Berlin. Die Suche nach den letzten RAF-Terroristen läuft. „XY ungelöst“ hat sich in die Fahndung eingeschaltet – mit viel Resonanz.
Sie traten mit Panzerfaust, MP und Kalaschnikow auf, versetzten ihre Opfer in Todesangst. Es waren brutale Überfälle, die jetzt den letzten untergetauchten Tätern der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) zugeordnet werden. Aber das Verdächtigen-Trio ist möglicherweise noch für mehr Geldtransporter-Raubzüge verantwortlich.
Nachdem am Mittwochabend die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“, bei der 5,8 Millionen TV-Zuschauer einschalteten, erste Fahndungsdaten von zwei Männern und einer Frau veröffentlichte, liefen allein innerhalb von zwei Stunden mehr als 100 Hinweise aus der Bevölkerung ein.
„Die heiße Spur ist noch nicht dabei“
Einige sehen Zusammenhänge mit weiteren Überfällen. Die Sicherheitsbehörden wollen dem nachgehen, kündigten sie an. In einem Fall kam die Überprüfung der Angaben noch am späten Abend ins Rollen. Allerdings: „Die berühmte heiße Spur ist nicht dabei gewesen“, sagte Lutz Gaebel von der Staatsanwaltschaft Verden am Donnerstagmorgen.
Spuren führen nach Raubüberfall zur RAF
Weil die DNA-Spuren der gescheiterten Überfalle auf Geldtransporter bei Bremen am 6. Juni 2015 und bei Wolfsburg im vergangenen Dezember die seit 30 Jahren gesuchten mutmaßlichen RAF-Terroristen Ernst Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg als Räuber enttarnt haben, bittet die Kripo vor allem um weitere Hinweise aus den norddeutschen Raum. Weiterhelfen könnten zunächst Angaben zu den Fahrzeugen, die die drei Straftäter genutzt haben. Gaebel warnte aber alle Bürger davor, eigenmächtig auf die Gruppe zuzugehen: „Aufgrund der Berichterstattung müssen wir davon ausgehen, dass sich die Täter höchstwahrscheinlich bewaffnet haben.“
In Stuhr bei Bremen war das Tatfahrzeug ein weißer VW T4 Multivan Allstar, Baujahr 1996. Seine gefälschten Kennzeichen begannen mit der Buchstabenfolge „OL“ für Oldenburg und dann ein „E“. Im unteren Bereich hatte das Fahrzeug schwarze Planken, die Scheiben waren mit dunkler Folie abgeklebt.
Das anschließend genutzte Fluchtfahrzeug war ein silberfarbener Ford Focus – mit gefälschten Diepholzer Kennzeichen „DH“ und der Buchstabenfolge „HB“. Auch hier waren die hinteren Scheiben abgeklebt. Beide Fahrzeuge wurden Anfang 2015 gekauft und waren in der Folgezeit wahrscheinlich in einem Umkreis von 500 Kilometern um den Tatort unterwegs. Die Polizei fragt: Wer kann Angaben darüber machen, wo die Fahrzeuge abgestellt waren?
• Tatort Wolfsburg
Das gesuchte Trio ist nach Überzeugung der Fahnder zudem für den Überfall am 28. Dezember 2015 in Wolfsburg verantwortlich. Auch hier wurden Fahrzeuge mit falschem Kennzeichen verwendet: Ein dunkelblauer Ford Focus, der im September letzten Jahres in Ronnenberg bei Hannover gekauft wurde. Und ein dunkelgrüner VW Golf Variant, der im November bei Celle erworben wurde.
Ein Problem: Die Polizei verfügt bei Staub, Klette und Garweg lediglich über 30 Jahre alte Fahndungsbilder. Damals hingen sie in allen Polizeirevieren. Heute, drei Jahrzehnte später, können sie nur ein ungefähres Bild geben von den seither abgetauchten „Terror-Rentnern“ machen. Sie leben im Untergrund, ohne legale soziale Absicherung, und versuchen offenbar, mit den Überfällen ihren Lebensunterhalt zu sichern. Die Verdächtigen sind:
Ernst Volker Wilhelm Staub. Er ist heute 61 Jahre alt, 1,83 Meter groß, hat blau-graue Augen und mehrere Muttermale am Rücken. Zwei acht Zentimeter große Narben sind auf dem linken Schulterblatt zu sehen. Sie könnten von Verbrennungen oder Hautverpflanzungen stammen.
