. . Der Regisseur Sönke Wortmann über seinen neuen Film „Sommerfest“, die Liebe in der Jugend und Klischees über das Ruhrgebiet.

Das Sofitel scheint das Hotel für Sönke Wortmann zu sein. Hier, um die Ecke vom Kurfürstendamm in Berlin, hat er vor einem Jahr Interviews zu „Deutschland. Dein Selbstporträt“ gegeben und vor zwei Jahren zu „Frau Müller muss weg“. Hier scheint sich der gebürtige Marler, der in Düsseldorf lebt, wohlzufühlen, wenn er in die Hauptstadt kommt. Hierher muss er jetzt auch ein Stück Heimat mitbringen – und promoten. Nachdem er mit dem TV-Mehrteiler „Charité“ gerade erst eine höchst aufwendige Produktion gestemmt hat, kommt in drei Wochen ein sehr viel kleinerer, aber auch viel persönlicherer Film von ihm ins Kino: „Sommerfest“ handelt vom Pott. Also von Sönke Wortmanns Heimat.

Man kennt das, kennt auch Filme aus der Gegend, vor allem die von Peter Thowarth („Was nicht passt, wird passend gemacht“), die eher mit Klischees behaftet sind. Wie setzt man da ein eigenes Bild von der Heimat dagegen? Und wie bringt man so etwas explizit Regionales bundesweit an den Mann? Immerhin ist Sönke Wortmann dank seiner Millionenhits ja fast zum Erfolg verflucht. Bei solchen Einwänden aber lächelt er nur still in sich hinein. Die Zeiten, da er nervös war, hat er, wie er uns verrät, lange hinter sich.

Herr Wortmann, am Ende Ihres neuen Films „Sommerfest“ steht: „Für alle Jugendlieben“. Gab es bei Ihnen auch eine große Jugendliebe?

Sönke Wortmann: Na klar, bei Ihnen nicht?

Schon. Aber ich bin nicht so prominent, dass man sich dafür interessieren würde.

Bei mir fing das mit 14, 15 an, als die Beziehungen noch etwa eine Woche dauerten. Ich war in Ute verliebt, aber nach ein paar Tagen hat sie mit meinem besten Freund Udo geknutscht und ging dann mit dem. Meine erste ganz große Liebe hatte dann leider einen Freund, den sie nicht verlassen wollte. Sie sehen, das ist erst mal nicht so positiv geprägt, vom Ergebnis her. Aber wenn man an die erste Liebe denkt, kriege ich, kriegen auch viele andere so ein ganz warmes Gefühl.

Bei dem Film musste ich ständig an Ihren frühen Erfolg „Kleine Haie“ denken. Geht nur mir das so, oder war das beabsichtigt?

Schön, dass Sie an diesen Film denken und nicht an andere. Nein, das war eigentlich keine Absicht, nach dem Motto: 25 Jahre danach. Aber klar, in „Kleine Haie“ ist ein junger Schauspielschüler voller Erwartungen nach München gegangen, hier kommt ein Schauspieler aus München ohne Illusionen in seine Heimat zurück. Ich habe sogar kurz überlegt, ob ich nicht Jürgen Vogel, der damals in „Kleine Haie“ mitgewirkt hat, fragen sollte, ob er das spielen will. Aber er spricht ja unsere Sprache nicht . . .

Er spricht unsere Sprache nicht?

Die, wo ich herkomme. Also Ruhrdeutsch. Und das war zwingend, da bin ich ganz pedantisch.

Sie sind damals auch nach München gegangen. Das setzt ja noch ganz andere Assoziationen frei. Wie persönlich ist der Film?

Es ist ja eine Romanverfilmung. Aber natürlich war das genau das, was mich an dem Buch von Frank Goosen angesprochen hat. Als ich „Sommerfest“ gelesen habe, dachte ich, das hätte ich auch schreiben können – wenn ich Bücher schreiben könnte. Goosens Heimat ist ja auch meine Heimat, im Ruhrgebiet kenne ich mich aus. Dass es so persönlich geworden ist, liegt sicher daran, dass ich das Drehbuch mal wieder selber geschrieben habe. Wenn ich das tue – bei „Kleine Haie“, „Das Wunder von Bern“ oder jetzt –, hat das immer viel mit mir zu tun. Und ich glaube, man merkt es dem Film auch an, dass er persönlicher ist als sonst.

