Aachen. Tiefergelegte Sportwagen sind nur cool, wenn man lässig aus ihnen aussteigen kann. Wenn dabei die Knie schmerzen, ist ein Kombi angebrachter. Um nachzuvollziehen, wie sich Senioren in Autos fühlen, haben Ingenieure einen Altersanzug entwickelt, mit dem sie den Komfort ihrer Produkte testen.

Moni im Geschirr gibt auch nicht mehr die gute Figur von vorher ab. Die Füße sind wie steif, das Bücken fällt ihr schwer, das Schuhanziehen dauert; und wie sie überhaupt aus diesem niedrigen Sitz jemals wieder hochkommen soll, weiß ratloserweise niemand; seniorenartig wird sie gleich nach der Autotür hangeln, an der sie sich hochziehen kann. Monika Wagener ist soeben in Minuten gealtert: von 41 Jahren auf vielleicht 75. Plötzlich Pensionärin.

Einmal 75 und zurück. Denn das rapide Altern Wageners lässt sich mit etlichen befreienden Handgriffen eines Helfers auch wieder rückgängig machen, und danach sagt sie etwas naheliegendes: „Ich fühle mich wie neu geboren.” Die Sprecherin des Ford-Forschungszentrums in Aachen hat sich gerade aus dem hauseigenen Altersanzug schälen lassen; Altersanzug 2.0, muss man wohl dazu sagen.

Denn seit diesem Sommer haben sie ein neues, ausgefeilteres Modell, um zu simulieren, wie sich Menschen mit 65 Jahren fühlen, mit 72 oder 82 und so und wozu sie körperlich noch in der Lage sind. Ford und inzwischen auch andere Autofirmen legen nämlich ihren Ingenieuren, Entwicklern und Designern von Fall zu Fall Altersanzüge an, damit die am eigenen Leib spüren, welche Gebrechen mit den Jahren kommen.

Quälerei mit Klettverschlüssen

"Wir wollen ein Bewusstsein schaffen, die Bedürfnisse alter Menschen zu bedenken”, sagt der Mediziner und Diplom-Ingenieur Werner Koch (50). Schließlich kaufen auch sie noch Autos, und da möchte es ein Vorteil sein, wenn die Handbremse auch auf Knopfdruck reagiert statt nur auf Kraft.

Der Anzug selbst: ein roter Overall, darunter Kunststoff und Korsetts. Quälerei mit Klettverschlüssen. Handschuhe schränken den Tastsinn ein, Bandagen und Gurte die Beweglichkeit der Gelenke, ganz wie bei Alten, und wenn man über die Schulter blicken will, muss der ganze Oberkörper mit rum.

Wenn man dann noch die Stöpsel ins Ohr steckt und eine von 36 Brillen aufsetzt mit den verschiedensten hässlichen Sehstörungen, ist es, als gehe ein Vorhang nieder zwischen den eigenen Sinnen und der Welt, nun ja, der Welt da draußen.

„Schlecht sehen kann man jetzt gut” wäre die Persiflage, aber die Wahrheit ist nicht witzig: Allein das beschränkte Sichtfeld macht schon vorsichtig und langsam, man sieht wenig kommen und erschrickt prompt. „Sind Rolltreppen immer so steil? Bedrohlich rasen die Stufen in die Tiefe”, so hat das eine vorübergehend gealterte Focus-Kollegin treffend beschrieben – und Rolltreppen in Deutschland sind ja nun wirklich betulich.

Eine niederdrückende Erfahrung

Doch in einem Land voll älterer Menschen werden deren Bedürfnisse einflussreicher. So ist es nicht nur die Autoindustrie, die mit Altersanzügen arbeitet. Es wurden auch schon Busfahrer geschult, um zu begreifen, warum Aussteigen lange dauern kann; oder Altenpfleger, um sich einmal einzufühlen in ihre Kundschaft: So schmeckt der Abend.

Freilich sind die Anzüge in einem Punkt unrealistisch: Üblicherweise hat ein Mensch 20 Jahre Zeit, um sich umzustellen von Alter 50 auf Alter 70, und lernt in dieser Zeit, Unzulänglichkeiten teilweise auszugleichen; dagegen ist der plötzliche Altersanzug eine einzige, buchstäblich niederdrückende Erfahrung.

Es gibt keine "Alte an Bord"-Aufkleber

Doch nochmal kurz zurück nach Aachen. „Gute Ergonomie kommt allen zugute, nicht nur älteren Leuten”, sagt der Arztingenieur Koch. Auf keinen Fall wolle man „Seniorenautos konstruieren, das wollen die selbst nicht, das empfänden sie als Herabsetzung”.

Das dürfte auch der Grund sein, warum man an keinem Heckfenster eine Variante des Aufklebers sieht, mit dem Familien auf sich aufmerksam machen; keinen einzigen Aufkleber „Alte an Bord”.