Brooklyn. Eigentlich sollte Steve Miller feierlich in die „Rock and Roll Hall of Fame“ aufgenommen werden. Doch bei der Feier gab’s Zoff.
Wer glaubt, mit 72 ist man zu alt für Rock’n’Roll und Wut im Bauch, kennt Steve Miller schlecht. Der an Gitarren-Göttern wie Les Paul geschulte Anführer der seit anno Tobak nach ihm benannten Band sorgte in der Barclays Arena von Brooklyn/New York erst mit Hits wie „Fly Like an Eagle“, „Rock ‘N Me’’ und „The Joker“ für erhabene Momente. Und dann bei der Nostalgie-Show für die 2016er Neuaufnahmen in die „Rock and Roll Hall of Fame“ für einen Eklat.
Der Bluesrocker aus Wisconsin geißelte die sich 3 Stunden und 45 Minuten hinziehende Veranstaltung hinter der Bühne als Schmierentheater, bei dem die Künstler absolut mies behandelt würden. „Für mich und meine Frau waren die Karten gratis, ab dem dritten Ticket sollte ich 10.000 Dollar hinlegen.“ Das undurchschaubare Auswahlverfahren, in dem rund 800 Musiker und Musikexperten seit 30 Jahren darüber wachen, wer in die Walhalla der Branche eingelassen wird und wer nicht, sei korrupt und „komplett reformbedürftig“.
Aufnahme für die Heroen der letzten Generation der Baby-Boomer
Es sollten nicht die einzigen Spannungen an einem eiskalten New Yorker Abend bleiben, der qua Teilnehmerliste bis auf eine Ausnahme (die Rapper von N.W.A.) an einen „Geronto-Gipfel“ erinnerte, wie Chuck Yarborough, Musikkritiker aus der Heimatstadt der „Ruhmeshalle des Rock“ (Cleveland/Ohio) anmerkte. Mit „Deep Purple“, „Chicago“, „Steve Miller“ und „Cheap Trick“ hatten die Juroren Heroen der letzten Generation der Baby-Boomer nominiert, die in den 60er Jahren ihr schöpferisches Wirken begannen, das ganze Heerscharen von Bands inspirierte.
Die Grundvoraussetzung für die Prämierung – die erste Platte muss mindestens ein Vierteljahrhundert zurückliegen – war bei den älteren Herrschaften um die 70 mit Leichtigkeit gegeben. Altersstarrsinn und diverse Streithanseligkeiten inklusive.
Bei „Deep Purple“ konnten die atlantikbreiten Gräben zwischen Gitarrist Ritchie Blackmore (abwesend) und dem Rest nicht rechtzeitig überbrückt werden; obwohl der an Bluthochdruck laborierende Sänger Ian Gillan Stein auf Bein schwor, Blackmore „zweimal eingeladen“ zu haben. Dafür strahlte David Coverdale, die weiße Schlange, mit Glenn Hughes um die Wette.
Dank für Frauen und Kinder
Zerrissen blieb auch das Tischtuch zwischen Peter Cetera (abwesend) und dem seit über 40 Jahren zwischen Jazz-Rock und Balladen schwebendem Gute-Laune-Kollektiv „Chicago“.
Dagegen durfte bei „Cheap Trick“ zum großen Revival Bun E. Carlos ans Schlagzeug, obwohl er seine Kollegen doch 2010 verlassen und verklagt hatte. Rock drüber! Heute wird gefeiert! Und Buße getan.
Ausnahmslos alle Geehrten bedankten sich ausführlich bei Frau (oder Frauen) und Kindern. Für deren Geduld und Strapazierfähigkeit, wenn Papa auf den Bühnen der Welt jahrzehntelang auf Schicht ging und danach einen trinken. Auch darauf gingen die Laudatoren genüsslich ein, die sich von Ghostwritern opulente Lobpreisungen schreiben ließen. Metallica-Schlagzeuger Lars Ulrich – für „Deep Purple“. The Black Keys – für „Steve Miller“. Rob Thomas – für „Chicago“. Hip-Hop-Wortschmied Kendrick Lamar – für N.W.A. Und Kid Rock – für „Cheap Trick.“
Rappen wollten die Rapper nicht
Gesungen und gespielt wurden natürlich auch. Hier die erlesenen Setlisten, die der Bezahlsender HBO hoffentlich komplett in seine am 30. April erstmals zusehende Zusammenfassung pressen wird:
Deep Purple: „Highway Star,“ „Hush“ und „Smoke on the Water“
Steve Miller: „Fly Like an Eagle“, „Rock ‘N Me’“ und „The Joker“
Chicago: „Saturday in the Park“, „25 or 6 to 4“ und „Does Anybody Really Know What Time it is?“
Cheap Trick: „I want you to want me“, „Surrender“ und „Dream Police“
N.W.A. (Niggaz with Attitude): wollten nicht.
Jedenfalls nichts rappen. Dafür kam die Rede des Abends von den Rap-Titanen aus dem Süden von Los Angeles. Von denen manche Puristen trotz der schon vor Jahren geehrten Genre-Größen „Grandmaster Flash and the Furious Five“, „Run-DMC“, „The Beastie Boys“ und „Public Enemy“ meinen, sie seien in der Sparte Rock völlig fehl am Platze.
Was ist eigentlich Rock’n’Roll?
Ice-Cube persönlich, neben dem heutigen Kopfhörer-Mogul Dr. Dre die dominante Figur, stellt sich in seiner eloquenten Dankesrede selbst die Frage „Sind wir Rock’n’Roll?“. Und antwortete kurz und bündig so: Verdammt, und ob wir das sind. Rock’n’Roll sei kein Instrument. Und auch kein spezieller Musikstil. Sondern eine Geisteshaltung, ein „Spirit“, der „uns alle hier vereint“. Na ja.
Rick Nielsen, der inzwischen achtfache Großvater und Gitarrist von „Cheap Trick“, deren schweißtreibender Klassik-Rock nichts von seiner Energie eingebüßt hat, hätte die Homeboys aus Kalifornien gern künstlerisch beim Wort genommen. Aber beim abschließenden Gemeinschafts-Jammen waren Ice-Cube & Co. längst aus dem Haus. Steve Miller dagegen hielt eisern durch. Mit Rock’n’Roll. Und Wut im Bauch.