Gerade haben Sie den sehr aufwendigen Fernseh-Mehrteiler „Charité“ gestemmt, „Sommerfest“ ist dagegen ein vergleichsweise kleiner Film von Ihnen. War Ihnen das ein Bedürfnis, nach dieser Großproduktion wieder etwas eher Intimes, eine Nummer kleiner, dafür aber sehr Persönliches zu machen?

Nicht wirklich. Der Zufall will es, dass die jetzt so kurz nacheinander herauskommen. Die Abläufe sind halt anders. Mich haben eigentlich in meiner gesamten Karriere nie zwei Projekte gleichzeitig interessiert. Ich musste nie wählen: Mache ich dies oder mache ich das? Hier war es zum ersten Mal so, dass zwei Projekte gleichzeitig reif wurden. Das hört sich nach ziemlich viel Arbeit an und nach Workaholic, ist es aber gar nicht. Es ist nur eine Frage des Timings, der Vorbereitung und der Organisation.

Wir hätten eher die Workaholic-These vermutet.

Das Casting habe ich schon ein Jahr vor Drehstart gemacht. Dann habe ich „Charité“ gedreht, das war aufwendig und anstrengend. Aber wenn man das hinter sich hat, macht man so einen Film mit links. Wir hatten für „Charité“ 61 Drehtage in Prag, unter erschwerten Bedingungen im Winter. Wenn man danach im Sommer nach Bochum kommt, wo ich mich auskenne, dann ist das quasi ein Heimspiel. Das war, wie der Ruhrgebietler sagen würde, „auf einer Arschbacke“. Ich hoffe, Sie sagen jetzt nicht, das sieht man dem Film auch an.

Sage ich nicht. Aber auch wenn das so leicht war, gibt es da ja immer noch den Romanautor. Führt das nicht zu Schwierigkeiten, wollen die sich nicht auch manchmal einmischen, wollen die nicht ständig mit- oder manchmal gar reinreden?

Davon kann man sich freimachen. Das ist auch eine Frage der Absprache. Wenn man sich trifft, muss ein Autor schon glauben, dass sein Roman beim Regisseur in guten Händen ist. Ich habe Frank Goosen das Drehbuch geschickt, darüber hätte man zur Not auch noch mal reden können. Aber er war einverstanden damit, und mit dem fertigen Film auch. Wenn der Autor zufrieden ist, hat man die erste Hürde genommen.

Wie groß ist die Gefahr, bei einem Ruhrpott-Film gewissen Klischees aufzusitzen?

Ach, Klischees. Das ist ein Thema, das mich immer wieder verfolgt. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Komödie gar nicht ohne Klischees auskommt. Mein Lieblingsbeispiel ist „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch. Es gibt kein einziges Klischee, das Lubitsch ausgelassen hätte, über Nazis, Juden, Polen, und doch ist es ein großartiger Film, ein Klassiker. Klischees bilden ja auch einen Teil der Wahrheit ab, die kommen ja irgendwo her. Goosen hat mit Klischees gespielt, sein Buch aber nicht damit überfrachtet. Ich denke, der Film tut das auch nicht. Es spielen ja auch nicht die üblichen Verdächtigen mit, die sonst immer in Ruhrgebietsfilmen dabei sind. Von daher glaube ich, dass der Klischeealarm hier nicht so groß ist.

Was ist Ihnen persönlich lieber, so ein intimer oder ein großer Film?

Beides. Ich mag die Abwechslung. Ich bin ja in der schönen Position, dass ich sowohl Spielfilme machen darf als auch Dokumentarfilme, Serien, Theater und auch Werbung. Das wird dann nie langweilig, das hält mein Verhältnis zu meinem Beruf frisch.

Dennoch gelten Sie als der Mann fürs Große. Sie sind immer dazu verdammt, dass man bei Ihren Filmen ein Millionenpublikum erwartet. Ist das eigentlich eine Last, die Sie tragen müssen? Der Fluch des Erfolgs?

Ich nehme das erst mal als Kompliment. Hätte man mir in meinen Anfängen prophezeit, man würde mich mal als Mann der großen Projekte bezeichnen, hätte ich das nicht geglaubt. Es schmeichelt mir, wenn man mir ein großes Projekt anvertraut. Ich liebe aber auch kleinere Projekte, die mir sicher näher sind. Im Ruhrgebiet bin ich aufgewachsen, in der Charité kenne ich mich nicht aus, in der wilhelminischen Zeit kannte ich mich auch nicht aus. Abwechselnd beides machen zu können, ist ein großes Privileg. Aber Last? Ich hatte nur zweimal Last in meinem Berufsleben . . .

