Berlin/Schwalbach. Dank psychologischer Täterprofile und moderner DNA-Analyse werden derzeit vermehrt Morde aufgeklärt – auch wenn sie lange zurückliegen.



Der Friedhofsgärtner Kurt-Werner M. war vorbestraft, aber führte ansonsten ein zurückgezogenes Leben – doch im Jahr 1993 wurde er wegen unerlaubten Waffenbesitzes und Fahrerflucht nach einem Unfall festgenommen. Kurz darauf erhängte er sich in seiner Zelle mit einem Gürtel. Erst jetzt, über 20 Jahre nach seinem Selbstmord, werden dem Toten die Morde an weiteren sechs Menschen in der Gegend um Lüneburg zugeschrieben. Das erinnert an Manfred Seel aus Schwalbach, einem unauffälligen Familienvater, den die Polizei ebenfalls kürzlich als mutmaßlichen Serienmörder überführen konnte – zwei Jahre nach seinem Tod.

In den vergangenen Wochen wurden mehrere sogenannte Cold Cases, also ungelöste ältere Kriminalfälle, neu aufgeklärt. Das hat auch mit den Möglichkeiten neuer Verfahrenstechniken zu tun. Zum Teil kommen dabei neue psychologische Erkenntnisse von Profilern zum Einsatz, aber auch Spuren, die erst heute überhaupt festgestellt werden können.

Praktisch alle menschlichen Zellen enthalten DNA-Informationen und können ausgewertet werden. Die DNA-Analyse als kriminalistisches Werkzeug gibt es seit 1998 und in jenem Jahr wurde auch in Wiesbaden beim Bundeskriminalamt eine DNA-Analysedatei eingerichtet. Laut BKA gab es seit Bestehen der Datei 171.274 sogenannte Spur-Person-Treffer, die zu Erfolgen bei Diebstahls-, Raub-, Erpressungs-, Sexual- und Tötungsdelikten führten. Da diese Datei ständig wächst, wird auch die Aufklärung weiterer Cold Cases wahrscheinlich.

Berliner Polizei mit neuer Software zur Analyse

Max Weiß von der Polizei Hessen ist mit dem Fall Manfred Seel in Schwalbach betraut. Der große Sprung im sogenannten Cold-Case-Management sei die DNA-Analyse gewesen. „Wir brauchen immer weniger Material, um genaue Zuordnungen treffen zu können“, sagt er. „Da reicht schon ein Haar mit Wurzel oder ein Zigarettenstummel, während wir früher eine größere Blutmenge zur Analyse brauchten.“

Außerdem habe man die Aufbewahrung von Beweismaterial geändert, damit mögliche Spuren nicht verwischt werden: „Ein durchgeschwitztes T-Shirt in einem Plastikbeutel zerstört die organischen Reste zum Beispiel.“ Zusätzlich zur besseren Lagerung hilft den Ermittlern auch das Rasterelektronenmikroskop, das auch feinste Spuren sichtbar macht.

Die Berliner Polizei hat eine Software entwickelt, mit der die DNA-Analyse deutlich schneller werden kann. Bislang wurde der Vergleich von DNA-Spuren per Hand durchgeführt. Das war zeitraubend und fehleranfällig und führte zu einem Rückstau von unbearbeiteten Fällen. „Unsere Software schafft die vergleichende Analyse in der Hälfte der Zeit“, sagt Ulrich Neuhaus-Steinmetz vom Kriminaltechnischen Institut beim Landeskriminalamt. Das Programm arbeite präziser und zuverlässiger als der Mensch. Im Schnitt dauere ein Spurenvergleich zwei Tage. „In komplizierten Fällen, in denen bis zu 1000 Spuren ausgewertet werden müssen, kann es aber auch Wochen und Monate dauern“, sagt der Forensiker. Das Programm, das mit 400.000 Euro Fördermittel der EU entwickelt wurde, steht ab sofort allen europäischen Sicherheitsbehörden zur Verfügung.

Auch psychische Analysen von Serienmördern helfen für die Zukunft

Trotz modernster Kriminaltechnik aber kamen die Ermittler nicht zu Lebzeiten auf die Taten von Manfred Seel aus Schwalbach. Er führte nach außen hin ein normales Leben als Familienvater und Musiker. Um solche rätselhaften Fälle besser zu verstehen, analysiert Kriminalpsychologin Lydia Benecke die Psyche von Serienmördern, klärt deren Hintergründe auf.

Für Benecke sind „Parallelleben“ nichts Ungewöhnliches, obwohl diese schwer zu verstehen seien. „Jeder hat doch eine Seite, die er nicht vor anderen zugeben möchte“, sagt sie. „Für viele Menschen ist es unmöglich, sich vorzustellen, dass jemand gleichzeitig ein guter Kumpel und ein Mörder sein kann.“ Die Arbeit mit schweren Straftätern sei auf vielfältige Weise auch ein Teil von Verbrechensprävention: „Das Wissen aus Arbeit mit und Forschung an Straftätern fließt natürlich in Präventionsprogramme ein, ebenso wie in den Wissenspool, der auch der Polizei bei Ermittlungen zur Verfügung steht.“ So können auch in Zukunft Cold Cases besser aufgeklärt werden.