Alsdorf. Die innere Uhr von Jugendlichen tickt oft anders als ihr Stundenplan. Schüler eines Gymnasiums bei Aachen dürfen deshalb später kommen.
- Ein Gymnasium bei Aachen hat ein Gleitzeitmodell für Schüler eingeführt: Wem der Unterricht zu früh anfängt, kann auch später zur Schule kommen.
- Experten zufolge haben die meisten Jugendlichen einen späteren Schlaf-Wach-Rhythmus und müssen zur Schule, wenn sie biologisch noch im Tiefschlaf wären.
- Die Akzeptanz unter den Schülern sei von zunächst geschätzten 50 Prozent auf 80 Prozent gestiegen, sagte die Schulleitung.
Andere Schüler könnten glatt neidisch werden: Oberstufenschüler des Gymnasiums in Alsdorf bei Aachen dürfen länger schlafen, wenn sie wollen. Sie können wählen, ob sie direkt zur ersten Stunde um 8 Uhr kommen oder zur zweiten gegen 9 Uhr. „Super cool, wir können ausschlafen“, ist Schulsprecher Lars Meyer kurz nach dem Start immer noch begeistert.
Als erste Schule in Deutschland gehe das Alsdorfer Gymnasium auf die innere Uhr von Jugendlichen ein, stellt der Chronobiologe Professor Till Roenneberg von der Ludwig-Maximilians-Universität München fest. Die tickt nämlich anders als bei Erwachsenen, erklärt er: Bei der Synchronisation mit dem Tag-Nacht-Rhythmus geht die innere Uhr der meisten Jugendlichen etwa bis zum 20. Lebensjahr nach. Sie können erst später einschlafen. Müssen sie entgegen ihrer biologischen Uhr schon um acht in der Schule sein, entsteht ein „sozialer Jetlag“.
Wissenschaft fordert schon lange einen späteren Unterrichtsbeginn
Drei Viertel der Jugendlichen hätten damit zu kämpfen, sagt Roenneberg: Die Schüler sitzen dann halb schlafend im Unterricht. Außerdem fällt der wichtige Anteil des Schlafes, der das erlernte Wissen vom Vortag konsolidieren soll, weg. Die Wissenschaft fordert demnach seit zehn Jahren einen späteren Unterrichtsbeginn.
Das wird auch in der Politik gehört. Für einen späteren Unterrichtsbeginn müsse es einen Wandel in der Wirtschaft geben, hatte Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) bereits im vergangenen Jahr dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ gesagt. Nach Einschätzung von Eltern passe ein späterer Schulbeginn nicht zur Arbeitswelt, erläuterte sie.
Aber in die Lebenswelt der Jugendlichen: „Die erste Stunde war immer eine Quälerei für mich. Ich war noch nicht richtig wach“, erzählt der 17-Jährige Luca Diehr in Alsdorf. Jetzt kommt er meistens erst zur zweiten Stunde und fühlt sich fit. Natürlich gibt es auch Schüler wie Milena Kandetzki (17): „Ich habe kein Problem früh aufzustehen und komme immer zur ersten Stunde.“ Geht natürlich auch, ist aber die Minderheit.
Besonderes Unterrichtskonzept fördert Eigenständigkeit
Dass die „Gleitzeit“ in Alsdorf organisatorisch möglich ist, hängt mit dem besonderen Unterrichtskonzept zusammen, wie Schulleiter Wilfried Bock sagt. Unterrichtet wird nach dem Dalton-Plan der amerikanischen Pädagogin Helen Parkhurst. Neben den herkömmlichen Stunden können sich die Schüler pro Woche zehn Unterrichtsstunden selbst einteilen, um gestellte Aufgaben eigenständig zu lösen.
Dabei arbeiten Schüler aus unterschiedlichen Klassen und Jahrgängen insgesamt zwei Stunden am Tag bei einem Lehrer ihrer Wahl. Sie entscheiden selbst, mit wem sie arbeiten und woran. Joelle und Julia, beide 16, sind an dem Morgen schon zur ersten Stunde gekommen und machen zusammen Bio, andere machen im selben Klassenraum Englisch oder Mathe. Wenn die Stunde rum ist, bekommen sie dafür vom Lehrer einen Stempel.
Luca Diehr fällt nicht ein, so früh zu kommen, er schläft lieber aus und holt den Unterricht in Freistunden nach: „Früher haben wir in den Freistunden Karten gespielt, jetzt arbeitet man und kann dafür länger schlafen.“
Wie verändert sich der Schlaf der Schüler durch die Umstellung, fragt Wissenschaftler Roenneberg. Er hat die Einführung der „Gleitzeit“ wissenschaftlich begleitet, Daten vorher und nachher erhoben. Das Ergebnis der Auswertung wird im Sommer erwartet. (dpa)