Wattenscheid. "In der Fremde zu Hause"- diesen Titel empfindet Renan Demirkan als Ohrfeige. Sie fühlt sich assimiliert. Dennoch nimmt sie am Dienstag in Wattenscheid an einer gleichnamigen Podiumsdiskussion teil. Mit ihr sprach WAZ-Redakteur Ferdi Dick.

Sie sind am Dienstag Gast einer Podiumsdiskussion in der Friedenskirche in Wattenscheid, die sich mit Fragen zur Integration und Migration befasst. Wie finden Sie den Titel ,In der Fremde zu Hause'?

Schriftstellerin und Schauspielerin Renan Demirkan. Foto: Kulturring Meschede
Schriftstellerin und Schauspielerin Renan Demirkan. Foto: Kulturring Meschede © WR

Renan Demirkan: Das könnte ein schöner Romantitel sein – hat aber mit meiner Wirklichkeit nichts zu tun! Und solange die deutsche Politik sich nicht ändert, wird diese Frage bedauerlicherweise wohl auch noch in der Zukunft auftauchen. Sie ist eine Ohrfeige für jeden Migranten, der sich hier schon seit Jahrzehnten eingerichtet hat, aber nie gleichrangig behandelt wurde.

Sie sind 1955 in der Türkei geboren und kamen im Alter von sieben Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland. Wo fühlen Sie sich zu Hause, wo ist Ihre Heimat, oder sind Sie ein Wanderer zwischen den Welten?

Demirkan: Heimat ist kein geografischer sondern ein emotionaler Ort: Meine Heimat ist bei meinen Eltern, meiner Tochter und in der deutschen Sprache. Mein Zuhause ist ein soziokultureller Ort: in Köln im belgischen Viertel. Und ich bin kein Wanderer zwischen den Welten – ich bin die Welten. Ich bin eine 7-jährige Türkin und eine 45-jährige Deutsche in einem Atemzug.

Fühlen Sie sich in die deutsche Gesellschaft integriert?

Demirkan: Ihre Frage ist eine Beleidigung. Ich lebe seit 45 Jahren hier. Aus meinem Verständnis heraus bin ich nicht integriert, sondern assimiliert. Und das ist gut so. Ich bin hier aufgewachsen und werde hier sterben – also behandeln Sie mich nicht wie ein Fremde. Genau aus diesem Grund sage ich, dass die Integration gescheitert ist, weil der Migrant durch diese – auch die mediale Haltung – in einer Dauerausgrenzung lebt. Er soll sich fügen, bleibt aber ein Fremder, weil es nie das Interesse der Politik war und ist, diese Zugewanderten einzubürgern, um Sie zu gleichrangigen Bürgern werden zu lassen. Integration ist verwaltetes Desinteresse an den Neubürgern und fortgesetzte Ungleichheit. Das ist nicht nur diskriminierend, das ist demütigend! Überdies stellt sich für Migranten diese Frage nicht, denn er fügt sich ja ganz organisch in den gesellschaftlichen Ablauf, er zahlt Miete, Steuern, benimmt sich anständig und höflich. Aber er fragt sich nach einiger Zeit: Wer bin ich? Nicht Integration ist sein Problem, sondern die Identität.

Sie haben eine Tochter, die in Deutschland geboren ist. Nach welchen Grundsätzen haben Sie Ihr Kind erzogen, und spielen die Themen Integration und Migration in der familiären Kommunikation eine Rolle?

Demirkan: Meine Tochter wird im Juli 22 Jahre – und ist bereits in sich die Weiterentwicklung einer Migrationsgeschichte, da muss nichts kommuniziert werden. Sie ist eine Deutsche mit einer türkischen Mutter und einem österreichischen Vater, in Köln geboren. Sie hat im katholischen Kindergarten das ,Vater unser' gelernt, von ihrer Großmutter gehört, dass es einen Allah gibt und gerade im Kibbuz HaZorea erlebt, dass Juden ihren Sonntag am Samstag feiern. Und Anfang Mai wird sie nach Toronto fliegen um dort ihren Bachelor in Arts zu machen mit Schwerpunkt Philosophie, in englischer Sprache. Ich glaube, Ihre Frage ist damit ausreichend beantwortet.

Neben Ihnen nimmt morgen auf dem Podium auch Dr. Rolf Heinrich Platz, der evangelischer Seelsorger im Gelsenkirchener Stadtteil Hassel. Dort haben nach den Erhebungen einer Sozialraumanalyse 50 Prozent der Hauptschüler und 80 Prozent der Grundschüler einen Migrationshintergrund. Unter welchen Voraussetzungen kann dort nach Ihrer Einschätzung Zusammenleben funktionieren?

Demirkan: Abgesehen davon, dass die Schulform Hauptschule längst abgeschafft gehört und dass Kinder in kleineren Klassen unterrichtet werden müssten. Indem die Politik ein klares Einwanderungsgesetz beschließt, zugereiste Menschen nicht als Bürger zweiter Klasse behandelt, sie als autonome Kulturwesen respektiert und sie so zum Mitmachen und zum Mitgestalten in der Gesellschaft befähigt und befördert. Menschen, die in einer Interimssituation, einer improvisierten Existenz leben, werden sich nicht bemühen, ihr Umfeld mit gestalten zu wollen. Es muss gesetzlich endlich ganz klar werden: Wer hier bleiben will, ist ein Bürger dieses Landes mit gleichen Rechten und Pflichten.

Wie würden sich nach Ihrer Meinung die Bürger in einer türkischen Großstadt verhalten, wenn dort der Bau eines christlichen Gotteshauses realisiert würde, das in seinen Dimensionen mit der Duisburger Moschee vergleichbar wäre?

Demirkan: Ich weiß es nicht, ich lebe in Köln. Aber was mir unangenehm auffällt an dieser Frage ist, dass sie spekulativ ist. Was wäre denn Ihnen recht? Dass die Kirche demoliert würde? Sollte dann in Duisburg auch eine Abrissbirne anfahren? Und wenn die Türken nun die Kirche bejubelten? Würden dann hier alle Deutschen die Moschee feiern? Fragen dieser Art klären nichts, sie sind tendenziös und dämonisierend und vergrößern nur die Ablehnung.

Ist der Islam nach Ihrer Beurteilung eine Religion oder eine Weltanschauung?

Demirkan: Für Gläubige ist ihr Glaube immer zugleich Weltanschaung und alltägliches Ritual. Für den Papst genauso wie für den Dalai Lama. Würden Sie einem Juden diese Frage auch stellen? Welch eine Respektlosigkeit! Dass Sie diese Frage überhaupt stellen, ist eine Beleidigung der – laut Vatikan letzter Woche – größten religiösen Gemeinde der Welt mit 1,4 Milliarden Muslimen.

Renan Demirkan wurde 1955 im türkischen Ankara geboren. 1962 kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Bekannt wurde sie als Film- und Theaterschauspielerin. 1991 erschien ihr erster Roman "Schwarzer Tee mit drei Stück Zucker". Bis heute folgten vier Bücher. Für ihr Schaffen ist sie mehrfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz (1998) und dem Adolf-Grimme-Preis (1990).

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