Paris. Frankreich, seit den Anschlägen ein Land im Ausnahmezustand, fiebert der Fußball-EM entgegen. Die Angst vor neuem Terror spielt mit.
Frankreich, so versichern der Staatspräsident Francois Hollande und sein Regierungschef Manuel Valls immer wieder, befinde sich im Krieg. Im Krieg gegen den Terror. In diesem Krieg haben 2015 nicht weniger als 147 Franzosen ihr Leben durch Attentate verloren, beinahe 400 wurden verletzt. Wie viele Islamisten im gleichen Zeitraum von französischen Soldaten in der Sahelzone oder von französischen Bombern im Irak und in Syrien getötet worden, ist ungewiss. Doch selbst vorsichtige Schätzungen gehen von mehreren Hundert aus.
Frankreich – das ist unmittelbar vor dem Beginn des Großereignisses Fußball-EM, ein Land in Angst. Angst davor, der Albtraum vom Bataclan am 13. November 2015 könne sich wiederholen, als im Schatten des Fußballfreundschaftsspiels Frankreich-Deutschland über hundert Menschen bei Terroranschlägen in Paris starben. Die Sorge ist groß, dass die Islamisten die EM als Bühne für ein neues Massaker nutzen könnten.
Millionen Zuschauer in Stadien und auf Fanmeilen
2,5 Millionen Zuschauer werden zwischen dem 10. Juni und dem 10. Juli in den Stadien erwartet, wenn um die Krone des europäischen Fußballs gerungen wird. Noch einmal 7,5 Millionen Franzosen und Touristen dürften das Spektakel auf den in allen Austragungsstädten eingerichteten Fan-Meilen verfolgen. Genau solche Menschenansammlungen sind es, vor denen die Sicherheitsexperten warnen und die der im November verhängte Ausnahmezustand eigentlich unterbinden soll.
Zu diskutieren, ob das martialische Wort vom Krieg wirklich die Natur des Kampfes gegen den Dschihadisten-Terror trifft, ist müßig. Auf der Hand aber liegt, dass ein Land im Krieg kein großes internationales Sportereignis organisiert. Oder – um die Latte ein wenig tiefer zu legen – dass in einem Land im Ausnahmezustand keine Fußball-Europameisterschaft stattfinden sollte, wie nicht wenige finden. Die Gefahr, dass das Fest des Sports in eine Tragödie mündet, lässt sich unter den gegebenen Umständen selbst mit drakonischen Sicherheitsmaßnahmen nicht ausschließen.
Angst vor fanatisierten Einzeltätern
Es kommt hinzu, dass die EM auch ohne entsprechende Informationen aus Geheimdienstkreisen als ideales Anschlags-Ziel der Islamisten angesehen werden muss. Die Franzosen wissen: Mehr Angst, Schrecken und Opfer als durch ein Attentat in einer Sportarena oder auf einer Fanmeile ließen sich wohl kaum erzielen. Wobei die Bedrohung keineswegs nur von mehr oder weniger gut organisierten Terrorzellen ausgeht. Auch ein fanatisierter und zum Sterben bereiter Einzeltäter könnte in einer Fan-Meile ein regelrechtes Blutbad anrichten. Ein Szenario, das die Sicherheitsbehörden zusätzlich alarmiert.
Nun ist es keineswegs so, als wären unseren Nachbarn diese Gefahren nicht bewusst. Dennoch kam es für Präsident Francois Hollande nie in Frage, die Europameisterschaft abzublasen. In seinen wie in den Augen der meisten Franzosen nämlich wäre das mehr als nur ein Einknicken vor den Terroristen. Schließlich haben die Franzosen die Terroranschläge von Anfang an als Angriffe auf ihre Freiheit insgesamt verstanden.
Franzosen wollen sich ihre Lebensfreude nicht nehmen lassen
Und um diese Freiheit dreht es sich – sei es die Freiheit der freien Meinungsäußerung oder die Freiheit, ins Restaurant, in die Kneipe, ins Stadium oder zum Public-Viewing zu gehen. Auch und gerade nach dem Trauma des 13. November.
Gut möglich, dass diese Haltung sehr viel mehr Stolz und Trotz als Vernunft widerspiegelt. Vor allem aber belegt sie einen bewunderungswürdigen Mut der Franzosen. Trotz der Angst vor weiteren Anschlägen sind sie fest entschlossen, sich von niemandem ihre Lebensfreude abknöpfen zu lassen. Und zu dieser Lebensfreude gehört, große Sportfeste wie die Fußball-EM oder die ebenfalls nicht abgesagte Tour de France im Juli so zu feiern wie sie fallen.