Köln. Die Gefahr lauert im Gras. Die Zahl der Infektionen durch Zeckenbisse ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Jedes dritte Tier trägt den Borreliose-Erreger in sich, zudem breiten sich die infizierten Zecken weiter nach Norden aus.

Wenn Professor Dr. Heinz Mehlhorn von seinem Forschungsobjekt spricht, dann liegt Bewunderung in seiner Stimme, fast möchte man sagen Zärtlichkeit. Doch das „wunderschön marmorierte“ Dermacentorweibchen, Vertreterin einer von zwei in Deutschland verbreiteten Zeckenarten, kann Überträgerin gravierender Erkrankungen sein. Darum informiert das Deutsche Grüne Kreuz derzeit gemeinsam mit Professor Mehlhorn und einigen Kollegen in einer gezielten Kampagne über die Gefahr.

Übertragene Krankheiten

FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis)

Übertragungsweg:

durch den Speichel einer Zecke bereits kurz nach dem Biss

Verlauf in zwei Phasen

1. Phase (ein bis zwei Wochen nach dem Biss): grippeartige Symptome wie Abgeschlagenheit, Schwindel, Kopfschmerz, Magen-Darm-Beschwerden. Dauer etwa vier Tage

2. Phase (nach einer beschwerdefreien Woche): Hirn- bzw. Hirnhautentzündungen mit Bewusstseinsstörungen, Koordinationsstärungen, Lähmungen. Eine völlige Genesung ist ebenso möglich wie Folgeschäden in Form von Müdigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisschwäche, Kopfschmerzen, Lähmungen oder Anfallsleiden.

Die zwei hauptsächlich von den Krabblern übertragenen Krankheiten sind FSME (Frühsommer Meningo-Enzephalititis) sowie die Borreliose. Längst nicht jeder Zeckenbiss führt zur Infektion, und nicht jede Infektion führt wiederum zur Erkrankung. Bei Borreliose geht man davon aus, dass nur 1,4 Prozent der Infektionen auch zu Beschwerden führen. Beide Krankheiten können jedoch zu einer dauerhaften gesundheitlichen Einschränkung führen mit Symptomen, die in ihrer Schwere einem Schlaganfall gleichzusetzen sind. Langfristig können Lähmungen und Empfindungsstörungen ebenso zurückbleiben wie chronische schmerzhafte Gelenkentzündungen (siehe Infoboxen). Besonders betroffen sind Jüngere und Ältere, bei Senioren ist der Krankheitsverlauf häufig schwerer.

Wenn die „tickenden Zeitbomben“ erst „einen Blutsee in die Haut gesäbelt“ haben wie Mehlhorn in drastischen Worten formuliert, dann kann es bereits zur Infektion gekommen sein. Nach Angaben des Wissenschaftlers ist in Deutschland derzeit jede dritte Zecke Borreliose-Träger, in Risikogebieten wie Baden-Württemberg liegt der Wert höher. Im Englischen Garten in München sollen sogar acht Prozent der Tiere betroffen sein. Die entsprechenden Zahlen für Borreliose liegen nach Angaben des Deutschen Grünen Kreuzes höher: Jede dritte Zecke ist demnach infiziert.

Menschen und Tiere betroffen

Borreliose

Übertragungsweg:

durch den Speichel einer Zecke bereits kurz nach dem Biss

Verlauf in drei Phasen

1. Phase (Tage bis Wochen nach dem Biss): rötlicher oder bläulich-rötlicher Fleck, Wanderröte. Vielleicht zusätzlich Fieber, Augenbindehautenzündungen, geschwollene Lymphknoten sowie schmerzende Muskeln und Gelenke.

2. Phase (Wochen bis Monate nach dem Biss): brennende Schmerzen nahe der Biss-Stelle, Muskel- und Gelenkschmerzen. Hinzu kommt ein allgemeines Krankheitsgefühl, Müdigkeit, Lähmungen, Empfindungsstörungen oder Herzprobleme.

3. Phase (Monate bis Jahre nach dem Biss): Arthritis, Schmerzen vor allem in den Kniegelenken. Möglicherweise verdünnt und verfärbt sich die Haut, auch Gelenkbeschwerden und Missempfindungen sind möglich sowie eine Schädigung des Gehirns.

Zecken bevorzugen behaarte Wirtstiere wie Wild, Nagetiere oder Hunde und Katzen, saugen sich aber auch an verdeckten Körperstellen beim Menschen fest. Wildtiere wie Mäuse erkranken trotz Infektion nicht wesentlich. „Menschen sind Newcomer“, erklärt Mehlhorn. Einige Tiere hatten im Laufe der Evolution mehr Zeit als der Mensch, ihr Immunsystem auf die Gefahr einzustellen.

Impfschutz

Zur Vorbeugung empfiehlt Professor Dr. Herwig Kollaritsch von der Universität Wien lakonisch: „Nicht hinfahren oder ein Ganzkörperkondom oder die Impfung.“ Neben Vorsichtsmaßnahmen wie langer Kleidung und der Anwendung von Insektenmitteln (siehe Infobox) bietet jedoch nur eine Impfung vollständigen Schutz – allerdings nur vor FSME. Das Grüne Kreuz im Verbund mit den beteiligten Medizinern empfehlen die Impfung ausdrücklich. Die Nebenwirkungen seien gering, ein vorläufiger Impfschutz lässt sich durch eine Schnellimpfung bereits nach 21 Tagen erzielen. Bei ausreichender Vorlaufzeit wird im konventionellen Rhythmus geimpft, hier setzt der Schutz nach 41 Tagen ein. Damit der Impfschutz über mehrere Jahre hält, wird eine Nachimpfung möglichst innerhalb eines Jahres empfohlen.

