen hat, nickt. „Ja, der sechste. März“, antwortet Jeanette R. und wirkt fast ein wenig erleichtert, dass sie endlich über den Tag sprechen kann, der ihr Leben für immer verändert hat. Über den Tag, an dem ihr neunjähriger Sohn Jaden ermordet worden ist. Mutmaßlich von dem 19-jährigen Marcel Heße, der nur wenige Meter neben ihr auf der Anklagebank sitzt, es aber nicht schafft, sie auch nur einmal anzusehen.
Sie will stark sein - ihrem toten Sohn zuliebe
Ihr Ehemann Pascal und ihr ältester Sohn Maurice sind gestern nicht gekommen, obwohl sie ebenfalls als Zeugen geladen waren. Beide seien „psychisch nicht in der Lage“ auszusagen, entschuldigt sie ihr Anwalt. Die 41-jährige aber fühlt sich der Aufgabe gewachsen, so wie sie sich dem ganzen Verfahren gewachsen fühlt. Zwei Tage schon hat sie am Prozess teilgenommen, hat Heße mit den Augen fixiert und sich mit vor der Brust verschränkten Armen die schlimmsten Details über den Todeskampf von Jaden angehört – oft mit versteinerter Mine, nie mit Tränen. Sie sei es ihrem Kind schuldig, stark zu bleiben, hat sie mehrfach gesagt.
Auch bei ihrer Aussage zeigt R. kein Zeichen von Schwäche. Selten wird sie wütend, nicht einmal bricht ihre Stimme. Aber natürlich hat sie nichts vergessen. „Das geht mir nie wieder aus dem Kopf .“ Als sei es gestern gewesen, erinnert sie sich an jenen Abend, an dem sie um kurz nach 18 Uhr einkaufen gefahren ist mit ihrem Mann. Jaden bettelt darum, mitfahren zu dürfen, sie lässt ihn nicht. „Weil er einen Magen-Darm-Virus hatte und morgens auch nicht in der Schule war.“ Ins Bett soll er gehen, doch als gegen halb sieben Heße klingelt und um Unterstützung bei einer Arbeit im Keller des Nachbarhauses bittet, da geht der Neunjährige sofort mit. „Jaden war immer hilfsbereit. Auch deshalb mochte ihn jeder,“
Man kennt sich unter Nachbarn - kein Verdacht
Als Jeanette R. gegen 19.45 Uhr wieder nach Hause kommt, fragt sie nach ihrem Sohn. Er sei „nebenan“ sagen seine Brüder. R. bleibt gelassen. Sie denkt, Marcels Mutter habe geschellt. Man kennt die Nachbarn, hat mehrfach zusammen Fußball geguckt, Silvester und Geburtstage gefeiert. „Nur der Marcel war nie dabei.“ Überhaupt ist er ein sonderbares Kind. „Hat nie gegrüßt, immer weggeguckt“, ist oft nicht zur Schule gegangen, hat sich tagelang nicht gewaschen, war „ganz ungepflegt“. Und im Garten hat er japanische Kampfkünste trainiert – „Stöckchenspiele gemacht“, wie sie es nennt. Wobei er offenbar so lächerlich aussah, dass alle über ihn lachten.
Er selbst lachte selten. Nie habe man ihn ausgelassen gesehen, erinnert sich R.. Dafür aber in den Wochen vor der Tat mit veränderter Frisur. Die Mähne, die jahrelang bis zu den Hüften reichte, ist einem Kampfhaarschnitt gewichen. Damit – und mit der Tarnkleidung, die er nun trägt – will sich Heße offenbar auf die Bundeswehr vorbereiten, bei der er sich beworben hat. „Ich wusste aber gleich den nehmen die nicht“, sagt R.
Heßes eigene Schwester hielt ihn für "gefährlich"
Sie hält Heße für „faul“, für einen „Einzelgänger“, seine eigene Schwester hält ihn für „gefährlich“. Ein blaues Auge habe er ihr gehauen, mit dem Füller sei er auf eine ihrer Freundinnen losgegangen, behauptet sie. Und wenn das Internet nicht funktioniert, schreit er die halbe Straße zusammen. „Ich dachte, ich stehe im Zoo“, beschreibt es R..
„Der Marcel gehört weggesperrt“, sagt seine Schwester immer wieder. „Alles halb so wild“, beschwichtigt seine Mutter, die bereits angekündigt hat, vor Gericht von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen und nicht zu erscheinen. R. lacht kurz auf, als sie das hört. Marcels Mutter, erinnert sie sich, habe immer alles auf die leichte Schulter genommen, die Augen vor den Tatsachen verschlossen.
Für das Opfer kommt jedeHilfe zu spät
Jeanettes Mann und ihr ältester Sohn suchen Jaden. Sie finden ihn im Keller des Nachbarhauses der Familie Heße. Doch da kommt jede Hilfe schon zu spät. Immer wieder hat der flüchtige 19-Jährige dort laut Anklage auf das Kind eingestochen. „Wie ein Schwamm“, habe sich der Körper angefühlt, erinnert sich gestern vor Gericht ein Nachbar, der vergeblich Erste Hilfe leistete. „Aus allen Wunden floss das Blut.“
R. will nicht aufgeben. „Rettet mein Kind“, fleht sie Verwandtschaft und Rettungskräfte an, die im Keller verschwinden. Doch als einer nach dem anderen wieder hochkommt, „apathisch wie ein Zombie“ da weiß sie: „Mein Sohn ist tot.“ Und vor der Tür schreit sie: „Ich kenne den Mörder.“ Dann kann sie nicht mehr: „Irgendwann setzt der Verstand aus.“
In den Keller, an den Tatort ist sie an jenem Abend nicht gegangen. Darüber ist sie immer noch froh. „Ich werde Jaden immer so in Erinnerung behalten, wie er sich an jenem Abend von mir verabschiedet hat, als ich zum Einkaufen gefahren bin.“
„Tschüss Mutti, bis später. Ich warte auf Dich.“
Der Prozess wird fortgesetzt.