Frankfurt. Die geplante Massenimpfung gegen die Schweinegrippe stößt zunehmend auf Kritik. Die Bundesärztekammer prangerte am Wochenende den Einfluss der Pharma-Lobby an und forderte, lediglich Risikogruppen zu impfen. Unterdessen streiten Experten weiter über die Gefährlichkeit des Virus.

Die Bundesärztekammer prangert die Schweinegrippen-Impfung für alle an. Foto: ddp
Die Bundesärztekammer prangert die Schweinegrippen-Impfung für alle an. Foto: ddp © ddp | ddp





Immer lauter wird die Kritik an der geplanten Massenimpfung gegen die Schweinegrippe in Deutschland. Die Bundesärztekammer prangerte den Einfluss der Pharma-Lobby an und forderte, lediglich Risikogruppen zu impfen. In den Ländern regt sich inzwischen Widerstand gegen weitere Bestellungen des Impfstoffs. Auch Wissenschaftler streiten über die Gefährlichkeit von H1N1: Während der renommierte Virologe Stefan Becker auf den milden Verlauf der Pandemie hinwies, warnte das Robert-Koch-Institut vor Verharmlosung.

Die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Cornelia Goesmann, wandte sich entschieden gegen eine Durchimpfung der Gesamtbevölkerung. Die Zahl ernsthaft erkrankter Menschen sei verschwindend gering. Es entstehe «der Verdacht, dass die Interessen der Pharmaindustrie durch ihre Lobbyisten wieder einmal gut bedient werden», schrieb Goesmann in einem Beitrag für die «tageszeitung». Die Beschäftigen in medizinischen Betrieben erlebten die Realität der Schweingrippe «unisono als hysterische Panikmache ohne fassbaren Hintergrund».

Ab Herbst soll in Deutschland der Impfstoff gegen das H1N1-Virus zur Verfügung stehen. Die Bundesländer haben bislang etwa 50 Millionen Dosen bestellt, die für 25 Millionen Menschen reichen. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt forderte ihre Länderkollegen aber auf, so viel Impfstoff gegen die Schweinegrippe zu ordern, «dass jeder, der sich impfen lassen will, auch geimpft werden kann». Sie gehe davon aus, dass sich die Landesgesundheitsminister ihrer Verantwortung stellten, sagte Schmidt dem Berliner «Tagesspiegel».

RKI warnt vor Leichtfertigkeit

Der Hamburger Gesundheitssenator Dietrich Wersich (CDU) sagte dagegen dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel»: «Wir sind der Meinung, dass die bereits bestellten Impfdosen für 30 Prozent der Bevölkerung ausreichend sind.» Auch der Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik in Bremen, Matthias Gruhl, wandte sich gegen Nachbestellungen des Impfstoffs und verwies auf die Kosten von mehr als einer Milliarde Euro, «die auch an anderer Stelle im Gesundheitswesen genutzt werden könnte».

Gruhl warf dem Robert-Koch-Institut in Berlin und dem Paul-Ehrlich-Institut in Langen vor, zu sehr Einfluss auf die Politik zu nehmen, um «noch mehr Impfstoffe und noch mehr Medikamente zu kaufen». Auch der Marburger Virologe Stefan Becker wies darauf hin, dass die Schweinegrippe-Pandemie bislang ausgesprochen milde verläuft. Damit habe niemand gerechnet. «Wahrscheinlich hätten wir früher gar nicht gemerkt, dass es zurzeit eine Pandemie gibt», sagte der Experte.

Der Vizepräsident des Robert-Koch-Instituts, Reinhard Burger, sagte dagegen der «taz»: «Es wäre leichfertig, dieses Virus abzuschreiben als mildes Virus und die Hände in den Schoß zu legen.» Deutschland müsse sich vorbereiten. Es sei wichtig, Impfstoffvorräte anzulegen und Impfungen vorzubereiten, erklärte Burger: «So schnell hat sich noch nie ein Influenzavirus ausgebreitet.»

Auslieferung erst Ende Oktober

Nach den zuletzt verfügbaren Zahlen des Robert-Koch-Instituts hat es in Deutschland seit Ende April bislang insgesamt 16.835 Schweinegrippe-Fälle gegeben. Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins «Focus» kann die Auslieferung des Impfstoffs erst im letzten Oktoberdrittel beginnen. Das Blatt berief sich auf entsprechende Angaben in einem Rundschreiben der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Sachsen-Anhalt. Demnach könnte sich die Impfaktion «bis zum Frühjahr 2010 hinziehen».