Nämlich?

Nach meinem ersten Spielfilm – hätte der nicht geklappt, wer weiß, ob ich noch mal einen zweiten hätte machen dürfen. Und dann bei „Das Wunder von Bern“, der ziemlich teuer war und bei dem wir ein großes finanzielles Risiko eingegangen sind. Ich hab da viel eigenes Geld reingesteckt, das hätte schnell zu einer persönlichen Insolvenz führen können. Bei „Charité“ hatte ich keine Last, und ob das acht Millionen schauen oder fünf, hat keine direkten Auswirkungen, auch wenn ich das mit den Quoten immer sehr sportlich nehme. Aber ich bin aus dem Alter raus, wo man das als Last empfindet.

Wann hat das aufgehört?

Mit dem Erfolg vom „Wunder von Bern“. Alle hatten uns abgeraten. Sportfilme gehen nicht, hieß es damals, erst recht, wenn man das Ergebnis schon weiß. Es ging doch. Seitdem macht der Job eigentlich nur noch Spaß.

Seit dem „Wunder von Bern“ sind Sie nicht nur der Manns fürs Große, sondern auch der für die deutschen Themen, ob bei „Deutschland – ein Sommermärchen“ oder „Deutschland. Dein Selbstporträt“.

Aha, die nächste Schublade. Ich kann Ihnen auch die dritte sagen: Sönke Wortmann, der Komödienregisseur. Dagegen immerhin habe ich erfolgreich gearbeitet. Aber wissen Sie: Alle reden immer von Schubladendenken. Bei mir gibt es drei Schubladen, das ist doch schon was. Damit bin ich zufrieden. Aber ich mache halt immer auch Filme wie „Sommerfest“, der jetzt in keine dieser Schubladen passt. Es ist ein bisschen eine Komödie, aber eine traurige, aber es ist weder groß noch besonders deutsch.

Dennoch scheinen Sie gesetzt als Regisseur, wenn die Nationalelf bei der Fußball-WM filmisch begleitet wird. Oder wenn einer lauter deutsche Homevideos von einem bestimmten Tag zu einem Deutschland-Porträt zusammenschneiden soll. Wie sehen Sie gerade die Gefühlslage, die Seelenlage der Deutschen?

Ich würde sagen, aufgeschreckt. Da passiert etwas, und man muss das beobachten. Ich bin nicht so pessimistisch wie so viele. Ich bin aber auch kein Deutschen-Erklärer. Andererseits: Als politisch denkender Mensch kann ich mich da auch nicht raushalten. „Deutschland. Dein Selbstporträt“ war für mich schon eine interessante Aufgabe, zu sehen, wie die Deutschen ticken. Wie sie vor zwei Jahren getickt haben, das zeigten schon die Tausende Video-Einreichungen, aus denen der Film entstanden ist. Nämlich erstaunlich zufrieden. Die meisten haben gesagt: Wir leben gern hier, uns geht es gut, wir haben alle Freiheiten. Die Flüchtlingskrise fing da gerade an.

Wenn Sie heute noch mal so einen Film machen würden, hätten Sie Angst, das würde ein ganz anderes Bild von den Deutschen geben?

Angst nicht. In einer Gesellschaft gibt es eben auch solche Stimmen, damit muss man sich auseinandersetzen. Und auch versuchen, dem entgegenzuwirken. Aber ich glaube, als Gesellschaft funktionieren wir insgesamt ganz gut.

Gerade flammt ja wieder die Diskussion über eine deutsche Leitkultur auf. Braucht man so etwas?

Ich glaube schon, dass man, wenn man in Deutschland lebt, gewisse Dinge respektieren sollte, die sich die Deutschen im Lauf der Jahrzehnte erarbeitet haben an Gesetzen und Moralvorstellungen. Wenn ich jetzt zum Beispiel nach Saudi-Arabien zöge, würde ich mich doch auch nach deren Gesetzen richten und deren Kultur respektieren. Wahrscheinlich ist nur das Wort „Leitkultur“ missverständlich. Es gibt einfach eine deutsche Kultur, an der man sich orientieren sollte. „Leitkultur“ klingt immer so ein bisschen überheblich, als sei unsere Kultur besser als die anderen.