Daniela Klette. 57 Jahre alt ist sie heute, 1,65 Meter groß und schlank. Sie hat dunkle Augen und Muttermale im ganzen Gesicht. Sie hat die Kampfsportart „Ving Tsun“ gelernt.
Burkhard Garweg. Er ist 47 Jahre alt, der Jüngste in dem Trio. Garweg ist 1,80 Meter groß und hat eine Warze oder ein Muttermal unter dem rechten Auge.
Der Unbekannte. Überdies ist beim Überfall in Wolfsburg einer der Täter unmaskiert aufgetreten: 50 bis 60 Jahre alt, 1,80 bis 1,90 Meter, groß, schlank, helle Haut und fransige, schwarz-graue Haare. Auf dem Phantombild trägt er einen Oberlippenbart. Wer kennt diesen Mann?, fragt die Kripo.
Der Fortschritt der Fahndung in den letzten Tagen hat den zur Sendung ausgestrahlten Film über die Überfälle auf die Geldtransporter an den Real-Märkten in Stuhr und in Wolfsburg überholt. Der Film war zur Drehzeit von der Annahme ausgegangen, dass es um drei männliche Täter gehe. Auch von einem RAF-Hintergrund war zunächst noch keine Rede. Die DNA-Analyse brachte dann Klarheit über die Beteiligung von Daniela Klette – und dass die Gesuchten alte Bekannte der Fahnder aus den Terrorermittlungen der 80er- und 90er-Jahre sind.
Unauffälliges Leben im Untergrund
Schon lange war den Ermittlern klar, dass Staub und Klette an dem Sprengstoffanschlag auf die Haftanstalt Weiterstadt in Hessen 1993 und an einem Überfall auf einen Geldtransporter in Duisburg-Rheinhausen 1999 beteiligt waren. Damals hatten sie mehr als eine Million D-Mark erbeutet. Man hatte ihre DNA in den von ihnen genutzten Wollmützen gefunden. Wo sie seither wohnten oder wohnen? Das sind nur einige der offenen Fragen, die sich stellen.
Jürgen Hage von der Kripo Diepholz: „Ich gehe davon aus, dass sie irgendwo unauffällig lebten.“ Und dann weist er auf eine weitere Spur hin. In den Tat-Fahrzeugen wurden Hundehaare gefunden. Lebt möglicherweise ein Hund bei einem der Täter oder gegebenenfalls in ihrer Gemeinschaft?
Eine lange Liste von Verdachtsfällen
Welche weiteren Raubüberfällen auf Geldtransporter auf das Konto des RAF-Trios gehen könnten, ist derzeit völlig offen. Allerdings sind eine Reihe von ihnen aus den letzten Jahren ungeklärt, die immer nach dem selben Schema abliefen – mit drei bis vier Tätern, mit Panzerfaust und Maschinenwaffen.
1999 in Zeitz in Sachsen-Anhalt. Die Täter, die mit Maschinenpistolen vorgehen, erbeuten hier 3,2 Millionen Mark.
2001 Düsseldorf. Zwei Millionen Mark sind die Beute, die vier mit Panzerfaust und MP ausgestattete Räuber mitnehmen.
2002 Zwei Überfälle in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg, insgesamt mehr als eine Million Euro Beute.
2002 Werl in NRW. Auf die Fahrer des Geldtransporters wird sogar geschossen. Trotz Drohung mit der Panzerfaust verschwinden die Täter ohne Beute.
2004 Mülheim/Ruhr, NRW. Wieder Panzerfaust, wieder Maschinenpistolen. Es sind vier Täter.
2012 Neuss im Rheinland. Vier Täter, mehrere hunderttausend Euro Beute.