Turin/Rom. Seit Kurzem erkennt Italien gleichgeschlechtliche Partnerschaften an. Zwei Senioren können ihre Liebe endlich offiziell besiegeln.
Sie haben so lange gewartet. Mehr als ein halbes Jahrhundert. Franco Perrello und Gianni Reinetti, 82 und 79 Jahre alt. Am Samstag endlich konnten die Senioren den Bund fürs Leben schließen. Die Männer sind die ersten Homosexuellen in Turin und – so meinen sie selbst – die vermutlich ältesten in ganz Italien, die auf Basis des neuen Gesetzes ihre Lebensgemeinschaft amtlich besiegelten.
Bürgermeisterin Chiara Appendino von der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) nahm die Zeremonie selbst vor, bei der die Männer, festlich in hellem Hemd und dunkler Weste, einander mit strahlenden Augen die goldenen Ringe an die Finger steckten. „Alles Gute, von Herzen“, schrieb Appendino auf Facebook, und schickte ein rotes Herz. Sie sei glücklich, der Mensch zu sein, der die Liebe der beiden vor dem Gesetz offiziell machen konnte.
Gleichgeschlechtliche Partnerschaften zuerst in Dänemark anerkannt
Auch in anderen italienischen Städten gab es in diesen Tagen erste „Hochzeiten“ schwuler und lesbischer Paare. In Mailand etwa gaben sich am Freitag Cristina und Elena sowie Paolo und Alessandro das Ja-Wort. Allein in Mailand haben laut Kommune an die 350 homosexuelle Paare ein entsprechendes Formular ausgefüllt und sich angemeldet.
Als weltweit erstes Land hatte Dänemark 1989 gleichgeschlechtliche Partnerschaften reguliert. Das katholisch geprägte Italien hatte in der Frage die rote Laterne: Es war das letzte westeuropäische Land, in dem homosexuelle Partnerschaften keine rechtliche Grundlage hatten. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof und sogar das nationale Verfassungsgericht hatten das kritisiert.
Konservative und katholische Kirche üben Kritik
Seit 2013 hatte Italien den Gesetzesvorschlag für die Anerkennung homosexueller Partnerschaften diskutiert. Der Entwurf war mehrmals verändert und teils abgeschwächt worden. Unter anderem wurde aus dem umkämpften Gesetz ein Passus gestrichen, der die Adoption von Kindern des homosexuellen Partners ermöglicht hätte.
Am 11. Mai stimmte das Abgeordnetenhaus zu. Italiens Regierungschef Matteo Renzi, der seit seinem Amtsantritt für die Regelung gekämpft hatte, bezeichnete den Tag als „Feiertag für viele“. In Rom wurde der Trevi-Brunnen in Regenbogenfarben angestrahlt.
Doch von konservativen Parteien und der katholischen Kirche kam Kritik. Ein großer Teil des Landes wolle dieses Gesetz nicht, klagte der sizilianische Erzbischof Michele Pennisi in der „La Repubblica“. Im Januar hatten jeweils Tausende für und gegen das Gesetz demonstriert. Der Chef der rechtspopulistischen Lega Nord, Matteo Salvini, rief die Bürgermeister seiner Partei auf, die Umsetzung zu boykottieren.
Paare suchen nach romantischen Orten
Am 21. Juli gab der Staatsrat grünes Licht, am 29. Juli trat das Gesetz in Kraft. Derzeit hakt es noch bei der Umsetzung in manchen Kommunen. In Rom etwa seien jetzt erst die Regeln veröffentlicht worden, begleitet von einem Leitfaden von Anfang 2015, kritisierte am Donnerstag der PD-Abgeordnete und Aktivist der Lesben- und Schwulenbewegung, Alessandro Zan, laut Ansa.
Viele, die nun in die Rathäuser kommen und einander feierlich den Trauring an den Finger stecken, suchen auch nach romantischen Orten. Die Stadt Verona ermöglicht eine „Hochzeit“ im Haus der Julia mit dem berühmten Balkon, wo sich angeblich William Shakespeares Romeo und Julia ewige Liebe schworen. Reservierungen gebe es auch am Strand des Badeortes Viareggio, schrieb die „La Repubblica“. In Rom seien die begehrtesten Locations der Rote Saal am Kapitol, wo Hetero-Paare gerne heiraten, und die antiken Caracalla-Thermen mit ihren mächtigen Ruinen.
Franco und Gianni feierten etwas bescheidener mit Freunden in ihrem Stammrestaurant an den Seen von Avigliana bei Turin. Er freue sich sehr für die beiden, sagt Inhaber Italo Allais. Die beiden seien Freunde der Familie und schon bei seinen Eltern Stammgäste gewesen.
Senioren freuen sich, nun zur „Serie A“ zu gehören
„Es war eine wunderbare Feier, mehr als wunderbar“, sagte Gianni. „Wir sind glücklich und stolz.“ Und müde. Die Vorbereitungen für den ersehnten Tag seien anstrengend gewesen. „Ich glaube, nachher fallen wir ins Bett und schlafen erst einmal.“
Warum sie sich überhaupt noch das Ja-Wort geben wollten, in ihrem Alter, wurden die beiden gefragt. Sie nennen finanzielle und organisatorische Gründe, etwa bei Erkrankung eines Partners. Und auch wenn sie sich nie als Bürger zweiter Klasse gefühlt hätten: Nun gehörten sie zur „Serie A“. Die Serie A entspricht der Bundesliga.
Mitte September planen sie eine Wallfahrt nach Lourdes. „Wir sind gläubig“, sagt Gianni. Sie hätten sich immer als Familie gefühlt, auch wenn die Kirche sage, es gebe nur eine wahre Form der Familie. Nun wollten sie der Mutter Gottes für all das danken, was ihnen geschenkt worden sei. „Sie hat uns immer beschützt“, sagt Gianni. „Ich hoffe, wir haben noch ein paar gute Jahre miteinander.“ (dpa)