Berlin. Experten sehen keinen Grund, sich nach einer Vergewaltigung vor Strafen wegen Falschverdächtigung zu sorgen. Was Opfer wissen müssen.
Nach dem Fall Gina-Lisa Lohfink fürchten Experten, dass Vergewaltigungen seltener angezeigt werden. Das Model war zu einer Geldstrafe von 20.000 Euro verurteilt worden, weil sie zwei Männer laut Urteil zu Unrecht der Vergewaltigung beschuldigt und wissentlich gelogen hatte. Nach einer Vergewaltigung scheuen sich viele Opfer vor einer Anzeige – wollen das Erlebte nicht nochmal durchleben. Das Urteil weckt möglicherweise zusätzlich die Angst, selbst in juristische Schwierigkeiten zu kommen.
Müssen Opfer Angst vor einer Anklage wegen falscher Verdächtigung haben, wenn die Vergewaltigung nicht bewiesen werden kann?
Nein. Wird ein Beschuldigter freigesprochen, leitet die Staatsanwaltschaft nicht automatisch ein Verfahren wegen falscher Verdächtigung ein. „Die Staatsanwaltschaft stellt sich dann meistens auf den Punkt: Aussage gegen Aussage – man kann es nicht beweisen“, erklärt Alexander Stevens, Rechtsanwalt für Sexualstrafrecht. Denn diese sieht natürlich das Problem, dass es „das falsche Zeichen wäre, gegen die Opfer vorzugehen, weil man dann Angst haben muss, dass andere Opfer sich nicht mehr melden“. Eine solche Anklage wird häufig nur eingeleitet, wenn das vermeintliche Opfer zugibt, dass es gelogen hat.
Kann das Urteil im Fall Lohfink dennoch eine abschreckende Wirkung auf Opfer haben?
„Ja“, findet Anita Eckhardt vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland. „Ich denke schon, dass die Botschaft eine entmutigende ist.“ Sie geht davon aus, dass einige Opfer von sexueller Gewalt eine Anzeige nun sicher noch einmal hinterfragen werden. Allerdings betont auch Eckhardt, dass Anklagen wegen falscher Verdächtigung mitnichten ein Regelfall seien.
Frauenrechtlerin Alice Schwarzer hat das Urteil gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ als „Skandal“ bezeichnet. Sie verwies darauf, dass nur wenige Vergewaltigungen in Deutschland angezeigt werden und nur ein Bruchteil der Täter verurteilt wird. Auch sie sagte: „Es ist zu befürchten, dass es nach dem Berliner Urteil noch weniger sein werden.“
Was sollten Opfer nach einer Vergewaltigung am besten tun?
Opfer sollten auf jeden Fall zum Arzt gehen und sich behandeln lassen. Eckhardt rät Betroffenen, eine Beratung aufzusuchen und sich darüber klar zu werden, ob sie Anzeige erstatten wollen. Dann ist die Sicherung der Spuren wichtig. Hier gilt: je früher, desto besser – ansonsten kann es problematisch werden.
Warum ist die Beweissicherung oft schwierig?
Rettungsstellen und Gynäkologen sind in der Regel nicht auf forensische Beweismittelsicherung spezialisiert. Für sie ist es schwierig, vor Gerichten nachzuweisen, dass kein Dritter Zugang zu den Beweismitteln hatte, wie Saskia Etzold erklärt. Sie ist stellvertretende Leiterin der Gewaltschutzambulanz der Charité Berlin. Dort können Betroffene ihre Verletzungen gerichtsfest dokumentieren lassen.
Was bedeutet das?
Verletzungen und DNA-Spuren werden vertraulich gesichert. Das heißt, dass Betroffene sich nicht sofort entscheiden müssen, ob sie ihren Peiniger anzeigen. Die Beweise gehen nicht verloren. Oft entscheiden sich Opfer von sexueller Gewalt erst nach einiger Zeit, Anzeige zu erstatten. „Dann sind meist keine Verletzungen mehr zu sehen“, erklärt Etzold. Diese seien aber wichtig, um eine Vergewaltigung nachzuweisen. Das können etwa Würgemale oder Griffspuren sein. „Allerdings heißt das nicht, dass keine Vergewaltigung stattgefunden hat, wenn es keine Verletzungen gibt“, sagt Etzold. Mit K.-o.-Tropfen betäubte Opfer etwa können sich nicht gegen die Täter wehren.
Wie lang kann man nach der Tat noch Vergewaltigungsspuren sichern lassen?
DNA-Spuren seien bis zu 72 Stunden nach der Tat noch verwertbar, Verletzungen, solange sie sichtbar sind. „Das ist in der Regel eine Woche“, sagt Etzold. Die vertrauliche Spurensicherung in Gewaltschutzambulanzen gibt es in den meisten Regionen Deutschlands. In größeren Städten werden Betroffene eher fündig als auf dem Land. (dpa)