Die Impfung hat laut österreichischen Studien eine Wirksamkeit von 98 bis 99 Prozent. Obwohl Österreich zu den zentraleuropäischen Hochrisikogebieten für FSME zählt, sind die Fallzahlen dank einer hohen Impfrate in der einheimischen Bevölkerung gering. Auch in Deutschland waren die Zahlen 2007 erstmals rückläufig: ein erhöhtes Bewusstsein für die Gefahr und höhere Impfraten zaubern ein Lächeln ins Gesicht der Mediziner.

Ist es erst zur Infektion mit FSME-Erregern gekommen, hilft nur noch Abwarten und symptomatische Behandlung. Einen möglichen Ausbruch der Erkrankung nannte Kollaritsch „schicksalhaft“.

Verhaltenstipps

Was Sie über eine FSME-Impfung hinaus tun können

Tragen von heller, geschlossener Kleidung

Vermeiden von Unterholz und hohen Gräsern

Auf den Wegen bleiben

Insektenmittel auf Schuhe, Socken, die Hosenbeine bis zum Knie und die Beine auftragen. Die Schutzwirkung guter "Repellentien" hält allerdings nur einige Stunden an, danach sollte das Mittel erneut angewendet werden.

Körper häufig nach Zecken absuchen, besonders Hautfalten, Gelenke und bei Kindern den Kopf- und Halsbereich, am Halsansatz

Empfohlen wird die Impfung besonders für bestimmte Gruppen. Dazu gehören Bewohner von Risikogebieten oder Urlauber in diesen Regionen ebenso wie Laborpersonal oder Menschen, die sich in Beruf und Freizeit viel in der Natur aufhalten. Zecken lassen sich entgegen landläufiger Meinung übrigens nicht von Bäumen fallen sondern warten, je nach Art, entweder in Gräsern oder Büschen auf vorbeistreifende Wirte oder legen sogar einen Weg von bis zu einem Meter bis zur „Beute“ zurück. Leiten lassen sich die Spinnentiere dabei von Geruch, Luftzug und Erderschütterungen.

Für die Borreliose ist eine vorbeugende Injektion nicht erhältlich. Im Gegensatz zur FSME verspricht allerdings eine frühzeitige Behandlung mit Antibiotika Erfolge, da es sich um eine bakterielle Erkrankung handelt. Verhängnisvoll ist lediglich die Verwechslung mit einer Sommergrippe, wenn der Biss selbst unbemerkt geblieben ist. „Viele gehen deshalb gar nicht zum Arzt“, beklagt Professor Dr. Klaus Wahle, Allgemeinmediziner und Mitglied der Ständigen Impfkommission. Und wenn der Patient sich doch in Behandlung begibt, dann vermutet auch der Hausarzt in der Regel nicht als erstes einen Zeckenbisss.

Verhalten beim Zeckenbiss

Wer also eine Zecke entdeckt, sollte zügig den ganzen Körper mit einer spitzen Pinzette oder speziellen Zange entfernen. Das Tier sollte nicht ausgequetscht werden, damit keine zusätzlichen Erreger in den Blutkreislauf des „Opfers“ gelangen. Wenn das Vorderteil dabei stecken bleibt, ist das kein Grund zur Beunruhigung: „Die Reste verschwinden von alleine“, sagt Mediziner Mehlhorn.

Gefahr für EM-Besucher

Fußballfans und potenziellen EM-Besuchern rät das Deutsche Grüne Kreuz daher zur Impfung. Der Impfstoffmittel-Engpass des letzten Jahres, der durch ein erhöhtes Gefahrenbewusstsein ausgelöst wurde, ist inzwischen behoben. Von Nutzen kann die Impfung für jeden sein, der sich auch nur zeitweise in Wald und Feld aufhält. Während die Infektionsgefahr in den und um die Schweizer Austragungsorte gering eingeschätzt wird, liegen gerade die österreichischen Hochburgen des Fußball-Sommers im Risikogebiet (siehe Grafik). Bei Reisen ins Ausland übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen in der Regel als Reiseimpfung, ebenso kostenlos ist der Schutz für Bewohner von Risikogebieten erhältlich. In allen anderen Fällen sollten Interessierte bei der Krankenkasse nachfragen.

Grafik: Deutsches Grünes Kreuz
Grafik: Deutsches Grünes Kreuz

In den nächsten Jahren, da sind sich die Experten sicher, wird die Gefahr in jedem Fall steigen. Zecken werden erst ab einer Temperatur von 10 Grad Celsius aktiv. Bedingt durch mildere Winter und längere Sommer nimmt die Verbreitung der Tiere nach Norden zu. Hinzu kommt durch die Öffnung des ehemaligen Ostblocks auch stärkerer Reiseverkehr zwischen Mitteleuropa und Risikoländern. Das Erkrankungsrisiko entspreche etwa dem einer Typhuserkrankung in Entwicklungsländern, argumentiert Professor Kollaritsch. „Und da ist eine Impfung doch selbstverständlich – und das obwohl Typhus behandelbar ist, FSME aber nicht.“

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