Düsseldorf. . Medizinstudent Anil O. kehrte der Terrormiliz IS den Rücken – und sagte gegen die Männer aus, die ihn in den bewaffneten Kampf geschickt hatten.

Dieser Mann sieht nicht aus wie einer, der Anil O. heißt und einen türkischen Pass hat. Eher wie Hape Kerkeling in seiner komischen Rolle als Horst Schlämmer. Nur ist das hier nicht zum Lachen. Der Angeklagte ist verkleidet, niemand darf ihn erkennen: Im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgerichts sitzt er als jener IS-Rückkehrer vor dem Strafsenat, der im Herbst auspackte über das Schleuser-Netzwerk um den salafistischen Prediger Abu Walaa. Fünf Männer sind seither in Haft.

Das Gesicht des Angeklagten müsse anonymisiert werden, hatte die Kammer angeordnet – aber das übernimmt der 23-Jährige aus Gelsenkirchen selbst. Für die Kameras hält er sich einen Aktenordner vor das Gesicht, das gesträhnte Blond darüber lässt ahnen: Das sind nicht die Haare von Anil O.

Schussweste und Sturmhaube

Tatsächlich ist es eine Perücke der Sorte Vokuhila (Vorne kurz, hinten lang) über einem stark geschminkten Gesicht. Die Augen bleiben unter dicken Brillengläsern verborgen, die Lippen unter einem angeklebten Schnurrbart. Hereingeführt wird diese künstlich dicke Gestalt im zu engen Jackett von Personenschützern mit schusssicheren Westen und Sturmhaube.

Der Angeklagte, das ist offensichtlich, befindet sich in Lebensgefahr. Denn er war es, der in einem TV-Interview vor Jahresfrist Namen nannte: Abu Walaa aus Hildesheim und Tönisvorst sei der Kopf der Terrormiliz IS in Deutschland. Er gebe jungen Islamisten den „Befehl zur Ausreise“. Laut Anklage des Generalbundesanwalts hat der „Mann ohne Gesicht“, der sich nie öffentlich zeigte, den Gelsenkirchener für den bewaffneten Kampf geworben, ihm Kontakte nach Syrien vermittelt, ihm Geld gegeben für die Reise. „Gelernt haben“ aber will Anil O. im Ruhrgebiet: Bei Hasan C. in Duisburg, in dessen Reisebüro sich auch die im April verurteilten Attentäter auf den Essener Sikh-Tempel radikalisiert haben sollen. Und bei Boban S. in Dortmund – alle drei wohl auch Kontaktmänner von Anis Amri, der auf dem Berliner Weihnachtsmarkt zwölf Menschen tötete.

Lange hatte die Polizei ermittelt gegen Walaa und seine Helfershelfer und doch nicht genug gegen sie in der Hand – bis Anil O. auftauchte. Er, der ein guter Schüler war und Medizin studierte, soll ab Frühjahr 2015 zunehmend radikaler geworden sein. Bei Hasan C. und Boban S. soll er „Unterrichtseinheiten“ besucht haben. Alle drei, sagte er vor der Fernsehkamera, provozierten auf „emotionale Weise“, „Hass kriegt man auf jeden Fall“.

Im August 2015 brach der Deutsch-Türke auf, über Griechenland und die Türkei nach Syrien – mit Frau und damals zweijährigem Sohn und trotz eines Ausreiseverbots. Offenbar wollte er beim „Gesundheitsministerium“ des IS eine „herausragende Position“ als Mediziner einnehmen, wie es in der Anklage heißt. Dazu sollte er die Universität im umkämpften Mossul besuchen, sich zunächst aber „an ein Leben im IS“ gewöhnen.

Festnahme in Düsseldorf

Doch das schaffte Anil O. nicht: Schon nach einem Monat versuchte er, „abgeschreckt vom brutalen und menschenverachtenden Verhalten auch gegenüber Muslimen und den eigenen Leuten“, mehrfach zu fliehen. Nach Monaten im Gefängnis, erst in Syrien, später in der Türkei, kehrte er mit seiner Familie im September 2016 nach Deutschland zurück. Am Flughafen Düsseldorf wurde er festgenommen – und packte aus. Sechs Wochen später wurden Abu Walaa, Hasan C., Boban S. und zwei weitere Männer verhaftet.

Nach seiner eigenen Verhandlung, die nur für drei Tage angesetzt ist, wird Anil O. also in weiteren Prozessen aussagen – dann als Zeuge. Die Anklage gegen ihn samt der Beschuldigungen gegen die Männer, die ihn für den Dschihad rekrutiert haben sollen, sagte er am Montag vor Gericht, sei „im wesentlichen korrekt“.

VORWURF: MITGLIEDSCHAFT BEI TERRORISTEN

Der Deutsch-Türke Anil O. ist angeklagt wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Er darf aber auf eine geringe Strafe hoffen.

Als Kronzeuge ist der 23-Jährige aus der Untersuchungshaft inzwischen entlassen, lebt an einem unbekannten Ort.