Berlin/Tel Aviv. Orna Donath schreibt über ein Tabu: Mütter, die ihre Mutterschaft bereuen. Mit ihrer Doktorarbeit sorgte sie europaweit für Diskussion.

  • Orna Donath schreibt über Frauen, die es bereuen Mutter geworden zu sein.
  • Die Thesen der 39-Jährigen lösten weltweit heftige Debatten aus.
  • Im Interview erzählt sie, warum es nicht schlimm ist, kinderlos zu bleiben.

Frauen, die das Kinderkriegen bereuen, sind kaltherzig. So das Vorurteil. Orna Donath, 39, ging es in ihrer Studie genau darum. Ihre Doktorarbeit löste weltweit eine heftige Debatte aus. Unter dem Titel „#regretting motherhood – Wenn Mütter bereuen“ hat sie ihre Thesen und die Interviews mit Müttern nun in einem Buch veröffentlicht. Es ist zuerst in Deutschland erschienen. Hier polarisiert ihre Arbeit am meisten.

Frau Donath, haben Sie mit der großen Aufregung gerechnet?

Orna Donath: Nein, absolut nicht. Ich wusste, es ist ein Tabu und die Menschen werden darüber sprechen, aber ich habe nicht diese stürmische Debatte erwartet.

Wie kamen Sie auf das Thema?

Donath: Im Jahr 2007 habe ich meine Masterarbeit über jüdische Männer und Frauen geschrieben, die nicht Eltern werden möchten. Und der Satz, den sie am meisten gehört haben, war: Du wirst es bereuen! Diese Menschen erleben den Satz wie eine Drohung, und speziell die Frauen. Und ich wusste, es gibt Mütter, die bereuen, Mutter geworden zu sein. Aber dieses Thema ist wie ein Tabu, findet nirgendwo statt. So kam ich drauf.

Wie fanden Sie die Frauen?

Donath: Ich habe in Mutter-Online-Foren von meinem Vorhaben geschrieben oder in Interviews davon erzählt. Die Frauen kamen dann auf mich zu und wollten endlich öffentlich darüber sprechen.

Was ist so provokativ an der Aussage, das Muttersein zu bereuen?

Donath: Das Muttersein ist gesellschaftlich gesehen heilig, es ist das Wichtigste im Leben einer Frau, es ist ihr Sinn auf dieser Welt. Also, wie kann es sein, dass eine Mutter das ablehnt? Zweitens leben wir in einer Gesellschaft, die mit Reue generell nicht gut umgehen kann. Wir schauen nur gern aus Nostalgie oder weil wir die Zukunft verbessern wollen zurück. Wir mögen es nicht, nichts mehr ändern zu können. Die Rückschau erscheint nutzlos und dysfunktional. Aber man kann die Vergangenheit bereuen und trotzdem verantwortlich weiterleben.

Was sind die Hauptgründe für die Reue?

Donath: Natürlich hat jede Frau ihren eigenen Grund, aber was ich oft gehört habe, ist, dass das Muttersein nie endet. Auch wenn das Kind vom Vater aufgezogen wird oder die Kinder längst aus dem Haus sind. Es heißt, einmal eine Mutter, immer eine Mutter. Es ist die permanente Verantwortung, die auch nicht mit anderen Verantwortungen im Leben zu vergleichen ist.

Wie leiden die Frauen darunter?

Donath: Eine sagte, es ist wie ein Leben hinter Gittern, ohne Hoffnung, je wieder rauszukommen. Oder eine andere meinte, die Mutterschaft sei wie ein Tattoo auf ihrem Gesicht.

Wie reagiert das Umfeld?

Donath: Wenn sie darüber sprechen, bekommen sie Vorschläge und Vorhaltungen, die meisten Menschen glauben ihnen aber nicht und sagen: Mach eine Therapie.

Verstehen Sie die Frauen und möchten Sie selbst Kinder?

Donath: Nein, möchte ich nicht. Aber ich verstehe die Frauen, weil ich ihre Gefühle verstehe. Man darf bereuen; genauso wie Tattoos, Schönheitsoperationen, die Jobwahl oder eine falsche Liebe.

Warum möchten Sie keine Kinder?

Donath: Wie kann es sein, dass im Jahr 2016 die Gesellschaft immer noch denkt, jede Frau will Kinder und kann welche bekommen? Wir sind alle unterschiedlich, nur weil Frauen biologisch gesehen die gleichen Organe haben, heißt das nicht, dass wir die gleichen Träume haben. Ich wusste, seit ich 16 bin, dass ich nicht Mutter sein will. Aber was ich nicht wusste, war, dass die Gesellschaft denkt, das ist ein Problem, das gelöst werden muss.

Sie haben dem Feminismus ein neues Thema geschenkt.

Donath: Ich bin Feministin! Feminismus ist eine Art, auf die Welt zu blicken. Aufzudecken, wie wir manipuliert, unter Druck gesetzt oder diskriminiert werden. Der erste Schritt ist, die Umstände zu erklären, damit die Menschen weniger leiden. Es geht nicht mehr nur um Gleichheit im Vergleich zu Männern. Es geht um Menschlichkeit. Und im Moment um das Muttersein. Dabei geht es nicht um die Kinder, darum, dass sie an etwas Schuld haben. Es geht um Entscheidungsfreiheit und wie die Gesellschaft damit umgeht.