Frankfurt/M. .
Am Ende steht er da in der porscheumsäumten Nobelabsteige am Tresen, lässt sich vom Barkeeper ein Pils zapfen und muss Hof halten. Dabei täte er wohl 1000 andere Dinge lieber. Aber da verwandeln sich gerade Feuilleton-Chefs und gestandene Veteranen des Rock-Journalismus in kleine Fans, die jubeln, johlen („Bruuuuce“) und betteln. Um ein Selfie. Ein Autogramm. Eine Antwort auf sehr ausgedachte Fragen, die mit Sätzen anfangen wie „Ich bewundere dich seit Jahrzehnten“.
Dabei ist dieser wie ein Messias bestaunte Bruce Springsteen (67) so normal wie die Helden seiner Songs. Doch jetzt hat sich der Chartsstürmer, der als härtester Bühnenarbeiter des Rock ’n’ Roll Saiten wie Seelen in Schwingung versetzt, auch noch zum Bestsellerautor emporgeschrieben. Seine gerade erst erschienenen Memoiren „Born to run“ sind für seinen deutschen Verlag „das wichtigste Buch dieses Jahres“, sagt dessen Chef. Und sein Haus hat immerhin auch einen Stephen King im Angebot. Über 100 Journalisten hat man abseits der Buchmesse unter konspirativen Umständen eingeladen, ein Radiojournalist moderiert die Pausen zwischen den sechs Passagen seines Buchs, die Springsteen hier im trauten Kreis verliest. Die US-Version, versteht sich, und da hört man, dass es den vier Übersetzern nicht recht gelungen ist, den ganz eigenen Rhythmus seiner Sätze ins Deutsche hinüberzuretten. Das Original klingt mehr nach einem langen, langen Springsteen-Song, bei dem er die Musik „in die Worte zu legen versucht“ hat. Und das nicht nur in der anrührenden Passage, in der sein Vater, der Ford-Arbeiter, Alkoholiker, Manisch-Depressive, ihm zum ersten Mal ein Wort der Anerkennung zuteilwerden lässt. Da war Springsteen kurz davor, selber zu Vater werden. Und sein Dad bat ihn, nicht dieselben Fehler mit seinen Kindern zu machen wie er mit seinem Bruce.
Mühsam sucht der Radiomann auf der Hotelbühne nach Fragen, mit denen er mehr als drei, vier Sätze am Stück aus Springsteen herausbekommt. Vergebens. Dieser knapp 1,75 Meter messende ältere Herr, der zum Vorlesen die Brille rauskramen muss und dessen Ohrringe irgendwie nicht zu seinem Wollsakko passen wollen, schreibt schließlich in seinen Erinnerungen: „Ich war eher der wortkarge, zurückhaltende Typ und werde es auch immer bleiben.“ Mit dem Erinnern hat er schon deshalb keine Probleme, weil er seit 30 Jahren Psychoanalyse macht („Einen Therapeuten habe ich schon überlebt“, grinst er). Und doch hat er sieben Jahre für das Buch gebraucht, schließlich muss so ein Rock-Arbeiter wie er ja zwischendurch mal für ein Jahr auf Montage gehen. Seine Frau Patti habe ihm beim letzten Drittel des Buchs sehr geholfen, gesteht Springsteen, wo er sich immer mehr der Gegenwart nähert – er wollte ja mit den Menschen, die da beschrieben werden, weiter befreundet bleiben ...
Die Journalisten im Saal versuchen, die Normalität noch ein bisschen zu verscheuchen, und fragen nach Bob Dylans Schweigen zum Nobelpreis („Ich bin sicher, er ist happy“). Oder danach, ob er, wo man ihn schon den „Boss“ nenne, nicht der bessere Präsident wäre („Ich fürchte, man kann es kaum schlechter machen als die beiden, aber ich bin wirklich ein sehr schlechter Politiker“). Als der Radiojournalist dann fragt, wie das Buch seiner Mutter gefallen habe, überspielt Springsteen die Peinlichkeit und sagt so lakonisch wie möglich, dass Adele Springsteen schwer an Alzheimer erkrankt ist.
Die eine Probe mit den Stones
Ansonsten witzelt er gern und schäkert sofort los, als endlich auch mal eine jüngere Frau an der Bar eine Frage fragen will. Und blüht auf, sobald man ihn nach Musik fragt, nach einschneidenden Konzerten von früher. Da ist er bei sich. Und schwärmt vom Konzert mit 160 000 Fans 1988 in Ost-Berlin. Und von einer Probe vor einem Konzert mit den Rolling Stones, „den Jungs, die meinen Job erfunden haben“. Als junger Bursche hatte er davon geträumt, dass Mick Jagger vor einem Stones-Konzert in Asbury Park erkranken würde – und der junge Bruce ihn so gut ersetzen würde, dass niemand Jagger vermisste.
Die Kunst des Bruce Springsteen besteht darin, dass seine Musik den Menschen das Gefühl gibt, ganz bei sich zu sein. Vielleicht gehen die Menschen deshalb unwillkürlich vor ihm in die Knie. Auch wenn er das gar nicht möchte. Denn er hält sich selbst – und das ist wirklich große Lebenskunst – für viel normaler als die meisten Menschen um ihn herum.