Izmir/Paderborn. Gegen den mutmaßlichen Mörder des türkischen Mädchens Kardelen beginnt am Freitag der Prozess in Izmir, Türkei. Das Opfer wurde in Paderborn getötet. Weil aber der Täter in der Türkei gefasst wurde, findet das Gerichtsverfahren dort statt.

Als Ali Kur, der mutmaßliche Mörder der achtjährigen Kardelen, am 13. Januar, dem Tag nach der grauenhaften Tat, am Flughafen Köln-Bonn mit seiner Frau Zehra die Maschine ins türkische Izmir bestieg, glaubte er wohl, davongekommen zu sein – wer würde ihn in der Türkei schon finden? Tatsächlich war es nicht die Polizei, die ihn drei Wochen später im westtürkischen Didim aufspürte, sondern sein aus Deutschland nachgereister Schwiegervater Kadir Ayaz. „Es war eine Frage der Ehre”, sagte der 49-Jährige. Von heutigen Freitag an steht Ali Kur in der westtürkischen Kleinstadt Söke vor Gericht.

MORDFALL KARDELEN K. (8) in Paderborn mit Fundort Möhnesee. Ein Bild vom Mordopfer Kardelen aufgestellt am Wohnort in Paderborn Foto: Gerd Lorenzen
MORDFALL KARDELEN K. (8) in Paderborn mit Fundort Möhnesee. Ein Bild vom Mordopfer Kardelen aufgestellt am Wohnort in Paderborn Foto: Gerd Lorenzen © WP

Weil die Türkei ihre Staatsbürger grundsätzlich nicht ausliefert, wird ihm hier der Prozess gemacht. Die Anklage stützt sich auf die Ermittlungsergebnisse der deutschen Staatsanwaltschaft. Danach soll Kur am 12. Januar das Nachbarskind in seiner Wohnung in Paderborn sexuell missbraucht und erstickt haben. Dann versteckte er die Leiche des Mädchens in einer Tannenschonung am Ufer des 60 Kilometer entfernten Möhnesees. In der Türkei droht Ali Kur für die Vergewaltigung und den Mord eine lebenslange Haftstrafe – und das könnte wörtlich gemeint sein: Kur solle „bis zum Tode hinter Gittern” bleiben, wird ein türkischer Justizsprecher zitiert.

Der heute 30-Jährige leugnet die Tat bisher. Aber die Beweise sind erdrückend. Kur, der im Alter von 21 Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen und arbeitslos war, lebte mit seiner Frau in Paderborn nur 30 Meter vom Elternhaus der kleinen Kardelen entfernt. An jenem schicksalhaften 12. Januar wollte das türkischstämmige Mädchen eine Freundin besuchen – drei Etagen unter dem Ehepaar Kur. Vielleicht ist Kardelen ihrem Mörder im Treppenhaus in die Arme gelaufen. Am Abend meldeten die Eltern ihr Kind als vermisst. Ein erster Verdacht fiel auf Kur, als er sich am Tag nach dem Verschwinden Kardelens in die Türkei absetzte. Da suchte die Polizei bereits mit einem Großaufgebot von Beamten, Spürhunden und Hubschraubern nach der Achtjährigen. Drei Tage später führte die Entdeckung eines Spaziergängers die Fahnder zum Möhnesee: Dort hatte ein Mann verstreute Kinderkleidung gesehen. Es waren die Sachen, die Kardelen getragen hatte, als sie ihr Elternhaus verließ. Wenig später fanden Spürhunde die Leiche des Mädchens.

Schwiegervater spürte Ali Kur in der Türkei auf

Ein gerahmtes Foto der vor rund drei Wochen ermordeten Kardelen K. mit der Ueberschrift "Du fehlst mir" steht in Paderborn an einem Baum (Foto vom 04.02.09). Foto: ddp
Ein gerahmtes Foto der vor rund drei Wochen ermordeten Kardelen K. mit der Ueberschrift "Du fehlst mir" steht in Paderborn an einem Baum (Foto vom 04.02.09). Foto: ddp © ddp

Der Mörder hatte sie unter Tannenzweigen versteckt. In der Nähe des Fundorts der Leiche entdeckte die Spurensicherung die Visitenkarte eines türkischen Juweliers, die der Täter dort offenbar verloren hatte. Dieser Fund erhärtete den Verdacht gegen Kur. DNS-Spuren in seiner überstürzt verlassenen Wohnung machten ihn zur Gewissheit.

Ali Kur wurde international zur Fahndung ausgeschrieben. Sein Schwiegervater Kadir Ayaz wollte sich aber nicht auf die türkische Polizei verlassen. Er stellte eine eigene „Sonderkommission” von 20 Bekannten zusammen, heuerte Privatdetektive an und spürte seinen Schwiegersohn schließlich im westtürkischen Didim auf. Dort stellte sich Kur der örtlichen Polizei.

Zehn Monate nach dem Mord beginnt nun der Prozess gegen den 30-Jährigen. Der Ablauf der Tat scheint nach den Ermittlungen der deutschen Strafverfolger weitgehend geklärt. Aber es gibt einige offene Fragen, auf die sich vor allem die Eltern der ermordeten Kardelen, die zu dem Prozess in die Türkei geflogen sind, Antworten erhoffen. Warum wählte Kur gerade ihre Tochter als Opfer? War es ein tragischer Zufall? Welche Rolle spielte Kurs 26-jährige Ehefrau Zehra? Hat sie von der Tat nichts bemerkt?